Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Jazz, Folk, Klassik und Santana
Unser Pop-Tagebuch-Autor denkt über das Crowdfunding von Joachim Witt nach – und über Carlos Santanas elektrische Schlange.
Folge 151
Heute morgen stiess ich beim ersten nutzlosen Herumlesen im Netz auf eine Meldung, der zufolge die neue Platte des Sängers Joachim Witt „Rübezahl“ heißen soll. Solch eine Information kann bei sensiblen Gemütern dafür sorgen, dass man sogleich unter irrem Augenrollen in die Tastatur beißen möchte. Dem Artikel entnahm ich, dass Witt die offenbar der deutschen Sagenwelt verhaftete Platte mit einer sogenannten Pledge-Kampagne zu finanzieren gedenkt, bei der Fans vorab soundso viel Euro spenden können, um das Werk schon vor der eigentlichen Veröffentlichung zu erhalten.
Eine kommentierende Leserin fand die Idee aber gar nicht so spitze. Stattdessen schrieb Ilsebill (Name vom Autor geändert): „Ich plätsche auch nach wie vor nicht! Obwohl ich ein Anhänger deiner Musik bin! Ich freue mich auf das neue Album dann halt ein wenig später! Aber Sorry, da bin ich auch halt altmodisch! Auch wenn’s hart klingt, mein Chef bezahlt mich auch nicht, bevor ich meine Arbeit erledigt habe!“
Musiker als Handwerker
Da wird er geguckt haben, der Joachim Witt! Und sich vielleicht gedacht haben, dass einer, der solche Fans hat, gar keine Musikkritiker mehr braucht und dass Ilsebill wohl nicht mit den problematischen Arbeitsbedingungen eines deutschen Ex-Popstars im reifen Alter vertraut ist. Aber vielleicht macht die Kommentatorin mit ihrem abschlägigen Bescheid an den geschätzten Sänger ja einen Punkt: Womöglich wäre es gar nicht schlecht, die Künstler endlich wieder als Handwerker zu betrachten. In Zeiten, da deutsche Schlagersänger als Künstler tituliert werden, wäre das womöglich kein falscher Move.
Beim weiteren digitalen Sumpfen stieß ich auf eine weitere schöne Information: Da wollte einer die Plattensammlung eines offenbar nicht allzu Web-kundigen Freundes verkaufen. Selbst mit den Gepflogenheiten der Digitalität offenbar bestens vertraut, schrieb er aber nicht einfach: „Will Platten von Kumpel loswerden. Stück 10 Euro. Jetzt aber dalli, dalli!“ – nein, der Mann wusste offenbar darum, dass eine gewisse Genre-Eingrenzung dem Kaufinteresse zuträglich sein kann. Daher schrieb er also: „Für einen Freund verkaufe ich einen größeren Posten Vinyl-Schallplatten. Schwerpunkte: Jazz, Folk, Klassik, Santana.“
„Meine Gitarre fühlte sich an wie eine elektrische Schlange“
Man kann einer solchen Plattensammlung nur mit Respekt begegnen. Was für eine anbetungswürdige Sortierung ohne alle Mätzchen: Keine albernen Beatles-, James-Brown- oder Joni-Mitchell-Platten. Joachim Witt ohnehin nicht. Nein, nur Jazz, Folk, Klassik und Santana. Die reine Lehre. Aber: Hat Carlos Santana so viele Platten herausgebracht, dass sein Werk quasi als Pop-Platzhalter mengenmäßig ebenbürtig neben Jazz, Folk und Klassik bestehen kann? Nachforschungen ergeben: 24 Studioalben hat er mit Santana als Band veröffentlicht, im Alleingang neun weitere, dazu kommen sieben (!) Live-Alben von Santana. Zugegeben, das ist deutlich mehr als bei Joachim Witt.
Beim Herumsuchen nach Santana-Infos stolperte Ihr Chronist dann über eine Schlagzeile, die ihn erneut innehalten ließ. „Meine Gitarre fühlte sich an wie eine elektrische Schlange“, zitiert der „Spiegel“ den Musiker in einer Artikelüberschrift. Ich konnte vor Schreck nicht weiterlesen, darum weiß ich nicht, ob Herr Santana in dem Gespräch eine positive oder negative Gitarrenerfahrung beschreibt.Wenn ich im musikinstrumentalen Kontext allerdings einen Wunsch äußern dürfte, dann, dass sich meine Gitarre bitte nie wie eine elektrische Schlange anfühlen möge. Auch anderen Musikern, ganz gleich wie unliebsam sie mir auch sein mögen, wünsche ich diese Erfahrung nicht. Muse etwa.
Joachim Witt sowieso nicht.