Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Pluckern hinterm Vorhang oder Saufen wegen ZAZ
Unser Kolumnist kann einfach nicht verstehen, was man an der französischen Sängerin ZAZ finden kann. Dafür hört er mit Vergnügen Jackie Lynn und Kofelgschroa.
Folge 126
Ich habe neulich einen dieser Tests gemacht, bei dem man anhand von 12 Fragen mit popkulturellem Bezug sein Alter errechnen lassen kann. Das Ergebnis war von nicht unbeträchtlicher Schlagkraft. Ich bin 167 Jahre alt. Bestärkt durch dieses Ergebnis, so nahm ich an, sollte sich mein neues Pop-Tagebuch eigentlich von selbst schreiben.
Dann aber passierte die vergangene Woche: Trump wurde zum neuen amerikanischen Präsidenten gewählt, Leonard Cohen und Leon Russell starben, Kevin Morby spielte und ich war nicht da – und dann wurde ich an meinem 47. Geburtstag auch noch tatsächlich 167 Jahre alt. Ich weiß nicht, welches dieser Ereignisse mich am meisten aushebelte. Jedenfalls habe ich diesmal nur Flickwerk zusammenbekommen
Warum immer ZAZ?
Liebes Deutschlandradio Kultur, ich höre dich ja wirklich sehr gerne. Deine Moderatorenredakteure gebieten allesamt über angenehm schnurrende Stimmen, und auch programmlich ist das, was ich da immer beim Müslizusammenrühren höre, ausgesprochen erbaulich. Danke dafür. Eine Frage aber muss gestellt werden: Warum immer ZAZ? Warum ständig und dauernd ZAZ? Damit tut man Frankreich nun wirklich keinen Gefallen. Ich glaube sogar, die Franzosen lachen darüber, dass an deutscher Programmplanungsfront alltäglich am ZAZ-Altar gekniet wird.
Ich muss das hier mal so sagen: ZAZ ist ganz schlimm. Dieses enervierend quirlige Straßenmusik-trifft-Zigeunerjazz-trifft-Kinderpop-Gejuxe mit klawitteriger Handgemachtsheitattitüde, zu dem vor dem geistigen Auge unentwegt Jonglierkeulen durch die Luft fliegen, ist für das deutsch-französische-Verhältnis am Ende sehr schlecht. Die Franzosen müssen uns auf Basis unserer ZAZ-Liebe für noch kulturell verwirrter halten als wir tatsächlich schon sind. Wenn ich für jeden ZAZ-Song, den Deutschlandradio Kultur am Tag spielt, einen Korn trinke, bin ich bald ein blindes Huhn.
Jackie Lynn
Wenden wir uns erhabeneren Themen zu: Meine momentane Lieblingssängerin heißt Jackie Lynn. Bei ihrem Konzert im Kölner King Georg bleibt die Frau während ihres gesamten Auftritts hinter einem halbdurchsichtigen Vorhang verborgen. Das ist nur konsequent, handelt es sich bei Jackie Lynn doch um ein faszinierendes popmusikalisches Phantom.
Hinter der Kunstfigur mit Cowboyhut und weißem Pseudo-Nudie-Suit steckt Haley Fohr, eine Avantgarde-Musikerin aus Franklin, Tennessee, die zuvor unter dem Moniker Circuit Des Yeux tätig war und im Info zu ihrem im Juni erschienenen aktuellen Album mit Äußerungen wie der folgenden zu erfreuen weiß: “I’ve always been the source of action. My mom didn’t even make it to the hospital before I decided to come into this world. She had to lie right down on the sidewalk in front of Rolling Hills Hospital as doctors hovered around to help. It was storming that morning, and right as I was coming into the world a bolt of lighting fell from the sky, striking my mother right in the belly. They say I shot out of her like a bullet from a gun, right into oncoming traffic.”
Die Musik zu der distanzierten Inszenierung klingt mitunter, als hätten Suicide den Soundtrack zu einem David-Lynch-Film komponiert und hierfür Scott Walker als Gastsänger gewinnen können. Mit irritierend tiefer Stimme singt Jackie Lynn zu sonorem Synthie-Pluckern, das immer wieder in minutenlanges akustisches Actionpainting mündet. Als nach knapp 45 Minuten nach mehr verlangt wird, informiert die Unnahbare hinterm Vorhang, dass sie leider keine weiteren Stücke parat habe. Von daher: „Let’s all drink beer!“. Womöglich ist die bodenständige Aufforderung am Ende gar die größte Irritation an diesem an schönen Irritationen reichen Abend.
Tropfkerzen-Inszenierung von Kofelgschroa
Beim Kofelgschroa-Konzert in der Kölner Kulturkirche wurde das monumentale Titelstück des neuen Albums dann tatsächlich zur ganz großen Tropfkerzen-Inszenierung: Auf einer alten Philicorda, einer elektronischen Heimorgel, die erstmals in den Sechzigern auf den Markt kam, wird da drauflosgenudelt, dass man mitunter meint, Jon Lord selbst stünde da im wabernden Trockeneisnebel. Wikipedia weiß zum Thema „Philicorda“ übrigens Folgendes beizutragen: „Bekannte und bekennende Philicorda Spieler im deutschsprachigen Raum sind/waren die Kölner Band „Locas In Love“, die Musiker der Gruppe „Paula“, der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch sowie der Musiker Danny Dziuk (Stefan Stoppok, Dziuks Küche).“
Erinnerung an Leonard Cohen
Und dann geht also einen Tag vor Neil Youngs und meinem 118. Geburtstag im Alter von 82 Jahren und doch so überraschend der große Leonard Cohen, den ich in den letzten Wochen wieder so häufig gehört habe. Wie es ihm – gerade im Spätwerk – gelungen ist, dem Dunklen immer wieder mit Komik zu begegnen, gehört zum Erhabensten, was im „Tower of Song“ zu Papier gebracht wurde. „We are ugly but we have the music.“