Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Rüde und öde
Vom Hören und Sammeln von Popmusik – und vom Schreiben und Sprechen darüber
Folge 140
Es gibt Tage, da mag ich gar keine Musik hören. Darüber lesen aber geht fast immer. Neulich begegnete mir ein Artikel über einen Mann, der 800 verschiedene Exemplare des Bananenalbums von Velvet Underground sein Eigen nennt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich wissen will, wie der betreffende Gentleman riecht, aber seine Hingabe nötigt mir doch einigen Respekt ab.
Ich habe selbst einige Platten doppelt, manche dreifach. Nicht aus Schusseligkeit, wie man annehmen könnte, sondern weil ich bestimmte Lieblingsplatten, immer wenn sie mir irgendwo begegnen, einfach aus dem jeweiligen Plattenfach oder der jeweiligen Flohmarktkiste befreien muss. „Easy Pieces“, das zweite, oft geschmähte Album von Lloyd Cole And The Commotions etwa. Das erste Album von Lloyd Cole sollte man ohnehin etwa siebenmal besitzen, handelt es sich doch um eine der besten Platten der 80er-Jahre. Aber „Easy Pieces“ liegt mir, vielleicht gerade wegen einiger Unzulänglichkeiten, fast noch mehr am Herzen. Ähnlich verfahre ich mit Robyn Hitchcocks „Globe Of Frogs“, das ich regelmäßig an Freunde verschenke.
Wie gesagt, es geht nicht ums Sammeln. Es geht ums Befreien. Ums Verschenken. Ums Unter-die-Leute-Bringen. Die Bananenplatte habe ich kein einziges Mal. Ich liebe die Bananenplatte, aber sie ist wohl bei irgendeiner Exfreundin gelandet. Ist nicht schlimm, ich kann sie auswendig. Wann immer man mir gegenüber sitzt und mein Blick ins Leere schweift, denke ich nicht etwa nach – nein, ich höre in meinem Kopf die Bananenplatte.
Weiterhin las ich in einem britischen Magazin ein altes Interview mit Mark Oliver Everett von den Eels. Darin machte der Musiker seinem Unmut über deutsche Musikjournalisten Luft. Er habe, so Everett, einst einen Tag mit Promotion in Deutschland verbracht, und jeder einzelne Interviewer habe das Gespräch mit dem Hinweis darauf eingeleitet, was für ein schwieriger Gesell Everett angeblich doch sei, vor allem in Interviews mit deutschen Musikjournalisten. Dies habe dafür gesorgt, dass er sich den gesamten Tag darum bemüht gesehen habe, sich zwecks Wiederherstellung seines Rufs als möglichst netter Kerl zu präsentieren. Er habe es aber gleichwohl als wichtig empfunden, den deutschen Schreibern mitzuteilen, welch schlechten Ruf sie unter amerikanischen Musikern genießen. Dies erkläre auch, warum er und viele andere Musiker im Umgang mit deutschen Interviewern nicht besonders einfach seien. Die Interviewtechnik deutscher Journalisten sei „horribly weird“. „They manage to be both extremely rude and extremely boring all at once.“
Sicher, deutsche Musikjournalisten können ulkig sein. Ich bezweifle etwa, dass britische Musikschreiber Sonderbarkeiten verfassen wie „Country aus Hildesheim? Unglaublich, aber wahr!“. Einige deutsche Musikschreiber scheinen nicht ganz mitbekommen zu haben, was in einer globalisierten Musikwelt so alles an ultracrazy shit möglich ist. Da wird sich oft und gern ganz irrsinnig über den fadesten Käse gewundert. Ich würde gern mal ein Interview mit Mark Oliver Everett lesen, in dem ihm von deutschen Musikjournalisten Hildesheimer Country (unfassbar!), Bielefelder Raggamuffin (WTF!?) und Tübinger Psychedelic-Appalachen-Dubstep (NEIN!!) vorgespielt wird.
Mark Oliver Everett ist einer dieser Musiker, über die ich lieber lese, als ihre Musik tatsächlich zu hören. Ähnlich verhält es sich mit Noel Gallagher. Und dann gibt es die Sorte Musiker, über die ich ebenso ungern lese, wie ich ihre Musik höre.
Eben erreichte mich noch die Information, dass ein Comeback der Cranberries ins Haus steht. Dies sei hier ganz ausdrücklich nicht begrüßt.
Der Autor besitzt vielleicht auch mehrere Exemplare von Platten von Jonathan Richman, aber keine mit Countrymusic aus Hildesheim.