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Eric Pfeils Pop-TagebuchKolumne

Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Paranormale Druiden auf Ölkrisenvinyl

Die vierzigste Folge von Eric Pfeils Pop-Tagebuch - inklusive der Liste "Albumcover mit Porträts von konsterniert dreinblickenden Musikern".


Folge 40

Bei meinem letzten Besuch im Schallplattengeschäft plumpste dem Verkäufer ein Wort aus dem Mund, das ich seither täglich anbete. Ich wühlte mich gerade durch ein Fach mit der Aufschrift „Beatles„, das Plattenhändler schändlicherweise gerne auch zum Abstellen von Wings-Platten nutzen, als das magische Wort im Kassenbereich fiel. Das sei „Ölkrisenvinyl“ sprach er, während er einem Kunden eine erbetene Platte zur Begutachtung in die Hand drücke, dennoch handele es sich um eine tadellose Pressung.

Ölkrisenvinyl! Welch Glanz diesem Wort innewohnt. Ob es Menschen gibt, die ausschließlich Ölkrisenvinyl sammeln? Da es bekanntlich alles gibt, ist wohl davon auszugehen. Auch ich will mir von all meinen Lieblingsplatten je ein Ölkrisenexemplar sichern. Vielleicht tue ich ja auch einfach einmal im Leben etwas Sinnvolles und eröffne in einem raren Moment finanzieller Sicherheit ein Presswerk, das auf Wunsch Lieblingsplatten auf Ölkrisenvinyl nachpresst. Das Leben: Hinter jeder Ecke lauert eine neue Option.

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Falls irgendwann mal jemand anfragt, ob ich etwas zur Liste „Albumcover mit Porträts von konsterniert dreinblickenden Musikern“ beizusteuern habe, so wären dies meine Vorschläge:

Platz 3: Dave Edmunds – Get It

Platz 2: Paul McCartney – McCartney II

Platz 1: Julian Cope – Skellington

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Die Psychedelic-Band mit dem besten Namen, das muss einfach immer wieder betont werden, waren The Electric Prunes („I Had Too Much To Dream Last Night“). Die elektrischen Dörrzwetschgen: In Deutschlands Plattenläden wären sie, Psychedelic hin oder her, im Blödel-Rock-Fach gelandet.

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Apropos elektrische Dörrzwetschgen: Man sollte übrigens mehr alte Julian-Cope-Platten hören. In der Sektion „Post-Syd-Barrett-Brit-Exzentriker mit Spannkraft“ gewinnt der Mann ja auch heute noch jedes Seifenkistenrennen, leider macht er nicht mehr ganz so tolle Musik. Seine Alben der Achtziger und Neunziger aber sind einfach nur wunderbar. Zum Einstieg empfehle ich das düstere, größenwahnsinnige „Jehovakill“-Album: ein musikalisches Standartwerk zum Thema Religion. Fast genau so gut ist „Peggy Suicide“. Auch groß: das autokritische Konzept-Album „Autogeddon“. Wie der wilde Mad Max wettert Cope hier gegen die Autokultur. Ein Song trägt den anmutigen Titel „Paranormal in the West Country (Medley: Paranormal Pt. 1“ / „Archdrude’s Roadtrip“ / „Kar-ma-kanik“. Ja, so müssen Songs heißen. Kurz danach rutschte Cope dann ins Druidentum ab, Rückkehr eher ausgeschlossen.

Der fortgeschrittene Cope-Connaisseur sollte unbedingt auch Bekanntschaft mit seinen beiden tollen Lo-Fi-Alben machen: das bereits erwähnte „Skellington“ (dessen Cover den Künstler in arger Drogen-bedingter Zerrüttung zeigt) und das vielleicht noch schönere „Droolian“ (dessen Cover einen Hund zeigt). Ein Lied auf „Skellington“ heißt „Out Of My Mind on Dope and Speed“, was ganz gut zur dargebotenen Musik passt. Alle erwähnten Werke dürften nur schwer auf Ölkrisenvinyl zu erhalten sein.

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Mein bisheriger Lieblingssong des Jahres ist „Harlem River“ von Kevin Morby, der bislang als Mitglied von Woods und The Babies in Erscheinung trat. Auf „Harlem River“ konnte sein Wirken in beiden Bands freilich nicht vorbereiten: Welch Magie! Als hätte sich Chris Isaac dazu entschlossen, ein waberndes Psychedelic-Mantra zu intonieren. Sagen Sie Folk-Dub dazu, wenn Sie wollen. Sie müssen aber auch gar nichts dazu sagen. Gut neun Minuten ist der Song lang, und in diesen neuen Minuten kommt mehrheitlich nur ein Akkord zum Einsatz. Im dazugehörigen Video gibt es Hula-Tanz in Kalifornien, der titelgebende Fluss ist nicht zu sehen. Der Rest von Morbys Album ist traditionellere, wenngleich gekonnte Songwriter-Ware und tönt nach Dylan, Cohen und Reed. Das tun viele, zugegeben, aber Morby ist einfach besser als der Rest.

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So, Sie wissen, was zu tun ist: Gehen Sie in den nächsten Plattenladen. Reißen Sie dort die Wings-Platten aus dem Beatles-Fach, erkundigen Sie sich nach neuen Entwicklungen im Marktsegment „Blödel-Rock“, kaufen Sie alles von Julian Cope und Kevin Morby und erkundigen Sie sich abschließend unbedingt, ob es „I Had Too Much To Dream Last Night“ auf farbigem Ölkrisenvinyl gibt! Yeah!

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