Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Ich bin übrigens die Bundeskanzlerin
Musikalisch bietet der neue Song von Hubert Kah, "Terrorist der Liebe", verschleppten Pop-Metal, der von einem Text gekrönt wird, der stellenweise wirkt, als hätte der Künstler ihn aus Heinz Rudolf Kunzes Altpapiertonne gefischt. Aber das Video? Es macht süchtig.
Folge 119
Wenn es eins gibt, was wir in diesen unsteten Tagen der ideologischen Zerrüttung brauchen, dann sind es Vorbilder, die nach wie vor alles auf eine Karte setzen und festgefahrenen Gewohnheiten den SPD-Finger zeigen. Anders gesagt: Was wir in diesen Tagen brauchen, ist das neue Video der NDW-Ikone Hubert Kah.
In Kürze: Hubert Kah (dessen Auftritte in diversen Schreckensformaten des deutschen Remmidemmi-Fernsehens mir entgangen sind) hat einen Song namens „Terrorist der Liebe“ produziert. Musikalisch handelt es sich hier um verschleppten Pop-Metal, der von einem Text gekrönt wird, der stellenweise wirkt, als hätte der Künstler ihn aus Heinz Rudolf Kunzes Altpapiertonne gefischt. Die Kombination von Text und Musik wirkt letztlich fast wie eine Parodie auf Foyer des Arts, ist für sich genommen aber kein Verbrechen wert. Das Video dagegen löst eine Form der Fassungslosigkeit aus, für deren Erreichen HGich.T und Fraktus ganz schön lange gemeinsam stricken müssten. Glauben Sie mir: Dieses Video kann einen Menschen verändern. Es ist magisch. Es macht süchtig.
Die Sache geht so: Hubert Kah steht mit blonder Perücke und Heinz-Schenk-Jäckchen am Wegesrand herum und freut sich lautstark auf das Eintreffen eines gewissen Joachim. Noch ist keine Musik zu hören. Mit sich führt der Musiker lediglich ein Köfferchen und einen Tuppertopf (mit Gurkensalat darin, wie sich später herausstellen soll). Bei besagtem Joachim, der auch alsbald mit einem Wohnmobil angezuckelt kommt, handelt es sich um keinen Geringeren als Joachim Witt (!), dessen frühe Platten ich eigentlich gerade im Zuge einiger DJ-Abende zu rehabilitieren plante. Kah, der aussieht wie eine Mischung aus Hape Kerkeling und Hape Kerkeling, der sich als irgendetwas Lustiges verkleidet hat, führt kurz ein vollkommen unmotiviertes Tänzchen auf, klettert umständlich zu Witt ins Wohnmobil und spricht dabei die magischen Worte: „Jetzt freue ich mich auf ein richtiges … auf unser erstes Wochenende nach langer Zeit.“ Kaum sitzt Kah im Bus, wird Witt abgeknutscht und als „Schnullipusch“ o.ä. bezeichnet. Witt tritt aufs Gas und los geht die seltsame Fahrt. Hier nun setzt der Song ein.
Die Reise führt die beiden Veteranen an einen See, wo Kah und Witt das einzig Sinnvolle tun: Sie verzehren Bockwürste mit Gurkensalat und performen. Kah drückt hierbei ziemlich auf die Tube – es kann einem stellenweise Angst und Bange werden. Witt dagegen hält sich zurück. Er schaut einfach nur aus wie Joachim Witt, der mit dem Campingbus durch die Gegend fährt. Plötzlich taucht ein weiterer Herr auf und winkt den beiden Musikern kurz zu – Kah winkt mit einer Bockwurst zurück. Bei dem Herrn handelt es sich ebenfalls um Hubert Kah, allerdings unperückt. Er trägt Anglerkleidung und fängt konsequenterweise auch gleich an zu angeln. „Träume nicht ins Jenseits / träum auch nicht ins Diesseits“ singen Kah und Witt: Die Sache fängt langsam an, Sinn zu ergeben.
Umschnitt: Eine Rocker-Bande knattert über eine deutsche Landstraße. Am See wird ein Gitarrensolo gespielt. Nicht von Witt oder Kah, sondern von einem weißhaarigen, zerknautschten Zausel im Hawaiihemdchen. Eine Rockerbraut (so sagt man wohl) tanzt lasziv dazu. Dann bricht die Musik ab und der folgende Dialog entspinnt sich:
Zausel: Hi Babe.
Rockerbraut: Hi Keith. Where is Hubert Kah?
Zausel: Hubert Kah? THAT Hubert Kah? Is he here??
Der Typ rennt wie irre über den Steg, am angelnden Hubert Kah vorbei, und wirft seine Gitarre ins Wasser. Er ist für den Rest des Videos nicht mehr zu sehen, was vermutlich als gute Nachricht gewertet werden muss. Die Rockerbraut aber schlendert zu Hubert, dessen Angel sich sogleich steil emporrichtet und küsst ihn zärtlich auf die Wange. Kah findet jetzt, dass es an der Zeit ist, abzureisen und latscht mit seinem Angelkram gemächlich über die Wiese. „Da kommt Hubert!“, schreien die Rocker, während der Kerkeling-Hubert-Kah den übrigen Gurkensalat ins Wohnmobil räumt. „Heeeeeeey, Hubert Kah!“, tönen die Rocker begeistert. „Es geht nicht immer“, wehrt Angler-Kah ab, der sich ganz offensichtlich von soviel Aufmerksamkeit bedrängt fühlt.
„Joachim, warum hast Du das gemacht?“
Handelte es sich bis hier womöglich um die durch und durch schlüssige Abbildung Kah’scher Innenwelten, wird die Sache jetzt seltsam. Plötzlich taucht Witt wieder auf und schlägt Holzpflöcke in den Boden. Der Kerkeling-Kah kommt aus dem Wohnwagen hinzugeschwankt, stellt sich vor Witt, guckt beunruhigend und sagt dann nach langer Pause: „Joachim … warum hast du das gemacht?“ Nach kurzer Irritation schwelt langsam die Musik wieder an und es wird zur Freude der Rocker weiter performt: „Ich bin ein – Terrorist der Liebe / ein Terrorist d’amour“. Dann ist das eigentliche Video vorbei. Es folgt noch ein kurzer Nachklapp: Kah sitzt mit Witt und den Rockern am Campingtisch, die Stimmung ist jovial bis feuchtfröhlich. „Ich bin zwar jetzt eine Freundin von euch“, sagt Kah, „aber ihr könnt nicht eure Obszönitäten einfach austauschen hier bei mir. Ich bin übrigens die Bundeskanzlerin.“
Ich habe das Video vor vielleicht einer Woche zum ersten Mal gesehen. Seither habe ich es mir mehrfach täglich angeschaut. Ich habe vielen Freunden von dem Clip erzählt, aber alle schienen zu glauben, ich dächte mir das alles nur aus. Manchmal wache ich morgens auf und denke selbst, dass ich das Video vielleicht doch nur geträumt habe – zu unwirklich scheint es mir in seiner unergründlichen Schönheit. Aber dann fahre ich den Rechner hoch, und es ist immer noch da. Alles scheint möglich. Wir müssen keine Angst haben.