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Eric Pfeils Pop-TagebuchKolumne

Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Was man NICHT in den Platten-Grabbelkisten finden will

Was kein Herz begehrt: Eine Grabbelkiste als Plattenladen, in dem es alles gibt, was man nicht will: Kevin Johnson, Paul Nicholas und die Far Corporation

Folge 256

Als ich unlängst in der Telefonwarteschleife meines Hausarztes festhing, dachte ich: Sieh an, er hat also doch Humor! Zu meiner Begeisterung nämlich lief dort die Guns-N’-Roses-Version von „Knockin’ On Heaven’s Door“, genauer gesagt, das Gitarrensolo. Grundgütiger, dachte ich, das werde ich mit meinem Arzt besprechen müssen, wenn ich ihm beim zu ergatternden Termin mein aktuelles hypochondrisches Portfolio präsentiere! Es war dann aber doch nur irgendeine ähnlich klingende Muzak. Enttäuscht legte ich auf.

Gerade merke ich, dass ich schon im letzten Pop-Tagebuch beim Arzt weilte. Und „Zweimal hintereinander Arzt“, so die alte Kolumnistenregel, „ist Mist.“ Ich berichte daher lieber über einen Schallplattenladen in der Innenstadt. Es handelt sich eigentlich nicht um einen echten Schallplattenladen, da das Geschäft zwei zentrale Anforderungen an eine solche Fachhandlung vermissen lässt: erstens eine anheimelnd rüde Verkäuferattitüde und zweitens begehrenswerte Platten.

Stattdessen hat man es hier mit einer popmusikalischen Resterampe zu tun, mit einem Geschäft gewordenen 3-Euro-Fach, einer 200-Quadratmeter- Grabbelkiste. Ich liebe das Geschäft: Hier gibt es alles, was man nicht will, bestens erhalten und für wenig Geld. Ein Eldorado für Fans uninteressanter Musik. Nirgendwo sonst kann man sich derart günstig mit Mainstream-Platten eindecken, die bei ihrer Veröffentlichung horrende Auflagenzahlen hatten, heute aber niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Ganz gleich ob Deutschrock-Vergeblichkeiten, 80er-Jahre-Unfug oder Fransenjeans-Rock: Hier gibt es alles, was kein Herz begehrt.

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Beispiele gefällig? Kennen Sie Kevin Johnson? Ich kannte ihn auch nicht, aber in diesem faszinierenden Laden gibt es einiges von dem Mann. Johnson ist ein australischer Künstler, der wohl der Sparte Country-Rock zuzurechnenen ist. Sein größter Hit war 1973 „Rock And Roll (I Gave You The Best Years Of My Life)“, der selbst im Oldies-Radio für Kehrausstimmung sorgen dürfte. Roger Whittaker und Tom Jones coverten seine Songs, 1982 nahm er mit James Last für dessen Werk „Nimm mich mit Käpt’n James auf die Reise“ das Stück „My Bonnie Lies Over The Ocean“ auf – sicher eine sehr gute Idee, womöglich aber auch der Sargnagel für seine Karriere.

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Ebenfalls komplett vergessen, außer in diesem Tempel des Unkanonischen, ist das Werk des englischen Sängers und Schauspielers Paul Nicholas, der seine Stimmbänder in nahezu jedem Musical erzittern ließ, das je aufgeführt wurde. „Cats“, „Doctor Dolittle“, „Hair“: Nicholas war stets zur Stelle. Seine Nicht-Musical-Aktivitäten streifen oft das Genre des Novelty Songs. Auf seinem Album „Paul Nicholas“ findet sich das Lied „Grandma’s Party“, das so klingt, wie es heißt.

Ach, ich bin so gern in diesem Laden! Man ist dort so warm umgeben von der Erkenntnis, dass die Popgeschichte nicht nur von ikonischen Figuren in anbetungswürdiger Couture, sondern auch von kaum unter Genieverdacht stehenden Handwerkern geschrieben wurde – und das nicht immer in Schönschrift. Auch beruhigend: Es gibt Musik, die tapfer der Wiederentdeckung trotzt. Erst gestern hielt ich ein Album der Far Corporation in Händen. Die Far Corporation war ein von Frank Farian (Boney M., Milli Vanilli) in den mittleren 80er-Jahren zusammengetrommelter Haufen Musiker, deren künstlerisches Ziel offenbar darin bestand, archaische Rockstarposen, schlimme Schlagzeugsounds und artengeschützte Frisuren unter ein Dach zu bringen. Was Letzteres angeht, wusste vor allem Sänger Robin McAuley beeindruckende Akzente zu setzen. Weitere Mitglieder der Far Corporation rekrutierten sich aus Bands wie Barclay James Harvest, Toto und Foreigner.

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Am Schlagzeug wirkte der Allesvolltrommler Curt Cress. Größter Hit der Band war eine Coverversion von „Stairway To Heaven“. Hat man diese gehört, muss man eigentlich sofort zum Arzt. Aber da hängt man ja doch wieder nur in der Warteschleife. Das Leben: ein einziges Anklopfen

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