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Eric Pfeils Pop-TagebuchKolumne

Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Mit George Jones zum Jodlermeister

Es gibt in Stunden des Schmerzes, des Lebens- und Liebesleids keinen besseren Begleiter als George Jones. Und auch im Stau sollte der 2013 verstorbene Country-Sänger und Honky-Tonk-Heroe stets dabei sein.


Folge 71

Das Gewöhnlichste am großen George Jones war wohl sein Name. Es gibt eine Menge Menschen, die George Jones heißen. George Jones zum Beispiel. Mein liebster George Jones wird aber für immerdar der 2013 im Alter von 81 Jahren verstorbene Country-Sänger und Honky-Tonk-Heroe bleiben, der wegen seiner häufigen alkoholbedingten Konzertabsagen den Spitznamen „No-Show Jones“ verpasst bekam. Ich möchte das nicht allzu sehr vertiefen, aber die unzähligen Geschichten, die sich um Jones’ Alkohol- und Drogenexzesse ranken, sind dazu angetan, Typen wie Mötley Crüe wie eine musizierende Wellnessfarm wirken zu lassen. Einmal wurde Jones von der Polizei einkassiert, weil er auf einem Sitzrasenmäher über den Highway tuckerte. Jones befand sich mit dem Vehikel auf dem Weg zum nächsten Getränkefachhandel, da seine damalige Frau und Sangespartnerin Tammy Wynette den gesamten Flaschenbestand und die Autoschlüssel weggesperrt hatte. Ein anderes Mal wurde der indisponierte Künstler auf offener Bühne in eine Zwangsjacke gepackt und in die psychiatrische Klinik gebracht. Man kann der Meinung sein, diese wilden Mären seien dazu angetan, die falsche Art von Bewunderung und Legendenbildung nach sich zu ziehen. Aber auch wenn man nur drei, vier seiner großen Bottle-Songs kennt, wird man verstehen, dass Jones’ krawalliges Privatleben und seine Kunst nur schwer voneinander zu trennen sind.

Wie überirdisch gut der Mann als Sänger und Songschreiber ist, wurde mir am vergangenen Sonntag mal wieder klar, als ich auf dem Rückweg von einem Auftritt in Berlin etliche Stunden in einem nicht enden wollenden Stau verbrachte: Gut, dass der George dabei war und mit seiner Jahrtausendstimme Weisheiten wie „A man can be a drunk sometimes, but a drunk can’t be a man“ zum Besten gab. Die meisten Menschen rühmen Jones ja wegen seines Gesangs. Das ist auch völlig angemessen, gebot der Mann doch über eine wahrhaft bestrickende Stimme. Umso lustiger, dass er zu Beginn seiner Karriere versucht haben soll, Hank Williams’ Coyotengesang zu imitieren. Waylon Jennings soll einmal gesagt haben: „Könnten wir alle so klingen, wie wir wollten, wir würden alle klingen wie George Jones.“ Von Frank Sinatra wiederum ist überliefert, dass er Jones als den „zweitbesten Sänger in diesem Land“ bezeichnet haben soll, was Keith Richards zu der kecken Frage veranlasste, wer den bitteschön der beste sei?

George Jones sollte aber auch als Lyriker und Humorist geschätzt werden. Wegen Zeilen wie den folgenden etwa: „I’ve tried everything I know to make you happy / Never knew someone could be so hard to please / Loving you is hard and I’m not sure I’ll make it / But at least I’ve learned how to stand on my own two knees.“ Noch eine Jones’sche Lyrik-Meisterleistung: „ Well, I’ve had the lit end of a cigar pressed against my belly / Whupped on with a crowbar till my eyeball turned to jelly / Accident’ly nailed my index finger to the wall / Cut off half my toes and soaked my foot in alcohol / I’ve had my pelvis ruptued by an angry kangaroo / But nothing’s ever hurt me half as bad as losing you.“ Und dennoch: Es gibt in Stunden des Schmerzes, des Lebens- und Liebesleids keinen besseren Begleiter als George Jones. Und auch im Stau sollte er stets dabei sein.

