Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Wenn die Platte leiert
Ist das gewollt oder nur der defekte Plattenspieler? Ein Abend mit Freunden in Düsseldorf und einem Album von The Bad Examples.
Folge 235
Das Gebiet des Technischen zählt zu jenen, auf denen ich verlässlich durch Inkompetenz glänze. Ganz gleich ob Automotor, Musikinstrument oder Kaffeemaschine: Sobald irgendetwas den Geist aufgibt oder nicht mehr ganz rundläuft, stehe ich dumm da und muss Fachleute zurate ziehen.
Die sind in der Regel schwer zu greifen, obendrein teuer, und wenn sie sich dann endlich über die maladen Gerätschaften beugen, tun sie dies freilich nicht, ohne mir dieses bittere Gefühl des Versagens zu geben, das seit Jahr und Tag mein Wandeln auf Erden begleitet. Man muss wohl von einem Trauma sprechen.
Der Umstand, dass ich ein paar Schallplatten besitze, bringt es allerdings mit sich, dass man meint, ich würde mich mit dem entsprechenden Abspielgerät auskennen. Immer wieder fragen Menschen, welche Boxenkabel ich empfehlen könne. Abgesehen davon, dass mir kein weniger erotisierendes Thema einfällt als Hi-Fi-Technik, muss ich auch hier den Offenbarungseid leisten: Ich habe von dem Thema schlicht keine Ahnung! Ich habe ein paar Geräte herumstehen, die laufen, und wenn sie mal nicht mehr laufen, muss eben ein Expertenteam eingeflogen werden.
Kürzlich war ich bei einem befreundeten Paar in Düsseldorf eingeladen. Nachdem das Gespräch diesen und jenen Gegenstand angestupst hatte, wandten sich die Gastgeber mit einem Anliegen an mich: Sie hätten kürzlich den alten Plattenspieler entstaubt und hörten mit großer Freude immer wieder dieselbe Platte. Es gebe auch eigentlich nur die eine, von einer anderen aus Kindheitstagen mal abgesehen. Allerdings, so die beiden, sei man sich unsicher, ob die Platte tatsächlich so klingen solle oder ob womöglich das Abspielgerät defekt sei. Es klinge immer recht leiernd, wenn sie die Platte hörten, aber dieses Leiern gefalle ihnen ausnehmend gut.
„Ich kann’s mir ja mal anschauen“, hörte ich mich sagen, während mir der Schweiß ausbrach. Wir gingen nach nebenan, wo die Platte – „The River The Night The Moon Temptation And You“ von The Bad Examples, eine Veröffentlichung des Düsseldorfer Labels Ata Tak aus dem Jahr 1997 – schon auf dem Teller lag.
Die Dame des Hauses ließ den Tonarm herunter. Die Musik klang schön: wie eine elektronische 90er-Jahre-Erinnerung an die 60er-Jahre, angenehm durchorgelt, aber nie zu plüschig. Das konnte man damals vermutlich nur in Düsseldorf oder Tokio. Und ja, da war auch ein gewisses Schlieren und Eiern in der Musik. Schwer zu sagen, ob das von den Künstlern so beabsichtigt oder dem defekten Gerät geschuldet war.
Mehr Kolumnen von Eric Pfeil
- Elastisch ins neue Jahr
- Auf zur Ein-Euro-Kiste!
- Stau im Schlaflabor
- Highway aus der Hölle
- Ein Monat in Musik
- Das Auge des Tigers
- Aus der Designer-Boutique
Ob man nicht doch zu Vergleichszwecken mal die andere im Haushalt verfügbare Platte auflegen könnte, fragte ich. „Unmöglich“, sagte der Mann und führte aus, dass es sich dabei um eine im Alter von etwa zwölf Jahren irrigerweise erworbene Simply-Red-Platte handele und er diese auf gar keinen Fall jemals wieder auflegen werde! Das war natürlich absolut vernünftig und einleuchtend.
Trotzdem war ich irritiert: Warum verschenkte er die Platte nicht oder warf sie weg? Er könne doch nichts weggeben, sprach nun die Frau, so sei er einfach. Da standen wir also vor dem Plattenspieler, ratlos der dezent leiernden Musik lauschend, während sich die Sonne über Düsseldorf herniedersenkte. Wir taten im Grunde das, was man im Zusammenhang mit Problemen viel öfter tun sollte: nichts. Wir fügten uns in das Mysterium.
Als ich abends vor demRechner saß, wäre ich beinahe der Versuchung erlegen, mir die Platte der Bad Examples im Internet anzuhören. Dann aber fiel mir eine Wette ein, die ich vor Jahren mit einem Freund eingegangen war. Gegenstand waren die mutmaßlichen Vornamen der Mitglieder der Kölschrock-Band Kasalla, von der wir beide keine Ahnung hatten. Ich insistierte, die Mitglieder müssten aufgrund ihres Jahrgangs zwangsläufig Basti, Flo, René und Nils heißen, während er behauptete, sie hießen Timo, Jan, Dennis und Daniel. Entscheidend war, dass wir nie überprüften, wer von uns recht hatte.
Ich glaube, was ich sagen will, ist dies: Ohne Mysterien kommen wir nicht weiter. Weder bei Kasalla noch bei leiernden Platten. Und bei Düsseldorf sowieso nicht.