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Eric Pfeils Pop-TagebuchKolumne

Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Voodoo, Baby!

Dylan meets Wiener Waschweib: Die spontane Belobhudelung eines Liedermachers

Folge 121

Eigentlich sollte dies ein wüst zusammengeklatschter Text werden, in dem ich einen dringenden Besuchsbefehl für die bevorstehende Tournee der Surf-Psychedeliker The Growlers mit einer Kaufempfehlung für den kompletten Backkatalog der Band NRBQ verknüpfen wollte. Zwischendurch plante ich noch, ein paar Seitenhiebe auf zwei, drei hochgeschätzte Altrocker sowie die eine oder andere unhaltbare These zum weiteren Verlauf der Populärmusik­geschichte einzustreuen. Ein akuter Begeisterungsanfall aber ließ mich umdenken. Ihr ergebener Kolumnist fühlt sich nämlich von einer derartigen Zuneigung zu einem jungen Musiker überschwappt, dass er diese Kolumne einzig und allein zu dessen Belobhudelung nutzen will.

Der in Wien ansässige Sänger Voodoo Jürgens hat eine Platte gemacht, mit der ich nicht gerechnet habe. Ich habe überhaupt nicht mit Voodoo Jürgens gerechnet, letztjähriger Österreich-Boom hin oder her. Aber seit „Ansa Woar“, so der Titel seines Debüts, bei mir unverhofft eingetrudelt ist, wundere ich mich nur noch, warum ich mich nach genau diesem Typen nicht schon seit Jahren gesehnt habe. Es sei an dieser Stelle gesagt: Ich höre kaum deutschsprachige Musik. Mir gefällt schlicht nicht besonders viel. Mir fehlen – außer bei den von mir in diesem Blatt schon viel gepriesenen Kofelgschroa, einigen Rappern und vermutlich ein paar Leuten, die ich gerade ungerechterweise vergessen habe – Typen, Figuren und Geschichten. Mir fehlen eine Haltung, eine eigene Sicht auf die Dinge und die Konsequenz, etwas durchzuziehen, das zwar womöglich an etwas erinnert, das man so aber noch nicht kannte. Von alledem gibt es bei Voodoo Jürgens reichlich.

Beste Rollenprosa

Voodoo Jürgens, ein dürrer Haken von vielleicht Ende 20, hat für seine erste Platte die besten Lieder geschrieben, die es seit Langem in, nun ja, deutscher Sprache zu hören gab. Eines vorab: Diese Songs sind so gänzlich durchwienert, dass Hirsch, Am­bros oder Danzer im Vergleich wie Leiter eines Kursus für Hochdeutschpflege klingen. Wer sich mit dem ­Wienerischen schwer­tut, kann hier eigentlich schon die Lektüre abbrechen. Gebürtig stammt der Sänger aus dem niederösterreichischen Kaff Tulln, dem er auch eines seiner anrührendsten Lieder widmet – und es ist womöglich genau dieses Provinzielle, dessen Nachwehen den Stücken so guttun. Man spürt: Der Typ ist nicht etwa in einem Wiener Szeneschuppen als „guter Beobachter“ gezeugt worden. Nein, hier weiß einer hörbar, wo’s wehtut, und wen dieses „Tulln“-Stück nicht rührt, der ist nicht mehr mein Freund.

Andererseits geht es hier nicht ums Authentische. Vieles ist im allerbesten Sinne ausgedacht: Songs wie „Gitti“ oder „Alimente“ sind beste Rollenprosa und spürbar von Tom Waits beatmet – allerdings frei von dessen Nachtclub-und-Kunstsalon-Manierismen. Natürlich steht Jürgens mit seinen Charaktersongs auch ganz selbstverständlich in der Tradition der Wiener Volkssänger: Es geht, ganz ohne Sozialkitsch, um traurige Boxer und Fixerleichen.

Musikalisch wird meist angenehm unvirtuoses Gitarrenspiel geboten. Mal gibt es Bandbegleitung, mal bleibt’s karg. Am besten ist Voodoo Jürgens, wenn er sich nur auf der schranzigen Akustikgitarre begleitet. Das Schönste aber ist die vollkommen unerhörte Stimme, die aus diesem dürren Kerlchen kommt: ein Quäken, das sich oft anhört, als wäre der Geist des ’66er-Dylan in ein keifendes Wiener Waschweib gefahren. Eine Stimme, die Instrument ist und nur in diesem Dialekt mit all seinen gedehnten Lauten funktionieren kann.

Sie merken schon, hier herrscht nichts weniger als Begeisterung. Voodoo Jürgens schafft es, dass ich ihm jedes Wort, das ich nicht verstehe, glaube. Ach, und falls Sie nichts mit Voodoo Jürgens anfangen können: Gehen Sie wenigstens zu einem Konzert der Growlers!

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