Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Ihre Flatrate-Musik kommt mir nicht ins Expedit!
Ich werde einen Protestfilm drehen: Paul Simon und der ehemalige Keyboarder von Huey Lewis & The News werden einen Tag lang beim Herumschlendern in einer IKEA-Filiale beobachtet. Am Schluss kommt noch Nick Cave dazu.
Folge 37
Auf der letzten Berlinale wurde ein Film gezeigt, in dem der Sänger Nick Cave einen Tag lang von einem Kamerateam begleitet wird. Ich schätze Nick Cave als begnadeten Düster-Komiker ja durchaus, auch trägt er stets sehr geschmackvolle Hosen. Trotzdem fürchte ich, dass ich mir nur zu gut vorstellen kann, wie dieser Film ausschaut, ein Gefühl, das sich durch die Interviews mit Nick Cave, die ich rund um die Veranstaltung hörte, nicht eben verflüchtigte. Tatsächlich wäre meine Begeisterung größer, wenn es demnächst einen Film über einen Tag im Leben von, sagen wir: Paul Simon oder dem ehemaligen Bassisten von Huey Lewis & The News im Kino zu sehen gäbe. Noch besser gefiele mir ein Film über einen gemeinsam Tag im Leben von Paul Simon und dem ehemaligen Bassisten von Huey Lewis & The News. Ich glaube, das könnte wirklich gut werden. Vielleicht petitiere ich ja irgendwo mal dafür …
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Jetzt den großen mehrstöckigen Online-Check durchführen und selig werden: „I got Wolf Maahn, which Achtziger-Jahre-Deutschrocker are you?“.
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Eigentlich höre ich ja gerade fast ausschließlich Post-Beatles-Paul-McCartney-Platten. Ausgelöst wurde diese Leidenschaft vermutlich durch meinen Keyboarder Felix Hedderich, der im Proberaum zu Aufwärmungszwecken (oder aus religiösen Gründen?) immer das Intro zu „Martha, My Dear“ klimpert. Nachdem ich eine zeitlang ausschließlich das „Ram“-Album hören konnte, wechsele ich gegenwärtig zwischen dem zerfaserten „Red Rose Speedway“ und „Band On The Run“ hin und her. Es ist schon bemerkenswert, dass Paul McCartney es hinbekommen hat, dass die Welt ihn vor allem als ewig jungshaften Komponist kulleräugiger Knallbonbon-Lieder oder cleverer Semi-Broadway-Schnulzen wahrnimmt, denn sein Werk der frühen Siebziger zeigt ihn als waschechten Brit-Exzentriker.
Wenn ich nicht gerade frühe McCartney-Solowerke vor- und rückwärts höre und auf versteckte Botschaften an mich oder die Welt untersuche, pflege ich eine andere Obsession: Ich höre mir alle verfügbaren YouTube-Versionen von Courtney Barnetts Song „Avant Gardener“ an. „Avant Gardener“ ist mein persönliches Lieblingsstück des Jahres 2013 und die Begeisterung ist noch immer nicht abgeebbt. Das Wort „Abgeebbt“ ist, wie ich gerade feststellen muss, eher hässlich. Ganz im Gegensatz zu Courtney Barnetts „Avant Gardener“, das sich anhört, als wäre Bob Dylan eine Frau, die im Jahr 2013 ein verdammt lässiges Lied über eine Panikattacke geschrieben hätte. Manchmal, in Momenten der Ödnis, erstelle ich Bestenlisten mit den zehn schönsten Live-Versionen von „Avant Gardener“. Eigentlich sind sie ja alle gut, nicht zuletzt deshalb, weil Courtney Barnett eine so schöne große Gitarre spielt. Ach, ich hatte schon ganz vergessen, wie herrlich es ist, süchtig nach einem Song zu sein …
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Das Bandfoto der Gruppe Broilers, die in dieser Woche auf Platz 1 der deutschen Albumcharts steht, sieht aus, als würde die ARD ein junges Tatort-Team vorstellen, dem Drehbuchautoren mit „Ohr für die Straße“ möglichst oft das Wort „Alter“ in die Dialoge hineinschreibt.
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Unter Petitionen gegen den Produktionsstopp des IKEA-Regals Expedit wird man meinen Namen wohl nicht finden. Ich habe zwar mehr Platten als nötig, aber der schwedische Wir-duzen-sie-jetzt-einfach-mal-Laden ist mir zuwider, ob mit oder ohne Expedit. Tatsächlich begrüße ich die Expedit-Einstellung, könnte sie doch für eine Enteinheitlichung der Wohnungsbemöbelungen von Plattensammlern sorgen. Auch die Vorstellung, Vinylsammler müssten sich ihre Regale nun selbst zusammenzimmern und wären künftig verstärkt mit Taschen voller Holzbretter, Schrauben, Sägen und anderer Werkutensilien statt immer nur mit 180-Gramm-Pressungen wiederveröffentlichter Tropicalismo-Platten anzutreffen, stimmt mich eher heiter.
Noch schlimmer übrigens als die Einrichtungs-Ranschmeißer von IKEA ist Web.de, die mich gestern mit diesem Angebot zu locken trachteten: „Sehr geehrter Herr Pfeil, mit unserer Musik-Flat können Sie von Ihrem Computer, Handy, Tablet und Audio-System unbegrenzt auf 25 Mio. Songs zugreifen und diese sogar auf Ihrem Endgerät abspeichern.“
Immer diese Spar-Stresser, die ihren Kunden versuchen, auf den Geiz-Reflex zu drücken! Ich will keine Flat! Ich will von nichts und niemandem eine Flat. Ich will noch nicht mal eine Paul-McCartney- oder eine „Avant Gardener“-Flat! Ich bin doch nicht Flat Eric!!
Entschuldigen Sie, der Gag war ein wenig erzwungen, aber das kann vorkommen. Wenigstens bekommt man bei Web.de keine Köttbullar oder anderen schwedischen Mumpitz hinterhergekocht. Ich werde einen Protestfilm drehen: Paul Simon und der ehemalige Keyboarder von Huey Lewis & The News werden einen Tag lang beim Herumschlendern in einer IKEA-Filiale beobachtet. Am Schluss kommt noch Nick Cave dazu und man wälzt sich gemeinsam im statt mit Bällen mit Kötbullar befüllten Kinderspieleparadies und schimpft über die Verflatrateisierung der Popkultur.