Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Wenn der Rücken zwickt
Wenn einen Joni Mitchells „Blue“ durch den Tag bringt, muss es doch auch Lieder über Rücken- und Ischiasschmerzen geben!
Folge 262
Kürzlich hatte ich Rücken. Eigentlich habe ich mittlerweile immer Rücken – ich bin inzwischen Rücken. Eine
Folge der Vielschreiberei. Wie pflegt der deutsche Hobbyhumorist zu sagen: Augen auf bei der Berufswahl!
Wobei ich vermutlich auch im Rahmen eines je den anderen Gewerbes Rücken bekommen hätte. Jedenfalls hatte ich neulich ganz besonders stark Rücken. Wie ein 160-Jähriger schleppte ich mich böse verkrümmt durch die Tage, und wann immer ich mir im Spiegel begegnete, sah ich aus wie eine besonders misslungene Plastik eines Outsider ArtSkulpteurs.
Ich handelte wie jeder vernünftige Mensch in einer solchen Situation: Statt mich in Muskelaufbau und Rückenbildung zu üben, suchte ich Trost in der Popmusik. Es gibt Lieder über alles, folglich muss es auch Lieder über Rückenleiden geben. Und wenn einen Joni Mitchells „Blue“ durch Tage der Traurigkeit bringen kann, so meine Logik, muss es doch Songs geben, die den Hörer huckepack durch die Welt tragen, wenn das Iliosakralgelenk zwirbelt. Doch die Lage ist trister als ein langer Vormittag im Wartezimmer eines Orthopäden: Das erste Stück, auf das ich bei meiner Recherche stieß, trägt den Titel „Ich hab Ischias“. Es handelt sich um einen „Gagsong“ eines gewissen Sebastian Müller, seines Zeichens Radiokomiker oder dergleichen. Linderung ist, wie so oft, wenn in Deutschland ein „Gag“ gemacht wird, nicht zu erwarten: Nach dem Hören des Stücks hat man noch mehr Ischias.
Auch der nächste angezeigte Song – „Lied vom Rücken, der mich schwach macht“, eine semiprofessionelle Veröffentlichung eines gewissen Wolfgang Paul –, vermochte den Schmerzen wenig entgegenzusetzen. Wer nun hoffte, wenigstens die internationale Popmusik setze auf dem Sektor des Rückenliedes nennenswerte Akzente, sieht sich getäuscht: Hie und da wird mal ein „bad back“ erwähnt; das war es aber auch schon.
Mit viel gutem Willen kann „Beast Of Burden“ von den Rolling Stones als Beispiel für Rücken-Rock gelesen wer den – er kann aber auch von allem anderen handeln. 1974 veröffentlichte Carly Simon den Song „Haven’t Got Time For The Pain“. Auch ihr Text rankt sich nicht um Muskelschmerz oder dergleichen, wurde aber immerhin in den späten 80er Jahren in den USA als Werbesong für das Schmerzmittel Medipren verwendet.
Es ist wohl schlicht so, dass dem Thema Rücken, anders zum Beispiel als dem Besingen von seelischem Weh, kein Glamour innewohnt. Songs über Ischialgien oder Lumbalgien sorgen im Festival-Pit verständlicherweise nur für wenig Korkenknallen. Und da die Alten ja überwiegend so tun, als wären sie nur die älteren Jungen, kommt der potenziell identifikationsstiftende Betreff auch bei Boomer-Stars nicht wirklich zum Tragen.
Apropos: Die einzigen Rockstars, von denen verbürgt ist, dass ihnen Knochen oder Muskeln zu schaffen machen, sind der bedauernswerte Phil Collins und Bob Dylan. Während bei Ersterem eine schwere Wirbelsäulenverletzung das vorzeitige Ende aller Live-Aktivitäten nach sich zog, gibt es bei Dylan, wie meistens, nur Gerüchte: Angeblich ist des Musikers Verzicht auf das Gitarrenspiel zugunsten des Pianos nicht nur eine künstlerische Entscheidung. Seit Jahren reist er mit einem Masseur.
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Am Ende ist es dann doch ein Künstler deutscher Zunge, der sich des Themas mit der gebotenen Komplexität annimmt: Der weitsichtige Klaus Lage ist der einzige Musiker, der in einem seiner Songs nicht nur Rückenschmerz als solchen adressiert, sondern auch die einzige Lösung präsentiert. Er tut dies Mitte der 80er Jahre auf dem Zenit seines Erfolgs mit dem Stück „Tante Lu“, das sich an eine Physiotherapeutin wendet.
„Warum heißt die so bescheuert?“, werden Sie vielleicht fragen. Sie haben ja recht: komischer Name, ganz gleich, in welchem Beruf. Aber so waren die Zeiten damals! Lage singt von seinem durch zu viel Herumsitzerei erworbenen Schmerz und feiert im Refrain die Erlöserin: „Denn du walkst mich durch wie Teig/ Und du klopfst mich windelweich/ Deine Massage ist der Clou, Tante Lu.“ Es ging wohl um den Reim.
Aber was schreibe ich hier? Es hilft alles gar nichts. Ich gehe jetzt zu meiner Osteopathin, danach war bislang immer alles wieder in Ordnung. Ich frage auch, ob sie Lages „Tante Lu“ kennt.