Es sollen ja tatsächlich Menschen auf diesem Planeten herumlaufen, die der närrischen Meinung anhängen, alle Songs von George Jones klängen identisch. Diese Menschen haben keine Ohren. Wahrscheinlich haben sie noch nicht einmal Nasen.

***

Ian „Mac“ McLagan ist tot. Der von mir hochgeschätzte Robyn Hitchcock erinnert sich anlässlich dieses traurigen Umstands an einen typischen Dialog mit seinem Freund.

Mac: Here’s one for you, Robyn – what do you call a musician who’s stopped working?

Me: I dunno, Mac – what do you call them?

Mac: Dead!

(uproarious Cockney cackle)

***

Da der Stau sich auch nach mehreren Stunden nicht aufzulösen ankündigte und mir der Auftritt noch in den Knochen steckte (ich verliere pro Show locker 4 Kilo Gewicht), beschloss ich irgendwann von der Autobahn abzufahren und in einem nahegelegenen Hotel zu übernachten. Zu meiner Freude fand ich mich nach erfolgreich vollzogener Abfahrt im Harz wieder. Ich gurkte ein wenig über die bodenbenebelten Landstraßen, da fiel mir ein, dass ich neulich im Fernsehen von einer Herberge erfahren hatte, die den verführerischen Namen „Zum Harzer Jodlermeister“ trug. Geführt wurde das rustikal anmutende Haus, so lehrte mich die Fernsehsendung, von einem Herrn, der seiner Kundschaft {die zum großen Teil aus Busreisenrentnern besteht) zum Abendessen ordentlich einen vorjodelt und, mit einem Headset bewehrt, traditionelles Liedgut zum Besten gibt.

Ich machte mich auf die Suche und wurde am Ende einer besonders verlassen wirkenden Landstraße auch fündig. Als ich den Weg unterhalb des an einem Hang gelegenen „Harzer Jodlermeisters“ entlangfuhr, erschien mir das Hotel im Harzer Dezembernebel wie eine dräuende Gruselburg, in der auch Vincent Price’ Blutorgel hätte geparkt sein können. Ich schlich einmal um das Anwesen: Ja, genau so hatte ich es im TV gesehen! Ich trat ein – und mein Auftritt hätte nicht schlechter geraten können. Das Schicksal nämlich wollte es, dass ich einen Eingang wählte, der im Rücken des soeben eine glückselig lauschende Reisegruppe umjodelnden Jodlermeisters lag. Ich trat quasi durch den Backstage-Eingang auf die Bühne und zerstörte damit das vorweihnachtliche Finale der Show. Ein Rückzug war indes unmöglich. Der Jodlermeister spürte bald meine Präsenz in seinem Rücken, eilte zum nahegelegenen CD-Player und stellte das Halbplayback ab. Ich entschuldigte mich mehrfach, aber die Show war wohl dahin.

Es muss gesagt sein, dass der Jodlermeister mich dennoch sehr freundlich aufnahm und eine Harzer Spezialitäten-Platte kredenzte, von der ich noch in vielen Jahren schwärmen werde. Umso schlechter fühle ich mich. Man sollte nie einem Künstler den Auftritt durch das unverhoffte Betreten der Bühne durch den Backstageraum vermasseln – ganz gleich ob der Künstler nun Countrysänger, Jodlermeister oder Mentalist ist. Und nicht jeder, dem man das Showfinale verdirbt, schiebt einem danach noch eine Harzer Spezialitätenplatte hin.

Üben wir uns daher alle in Demut. Ich zumindest will dies tun. Sie können auch gerne irgendetwas anderes machen: Fahren Sie beispielsweise mal wieder in einen schönen Stau, entkorken die Thermoskanne mit dem Lieblingsgebräu und hören dort ein bisschen Countrymusik. Ich wiederum setze mich jetzt auf meinen Sitzrasenmäher und fahre eine Flasche Eierlikör kaufen. Das Diesseits hält so viele Reize bereit …

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