Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Moskitos an der Ostseeküste
Am Wochenende fährt Pfeil zum wohl verdienten ROLLING STONE Weekender. Vor Antritt der langen Reise durchstöbert er noch mal sein heimisches Plattenregal …
Folge 68
Wenn Sie diese Aufzeichnungen lesen, habe ich mich bereits mit geschnürtem Bündel auf den Weg zum Rolling Stone Weekender gemacht, wo ich am kommenden Samstag Lieder singen und Texte vortragen werden. Da keine Bahnen fahren, werde ich wohl trampen. Ich werde mit meinem Gitarrenkoffer am Straßenrand stehen, den Daumen in den Wind recken wie weiland Udo Lindenberg und den freundlichen Menschen, die sich meiner tatsächlich erbarmen mit meinen selbstgeschmierten Broten das Auto vollkrümeln. Wenn Sie zufällig auch am Samstag zugegen sein sollten, kommen Sie doch zum Konzert: Ich werde dort von meinen Abenteuern auf der Reise berichten.
Jetzt schon berichten möchte ich über eine Dame, die nicht nur über einen tollen Namen gebot, sondern auch gesanglich einen der schönsten Tränenzieher der Sechziger Jahre trällerte. Die Dame: Skeeter Davis. Der Song: „The End of the World“, geschrieben von keinem Geringeren als Chet Atkins. Mir begegnete das Stück unlängst mal wieder in einer TV-Sendung, und seither bekomme ich es schlicht nicht mehr aus dem Kopf. Auch Agnetha Fältskog hat das Lied mal gecovert, aber das tue ich hier nur kund, weil ich mal wieder den Namen Agnetha Fältskog schreiben wollte, den man aufgrund seiner Anmut nicht of genug schreiben kann.
Skeeter Davis hieß nicht immer Skeeter Davis. Geboren wurde sie als Mary Frances Penick. Den Spitznamen Skeeter (Moskito) bekam sie bereits in ihrer Jugend verpasst, da sie offenbar ein rechter Wirbelwind war. Besagter Song blieb ihr größter Hit, doch konnte sie, als sie 2004 verstarb, auf eine lange Karriere zurückblicken. In den Achtzigern nahm die Sängerin mit den grandiosen Eklektizisten von NRBQ das Album „She Sings, They Play“ auf. Es muss nicht die schlechteste Erfahrung gewesen sein, denn nur zwei Jahre später ehelichte sie Joey Spampinato, den Bassist der Band. NRBQ, das sei hier noch erwähnt, wurden eine zeitlang von einem Manager betreut, der zuvor als Profi-Wrestler tätig war. Ich glaube, wenn mein Manager ehemaliger Profi-Wrestler wäre, müsste ich nicht zum Rolling Stone Weekender trampen. Oder gerade.
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Gedanke beim gestrigen Durchstöbern des S-Fachs in einer Schallplattenfachhandlung: Der Bandname Sigmund Und Seine Freunde hat Chancen darauf, die Sieger-Plakette in der Kategorie „Dämlichster Bandname aller Zeiten“ angeheftet zu bekommen.
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Gedanke beim Sichten des E-Fachs im heimischen Plattenregal: Ganz gleich, wie viele Platten ich mir von Dave Edmunds kaufe, das E-Fach wird wohl immer das am kargsten bestückte Fach in meinem Schrank bleiben.
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Eigentlich höre ich ja momentan nur noch Platten von Doug Sahm. Aber vor ein paar Tagen kam nach langer Zeit mal wieder Musik von einer Newcomer-Band hereingeflattert, die zum Aufhorchen Anlass gab: Cristobal and the Sea nennt sich das Quartett, der erste Tonträger, der demnächst auf Cityslang erscheint, trägt den Namen „Peach Bells EP“. Die Mitglieder der in London ansässigen Band stammen aus Spanien, Portugal, Frankreich – und London. Das hört man diesem fließenden, mäandernden Tropicalia-Folk durchaus an. Vor Jahren hätte man ihnen irgendetwas von „Freak Folk“ hinterhergerufen. Ich möchte ihnen jetzt gar nicht soviel hinterherrufen, sondern mich lieber ohne große Ruferei an ihrer Musik freuen.
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Wo ich eben Joey Spampinato erwähnte: Dessen NRBQ-Kollege Terry Adams war vom Nachnamen seines Bandkollegen derart begeistert, dass er in ehrerbietender Absicht gar einen Song mit dem Titel „Spampinato“ schrieb. Ich glaube, wenn man Spampinato heißt, Skeeter Davis ehelichte und auch noch bei einer der besten Bands der Welt Bass spielte, hat man alles erreicht im Leben. NRBQ haben sowieso alles erreicht, was man als Musiker erreichen kann: Bei „The Simpsons“ waren sie zwei Staffeln lang die Hausband, und in George A. Romeros versplattertem Gnadenhammer „Day Of The Dead“ spielen sie ein paar Zombies. NRBQ haben alles geschafft. Es gibt sie sogar immer noch, wenngleich von den Ur-Mitgliedern nur noch Terry Adams dabei ist. Alleine diesem Adams gebührt alle Wertschätzung der Welt, hat er den Fährnissen des Lebens doch stets mit Humor getrotzt. Ich meine, der Mann hat einer schweren Krankheit getrotzt und ein Solo-Album namens „Terrible“ veröffentlicht. Wer wollte da schon wegen Bahnstreiks und ein bisschen Tramperei an die Ostseeküste jammern.