Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Mit Schrottinstrumenten auf dem Weg zu mir oder Dir
Ich muss in die nächste Polo-Filiale. Vielleicht ist Rocco Recycles Dreiradbühne ja auch schon da. Aber was ist schon eine Dreiradbühne gegen einen Thron aus Flammen?
Folge 36
Ich weiß, ich weiß: Ich neige dazu, mich mit völlig bedeutungslosen Details aufzuhalten. Manchmal rauschen komplette Filmhandlungen an mir vorbei, weil mich der Schnauzbart irgendeines Nebendarstellers so massiv irritiert. Kürzlich gab es wieder solch einen Fall. Mir fiel die Konzertankündigung eines Musikers in die Hände, der für sein Projekt den Namen Rocco Recycle gewählt hat: „Die Ein-Mann-Band in Silber soll schon im Vorprogramm von Carlos Santana gespielt haben und in etlichen Polo-Filialen (…) Ob mit eigener mobiler Dreiradbühne (…) oder auf der Straße: Rocco Recycle rockt mit selbstgebauten Instrumenten aus Schrott. (…) Und wenn er Rockklassiker von Motörhead bis AC/DC recycelt, dann spielt er alle Instrumente selbst.“
Abgesehen davon, dass ich mir nicht ganz sicher bin, was von der Idee, auf Schrottinstrumenten Rockklassiker darzubieten, zu halten ist – zumal auf einer mobilen Dreiradbühne – will mir eine Frage einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen: Was ist eine „Polo-Filiale“? Was kann man dort erstehen? Gerätschaften fürs Polo-Spiel? Polo-Hemden? Motorräder der gleichnamigen Marke? Oder sind Polo-Filialen schon seit langem ein beliebter Auftrittsort für aufstrebende Szene-Bands? Kann ja sein, dass immer mehr popkulturelle Entwicklungen an mir vorbeigehen. Gab es vielleicht gar schon eine Ausgabe der Musiksendung „Tracks“, in der das Konzertieren in Polo-Filialen zum neuen heißen Ding ausgerufen wurde? Äh, und was ist eigentlich eine mobile Dreiradbühne?
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Die Vorgruppe der Kölner Punkband Mülheim Asozial heißt Kackschlacht. Wollte ich nur mal sagen. Ob die auch in Polo-Filialen auftreten? Ich glaube nicht.
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Schaue mir das Berliner Konzert von Ennio Morricone an. Nein, er dirigiert leider nicht die herrliche Musik zu „Vamos a matar Companeros“, auch seine Dario-Argento-Soundtracks bleiben unaufgeführt. Aber neben dem ebenso obligatorischen wie tränentreibenden Leone-Material lässt er tatsächlich den Edel-Easy-Listening-Klopper „Come Maddalena“ durch die Arena schweben; auch das strenge „Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto“ wird geboten. Laufe danach mit tränenfeuchten Augen durchs nächtliche Berlin und fühle mich wie in Rom. Demnächst mehr zu diesem Thema im Heft …
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Vor ein paar Wochen lief im TV eine Peter-Maffay-Dokumentation, die den schönen Titel „Auf dem Weg zu mir“ trug. „Nun ja, solange Peter Maffay auf dem Weg zu sich und nicht zu mir ist, soll’s mir recht sein“, dachte sich wohl mancher und schaltete fröhlich ein. So auch ich, denn ich mag Peter Maffay: „Sonne in der Nacht“ zählt zu meinen deutschsprachigen Lieblingssongs, was ich schon gegenüber vielen Menschen, die bei mir zum Zwecke des Gläserleertrinkens zu Gast waren, in lautstarker Weise zum Ausdruck gebracht habe. Beste Zeile: „Und der Verstand verliert den Verstand“. Maffays größte Gabe ist wohl seine komplette Unfähigkeit zur Selbstironie, das kann dann und wann etwas sehr Erfrischendes haben.
Gleich zu Beginn der Doku, die den Künstler auf dem Weg zu sich zu präsentieren den Anspruch hatte, wusste Maffay mit profunden Musikerweisheiten zu punkten: „Ein guter Mix muss eigentlich überall gut klingen. Wir können nur nach Gefühl gehen“, grummelte er, während gezeigt wurde, wie er sich im Auto neue Aufnahmen anhörte. Auch erlebte man den Sänger beim Motorradfahren in Rockeraufmachung, derweil er unnachahmliche Sätze wie diesen sang: „Nichts hält mich auf, auf meinem Thron aus Flammen.“ Kurz: Es waren vergnügliche 60 Minuten, das lange Aufbleiben hatte sich gelohnt.
Eins frage ich mich gerade: Hießen nicht schon alle bisherigen Maffay-Alben, Maffay-Bücher und Maffay-Tourneen „Auf dem Weg zu mir“? Eine kurze Recherche ergibt: Nein, taten sie nicht! Maffay-Alben hießen „Revanche“, „Ich will leben“, „Steppenwolf“, „Lange Schatten“, „Begegnungen“ oder „Tattoos“. Ach, die Maffay-Welt ist ein bald verführerisch schimmernder, bald irrlichternder Mikrokosmos! Allerdings gab es mal eine Platte von Roland Kaiser, die „Auf dem Weg zu Dir“ hieß. Ob sich Maffay auf dem Weg zu sich und Kaiser auf dem Weg zu ihr womöglich begegnet sind? Bestimmt. Können Mikrokosmen irrlichtern? Ach, egal, denn ich muss mich nun auch auf den Weg machen. Weder zu ihr noch zu mir, sondern in die nächste Polo-Filiale. Vielleicht ist Rocco Recycles Dreiradbühne ja auch schon da. Aber was ist schon eine Dreiradbühne gegen einen Thron aus Flammen?