Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Weckerleuchten und andere neu entdeckte Sommerlieder
Über einen monothematischen Plattenabend ganz im Zeichen des Sommers
Folge 117
Wenn sie diese Zeilen lesen, dröhnt um uns herum der Sommer. Vielleicht regnet es. Vielleicht auch nicht. Vielleicht ist es ja so heiß, dass Sie diesen Text nur spärlich bekleidet lesen. Ach was, Sie sollten ihn unbedingt spärlich bekleidet lesen, es ist einer dieser Texte. Ich schreibe ihn jedenfalls vollständig bekleidet. So oder so: Es ist Sommer.
Ich habe gestern Abend nur Lieder über den Sommer gehört, es ergab sich so. Vielleicht lag es ja auch daran, dass er hier gerade eher so vor sich hin dümpelte. Das erste Lied, das ich auflegte, war „The Green Fields Of Summer“ von 2010, ein Duett des ehemaligen J.-Geils-Band-Sängers Peter Wolf und Neko Case: „Now is the time with the trees full of song“ heißt es da wohlig. Doch die Ahnung, dass es bald zu Ende geht mit den flatterhaften Tagen, wird zunehmend spürbar: „This is the time I will carry down with me/ When I’m lost and forgotten in the cold fields of winter.“ Große Kunst.
Lied Nummer zwei war „Rote Schuhe“ aus dem Jahr 1995, ein frühes Stück des wunderbaren Funny van Dannen. Selten wurde das euphorische Gefühl, das sich sommers einstellen kann, so trefflich besungen: „Wenn die Mädchen rote Schuhe tragen und die Städte wolln ans Meer/ (…)/ Dann ist der Sommer da/ Und er bleibt das ganze Jahr.“ Natürlich geht es hier um die romantische Idealisierung des Sommers, nicht um dessen grimmige Realität, die bekanntlich von irrig tätowierten Menschen und verkrampften Leichtigkeitsvortäuschern beherrscht wird. Aber mit dieser grimmigen Seite des Sommers beschäftigen sich ja allenfalls singende Kabarettisten.
Das dritte Stück stammt aus dem Jahr 1981, heißt „Summer On A Solitary Beach“ und findet sich auf einem der besten Alben des italienischen Songwriters Franco Battiato. Das Stück klingt, wie es heißt: Der Sänger sitzt am Strand und sehnt sich nach Afrika, derweil es herrlich synthiepluckert. Ein Song, der auch jenseits aller Italopop-Klischees für Glückseligkeit sorgt. Der parteilose Battiato war als Teil der sizilianischen Regionalregierung zwischenzeitlich mal Dezernent für Tourismus, Sport und Veranstaltungen. Nachdem er die Parlamentspräsidentin beleidigt hatte, war er es nicht mehr.
Das vierte Sommerlied höre ich jedes Jahr mindestens einmal. Ich bin sonderbar fasziniert von dem Stück. Die Rede ist von Konstantin Weckers „Wenn der Sommer nicht mehr weit ist“, zu finden auf der 1976er Platte „Weckerleuchten“. Dem Album, auf dem es von Flöten und Congas nur so wimmelt, liegt ein Poster bei, das aussieht, als hätte es zwischen 1976 und 1982 in jeder Provinzstadt-Teestube an der Wand gehangen. (Außer in der Teestube meiner Heimatstadt, Bergisch Gladbach. Da hing ein Poster, auf dem stand: „Krieg ist nicht gut für Kinder und andere lebende Dinge“ oder so ähnlich.) Der Song ist der Wahnsinn im Liegestuhl: Wecker, damals 29, schnauft und gurrt sich durch Sätze, die nur so triefen vor Lüsternheit: „Wenn der Sommer nicht mehr weit ist/ Und der Himmel ein Opal/ Weiß ich, dass das meine Zeit ist/ Weil die Welt dann wie ein Weib ist/ Und die Lust schmeckt nicht mehr schal.“ Am Schluss entlässt uns der Sänger mit früh erlangter Weisheit: „Und dann will ich, was ich tun will, endlich tun/ An Genuss bekommt man nämlich nie zu viel/ Nur man darf nicht träge sein und darf nicht ruhn/ denn Genießen war noch nie ein leichtes Spiel.“ Musikalisch ist das Stück bester Liedermacher-Prog und gemahnt ein wenig an die Ostrock-Auswüchse jener Ära.
Leider war es das letzte Sommerstück, das ich an diesem monothematischen Plattenabend daheim zum lautstarken Einsatz bringen konnte. „Sofort ausmachen!“, dröhnte es vom Balkon gegenüber. Irgendwelche spießigen Jugendlichen hatten da wohl keinen Bock auf Weckerleuchten.