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Eric Pfeils Pop-TagebuchKolumne

Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Mensch oder Tänzer

Weshalb unser Kolumnist ein leidenschaftlicher Solo- und Heimtänzer ist – aber zu Gesellschaftstänzen und Tanzkursen nicht taugt.

Folge 276

Ich muss Ihnen an dieser Stelle mit einer Frage zu nahe treten: Tanzen Sie? Fährt Ihnen, sobald beschwingte Musik ertönt, der Rhythmus mit derartigem Mark und Nachdruck ins Bein, dass sie gar nicht anders können, als augenblicklich ins Zucken zu geraten?  Oder zählen Sie vielmehr zu jener Gattung, für die gelegentliches rhythmisches Kopfnicken oder Fußtappen bereits die größtmögliche Form der Entgrenzung darstellt?

Was mich angeht, so darf ich mit Fug und Recht behaupten, Tänzer zu sein. Bevor meine Leserinnen mich nun aber als virtuosen umhertrippelnden Dancefoor-Dandy und Passagier der Nacht imaginieren, muss ich präzisierend eingreifen: Ich bin Solo- und Heimtänzer. Die Welt der Diskotheken und Clubs war nie mein Habitat, was daran liegt, dass hier mein Einfuss auf die Musikauswahl allzu gering ist und mir zu viele andere Menschen im Weg herumtanzen.

Man muss das Tanzen in sich haben

Nein, ich tanze zu Hause, hier aber umso leidenschaftlicher. Kaum habe ich ein Stück mit mehr als 85 BPM aufgelegt, geht es los; ich kann gar nichts dagegen unternehmen, meine Angehörigen auch nicht. Weltvergessen fliege ich durch die Räume, werfe meine Extremitäten von mir und bin pures, trunkenes Jetzt. Ich kann nur jedem empfehlen, es mir nachzutun: Die tristen Händel des Tagesablaufs sind sofort vergessen. Aber klar, man muss das natürlich in sich haben.

Was die klassischen Standardtänze angeht, bin ich dagegen schlankweg bar jeder Kenntnis. Schlimmer noch, das Thema ist traumatisch aufgeladen: Auf dem Zenit meiner Pubertät spülte es mich, wie nahezu all meine Freunde und Schulkameraden, in die Tanzschule. Hier entpuppte ich mich als absoluter Nonvaleur. Während sich die anderen recht ansehnlich zu zeitgenössischen Popsongs von Matt Bianco oder Sade über das Parkett schoben, wollten mir die vermaledeiten Schrittabfolgen einfach nicht ins Hirn.

Am Abschlussabend, den ich schon meinte mit Ach und Krach ganz gut über die Bühne bekommen zu haben, trat ich dann auch noch der Mutter meiner Tanzpartnerin böse auf den Fuß und ruinierte somit etlichen Menschen den Abend. Ich habe daraufin schlagartig alles vergessen, was ich zuvor so schmerzvoll erlernt hatte.

Vor einigen Jahren wollte meine Frau noch mal mit mir einen Tanzkurs machen. Ich konnte noch so sehr von den seelischen Verletzungen berichten, die ich zu Pubertätszeiten erlitten hatte – sie ließ sich nicht abbringen. Immerhin konnte ich sie auf eine einzelne Privatstunde herunterhandeln. Wir verfügten uns also
an einem grauen Donnerstag in die Tanzschule.

Der Tanzlehrer sah aus wie Loriot, der in einem Sketch einen Tanzlehrer spielte. Er war aber nicht das Problem, das war erwartungsgemäß ich: Mit selten zu erlebender Steifheit trippelte ich seinen Anweisungen hinterher, während meine Frau zwischen Belustigung und Scham oszillierte. Mit zunehmender Fassungslosigkeit ruckelte der Tanzlehrer immer wieder an meinen Hüften und Beinen herum: Was ich da veranstaltete, musste ihm wie ein bitteres Gleichnis auf die Sinnlosigkeit allen Daseins vorkommen; es ist nicht auszuschließen, dass der Mann nach der Stunde sämtliche seiner Tanzlehrerdiplome unter irrem Lachen verspeist und auf Auftragskiller umgeschult hat.


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Erschwerend hinzu kam, dass das Trauerspiel meinen düsteren Erinnerungen zufolge zur Musik von Vaya Con Dios oder den Gipsy Kings stattgefunden hat, beides Gruppen, die im Ranking meiner Lieblingsbands eher hintere Plätze einnehmen und mich hier mit ihrer überbordenden Klangschaffe zu verhöhnen schienen. Ich fühlte mich wieder wie mein hölzernes 15-jähriges Selbst; irgendwo in der Ferne hörte ich meine Restwürde aufstöhnen.

Doch sollte mein Beispiel nicht betrüben, sondern Mut machen: Ich habe mich nicht unterkriegen lassen. Die Freude an der ungeschulten Umsetzung von Musik in Bewegung konnten mir meine Niederlagen auf dem glitschigen Parkett des Gesellschaftstanzes nicht nehmen.

Mein Rat: Schieben auch Sie daheim öfter mal die Möbel beiseite und klären Sie für sich die größte aller Menschheitsfragen: Are we human or are we dancer?

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