Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Musik zum Schmunzeln
Allen Menschen, die danach trachten, die Zeit anzuhalten und mal wieder mußevoll Sinnlosigkeit zu buchstabieren, sei das Umherblättern in Frauenzeitschriften dringend empfohlen. In den Magazinen wird auch verraten, mit welcher Musik Sie den "Arbeitsplatzblues" bekämpfen.
Folge 83
Als ich neulich im Wartezimmer meines Schönheitschirurgen saß, bot sich mir endlich wieder die Gelegenheit, in aller Ruhe einige Frauenzeitschriften zu durchblättern.
Ich sage Ihnen jetzt mal was: Allen Menschen, die danach trachten, die Zeit anzuhalten, alles ganz rasch zu entschleunigen und mal wieder mußevoll Sinnlosigkeit zu buchstabieren, sei das Umherblättern in Frauenzeitschriften dringend angeraten. Bringt mehr als drei lila Yogamatten auf einmal.
Besondere Anziehungskraft übte auf mich ein Artikel mit der Überschrift „Unsere Tricks für den Job-Alltag“ aus. Diverse Redakteurinnen stellten hier den offenbar verzweifelten Leserinnen ihr geballtes Wissen zur Verfügung. Und die Tipps waren keineswegs von schlechten Eltern: „Mit Pumps, Blazer und Seidenbluse bin ich immer auf der richtigen Seite“ wusste eine Autorin zu berichten und dürfte damit Millionen in Kleidungsfragen verunsicherten Damen aus der Patsche geholfen haben. Eine andere Schreiberin nahm sich des heiklen Brennpunkt-Themas „Arbeitsplatzverwaltung“ an und riet: „Mit bunten Boxen und dem richtigen Licht arbeitet es sich gleich besser.“
Doch das alles war gegen nichts gegen die Tipps der mit dem delikaten Thema „Arbeitsplatzblues“ befassten Journalistin. Unter der Überschrift „Die Stimmung ist im Keller. Was hilft?“ fand sich die folgende vor Kompetenz nur so dampfende Antwort:
„Ganz klar, Musik. Für mich der beste und schnellste Gute-Laune-Booster. Meine Top 3: „Denken Sie groß“ von den deutschen HipHoppern Deichkind pusht das Selbstbewusstsein, die Lyrics lassen schmunzeln. Die Funknummer „Uptown Funk“ von Bruno Mars und Mark Ronson geht direkt in die Beine und stimmt perfekt aufs Wochenende ein. Gut nebenbei kann man die neue Platte „Gracetown“ von San Cisco hören – das ist Surferpop zum Runterkommen.“
Man könnte jetzt eine Menge schreiben. Zum Beispiel, dass gar nicht soviel „Surferpop“ produziert werden kann, um sich von diesem Blödsinns-Booster zu erholen. Oder dass Musik, die man „gut nebenbei“ hören kann, vielleicht am Ende gar keine Musik ist. Oder dass Musik, die ein „Booster“ ist und irgendetwas „pusht“, sich selbst sonst wohin pushen kann. Auch stimmt mich die Vorstellung, von „Lyrics“, die „schmunzeln“ lassen, ganz unschmunzelig. Gäbe es das ehedem auf Kompilationen spezialisierte Label K-Tel noch, könnten mir die Hit-Zusammensteller dieser untergegangenen Plattenfabrik einen totalen „Boost“ verschaffen, indem sie den Sampler „Musik zum Schmunzeln“ herausbrächten. Ganz gleich, ob sie bei der Büroarbeit hilft oder nicht – es sollte mehr Musik zum Schmunzeln geben.
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Ich habe mir gerade die vermeintliche Nebenbei-Surf-Musik von San Cisco mal angehört. Nicht nebenbei, sondern hauptsächlich.
Was soll man sagen? Ich mag die Band gar nicht beschimpfen. Ich mag überhaupt keine Bands mehr beschimpfen. Bands haben meistens so viel zu tun, dass sie gar keine Zeit haben, sich gegen irgendwelche Schreiberlinge in Beschimpfungslaune zu wehren. San Cisco jedenfalls machen ganz hübsche Popmusik mit Fistelgesang, Schellenkränzen, Fuzz-Bässen und Handclaps. Man kann sicher gut Studentenparties dazu feiern, müsste sich aber vorher an irgendeiner Uni einschreiben. Hierzu ist schlicht keine Zeit!
Hört man ihre Musik im Büro, wird man sich vermutlich nicht durch die Band angefeuert fühlen, im Büro des Chefs vorbeizulatschen und dort mal einen richtigen schönen Mitarbeiteraufstand anzuzetteln oder einen Schlechte-Laune-Boost mit allem Drum und Dran zu veranstalten. Nein, alles wird seinen gewohnten Gang weitergehen. Man wird Mails verfassen, Sachen ausdrucken, Telefonate führen und Termine einhalten. Warum auch nicht? Es muss auch Musik geben, zu der weitergearbeitet wird.
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Ich höre übrigens beim Arbeiten nie Musik. Ich höre auch nie Musik, wenn ich über Musik schreibe. Ob das irgendetwas zu bedeuten hat? Wahrscheinlich ja.
Meine Leserinnen werden sich vermutlich gerade etwas ganz anderes fragen: Gibt es im weiten Pop-Country gerade nichts Wichtigeres als die Durchhaltetipps irgendwelcher Frauenzeitschriftenredakteurinnen? Doch, natürlich: David Bowie hat Lou Reeds Zusammenarbeit mit Metallica als des Sängers Meisterleistung bezeichnet! Hierüber lässt sich trefflich schmunzeln. Auch ganz ulkig: Menschen, die am Record Store Day irgendwelchen exklusiven U2-Kram gekauft haben, sahen sich daheim überraschenderweise mit Musik von Tool konfrontiert. Wahrscheinlich weil irgendein Praktikant, der entweder sehr humorbegabt ist oder von einem akuten Gute-Laune-Boost heimgesucht wurde, falsch eingetütet hat. Ich habe mit beiden Bands nicht viel am Hut. Ich hoffe, dass, sollte ich mir je aus Versehen eine U2-Platte kaufen, Musik von, sagen wir: Jonathan Richman darinnen ist.
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Den Record Store Day habe ich übrigens wieder einmal aus Versehen boykottiert. Es gab aber auch nichts, was mich interessiert hätte. Ich habe ohnehin dauernd Record Store Day. So, nun will ich das Arbeitsgerät aber rasch beiseite legen. Es gilt Musik zu hören! Mehr noch: Ich werde mich eigenhändig an die Herstellung der Playlist „Die 40 größten Schmunzel-Klassiker“ geben. Das Ergebnis setzt es beim nächsten Mal hier!