Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Singen auf Anhöhen oder Umnachtung im Frühstücksradio
Ich mag keinen Neo-Soul, aber das gefällt mir.
Folge 43
Wenn ich morgens verquollen in die Küche wanke und das Radio anmache, läuft immer ZAZ.
Mir verhilft das keineswegs zu einem gelungenen Tageseinstieg, denn ich finde ZAZ eher ungut. Ich war mal auf einem Konzert der Dame. Außer mir waren fast nur kinderreiche Familien anwesend, die fast alle aussahen, als wären sie eben von einer Moselwanderung gekommen. Falls sich das missverständlich las: Die Kinder waren natürlich auch anwesend. Denn bei ZAZ darf man länger aufbleiben, sie singt schließlich auf französisch.
Ich vermute, dass es nicht wenige Menschen gibt, die, wollen sie ZAZ beschreiben, das Wort „quirlig“ verwenden. Ich finde quirlige Menschen nicht sooo toll. Ich habe mal gelesen, ZAZ habe vor einigen Jahren mal ein Konzert auf dem Mont Blanc gegeben, nachdem sie diesen ohne Hubschrauberhilfe bestiegen hatte. Auch das muss nicht sein, meine ich. Keiner meiner Lieblingsmusiker käme auf die Idee, den Mont Blanc hinaufzukraxeln, um dort quirligen Zigeunerjazz-meets-Franzosenpop-für-die-ganze-Familie-Käse zu veranstalten. Ein paar ZAZ-Songs sind übrigens ganz in Ordnung.
Wenn im Frühstücksradio zufälligerweise mal nicht ZAZ läuft, dudelt man dort bevorzugt Neo-Soul ab. Ich weiß von keinem Neo-Soul-Heini, dass er je den Mont Blanc bestiegen hätte, aber das muss man jetzt auch nicht zwingend als positives Argument für Neo-Soul ins Feld führen.
Wahrscheinlich denken die Radio-Menschen: „Wenn morgens deutsche Radios zur Untermalung des Müsli-Zusammenrührens und Toast-Beschmierens eingeschaltet werden, sollte dies stets von ZAZ oder Neo-Soul untermalt werden. ZAZ und Neo-Soul sind quirlig, positiv und lassen einen zwischen den schlimmen Nachrichten über grimmige Machthaber aus Russland oder der Türkei kurz denken, dass auf jeden grimmigen Machthaber mindestens 346 nette Neo-Souler kommen, die jederzeit bereit wären, irgendwelche Steilwände emporzusteigen und, auf dem Gipfel angekommen, Neo-Soul zu singen.“
Ich finde übrigens Nick Waterhouse ganz fantastisch. Nick Waterhouse macht keinen Neo-Soul.
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Letztens durchstreifte ich einen großen Mediamarkt, als ich einer eklig betitelten Compilation ansichtig wurde: „Ich mag keinen Jazz, aber das gefällt mir“ hieß das Objekt. Ich glaube nicht, dass ich eines Tages eine CD mit dem Titel „Ich mag keinen Neo-Soul, aber das gefällt mir“ erwerben werde. Auch der Sampler titels „Mich widert Nu-Metal an, aber das finde ich ganz ok“ wird ebenso wenig in meinen Warenkorb purzeln wie die Zusammenstellung „Also, eigentlich finde ich ja, total einheitlich produzierter Deutschpop-Scheiß soll sich gehackt legen, aber, na ja, der Kram hierdrauf ist ganz in Ordnung, zumal die Bands, wenn man sie kennenlernt, total nett sind“.
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Mein aktuelles Lieblingsalbum erscheint offiziell erst im Mai. Es stammt von einem begnadeten Country-Sänger namens Sturgill Simpson. Mal ganz abgesehen davon, dass ich den Namen Sturgill anbete, kann der Mann einfach alles: Songs schreiben, singen und Gitarrespielen. „Metamodern Sounds in Country Music“, so der heitere Titel seines zweiten Albums, ist keineswegs das Werk eines weiteren karobärtigen Hippie-Schnullis. Auf dem erfreulich kurzen Album wird vielmehr die klassische Nashville-Outlaw-Lehre gepredigt.
Lustig: Der Song „The Promise“ klingt wie ein uralter Entschuldigungsschnulzer aus den Siebzigern, den er sich bei Waylon Jennings oder Merle Haggard ausgeborgt haben könnte. Tatsächlich handelt stammt der Song im Original von der One-Hit-Wonder-Synthie-Truppe When In Rome. Drei Songs weiter, bei „It Ain’t All Flowers“ lässt Sturgill dann seine Band von der Leine und lässt die Bandmaschinen rückwärts laufen. „4 guys, 4 days and 4 reels of tape“ umreißt Simpson die Koordinaten der Aufnahmesession. Super Platte!
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Tolle Reaktion eines Kunden im Plattenladen auf den Frage des Verkäufers, ob er eine bestimmte Platte schon gehört habe: „Ich versteh‘ das, aber ich hab das lange hinter mir gelassen.“
So wird es Ihnen womöglich auch mit diesem Text gehen. Ich wünsche Ihnen einen erhebenden restlichen Tag. Tun Sie etwas Schönes: Vielleicht benennen Sie sich oder ihr Kind in Sturgill um. Tun Sie nur eins nicht: Kaufen Sie keinesfalls die geldschneiderische CD „Ich verachte Musik von Musikern, die Anhöhen erklimmen um dort zu singen, aber im Falle dieser Stücke hier muss der Prophet eben zum Berg getragen werden oder so ähnlich“. Ach, und lassen Sie Neo-Soul hinter sich!
PS: Solidarität mit dem Gebäude 9. Wenn dieser Club auch noch zumacht, geht ein weiteres Licht im immer schummriger werdenden Land aus.