Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Heiopeis in Nudie Suits
Wenn man gerade kein Geld hat, um sich neue Platten zu kaufen, muss man eben Platten verkaufen. Dieser Erkenntnis ließ ich am vergangenen Wochenende Taten folgen und fand mich um sieben Uhr in der Früh auf einem Flohmarkt wieder, um dort endlich all die Platten zu veräußern, die mir seit sechs Monaten nicht mehr auf den Teller gekommen waren.
Folge 115
Wie das so ist auf Flohmärkten: Man lernt innerhalb weniger Minuten mehr faszinierende Menschen kennen als auf 367 Rock-Festivals. Ganz besonders ans Herz ging mir ein älterer Herr russischer Provenienz, der sich zunächst bei mir erkundigte, ob ich denn Reggae habe. „Schade“, sagte er auf mein Verneinen hin, Reggae zu hören sei ganz so wie noch einmal zu heiraten. Während ich noch über diese Äußerung nachdachte und mein Verhältnis zum Reggae abklopfte, hatte der Mann auch schon begonnen, lautstark Anstoß an der von mir feilgebotenen Ware zu nehmen: Das sei ja alles Heiopei-Musik, sagte er despektierlich und befummelte dabei meine Platten, als bestünde die Gefahr, sich beim Anfassen eine ansteckende Krankheit zu holen. „Wie jetzt: Heiopei-Musik?“, fragte ich einigermaßen uneloquent. „Heiopei-Musik eben“, sagte der Russe und ballte seine Züge zu einer Installation des Ekels, „alles Heiopei-Musik“.
Ich habe am Ende recht viele Platten verkauft, mich einige Male sicher auch schlimm über den Tisch ziehen lassen. Aber es war vor allem die Formulierung „Heiopei-Musik“, die ich als großen Gewinn von meinem Flohmarkt-Abenteuer mit nach Hause brachte. Ich setzte mich sogleich an den Rechner, um die genaue Bedeutung des Wortes „Heiopei“ nachzuschlagen. Ich kam nicht allzu weit. Schon der erste Eintrag erklärte eigentlich alles. „Als Heiopei“, so war dort zu lesen, „bezeichnet man eine nicht charakterfeste, sprunghafte, unzuverlässige Person, die opportunistisch ihr Fähnchen in den Wind hängt.“ Noch besser war aber war der Satz, mit dem das Wort beispielhaft erklärt werden sollte: „Den Heiopei bunkert seine Möpse inne Schublade vonne Kommode vonne Omma“.Soviel ist sicher: Schon morgen werde ich mir Visitenkarten drucken lassen, auf denen „Eric Pfeil – Heiopei-Musik“ stehen wird. Überhaupt werde ich nur noch Heiopei-Musik hören. Und Reggae. Sollten Sie auch tun.
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Eine dicke Empfehlung für alle Menschen, die sich für trinkfreudige Männer mit Akustikgitarren interessieren:
„Heartworn Highways“ ist ein Dokumentarfilm, den der Regisseur James Szalapski um die Jahreswende 1975/76 über das texanische Outlaw Country Movement gedreht hat. Zu sehen sind unter anderem der kürzlich verstorbene Guy Clark, Townes van Zandt, Larry Jon Wilson, Steve Earle, David Allan Coe, Steve Young und Rodney Crowell. Wir erleben Larry Jon Wilson, wie er nach einer durchzechten schlaflosen Nacht ins Studio spaziert, gut gelaunt die Kopfhörer aufsetzt und mal eben einen unglaublichen Song („Ohoopee River Bottomland“) aufs Band zimmert. Herrlich die Szene, in der ein Mundharmonika-Overdub aufgenommen wird, und Wilson – die brennende Zigarette in der Hand – neben dem Musiker im Aufnahmeraum steht und über und über beseelt den Harp-Part mit durchlebt. Wir sehen Townes van Zandt, der in seinem Trailer „Waitin’ Around to Die“ spielt (die Szenen mit van Zandt wurden später in der Doku „Be Here to Love Me“ wiederverwendet).
Wir sind dabei, wenn Guy Clark im Hobbykeller eine Gitarre auseinandernimmt und wieder zusammenleimt und dabei über die Seele eines jeden Instruments meditiert (später spielt er auf der Gitarre eine tolle Fassung von „Texas Cooking“). Der Film endet mit einer feuchtfröhlichen gemeinsamen Weihnachtsfeier der Musiker, bei der eine „Silent Night“-Version dargeboten wird, die so schön ist, dass man dafür ganze Fußball-Europameisterschaften verpassen möchte. Meine Lieblingsszenen aber sind jene mit dem unfassbaren David Allan Coe. Der Sänger, ein langjähriger Gefängnisinsasse, tritt mit seiner Band im Tennessee State Prison auf, spielt ein paar Songs, erzählt aber vor allem von seinen eigenen Erfahrungen im Knast. Das Entscheidende aber ist Coes Klamotte: Die Tapete, in die der Mann gehüllt ist, sieht ein wenig aus, als habe ein Kind mit ausgeprägter Faszination für Superhelden-Comics versucht, einen Nudie Suit zu gestalten. Alleine die Gürtelschnalle ist das Anschauen des gesamten Films wert!
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Ob es auch Heiopei-Reggae gibt?
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Ich kann momentan nur noch einen einzigen Song hören. Und wenn ich ihn höre, ist alles in Ordnung. Die Rede ist von „Hotter than Hott“ von Calvin Johnsons Projekt Selector Dub Narcotic. Der Song ist ein Vorbote des für diesen August angekündigten neuen Albums „The Party Is Just Getting Started“. Ich empfehle dringend die Besichtigung des Videos, es legt anschaulich Zeugnis davon ab, dass Johnson offenbar seine Bill Murray-Phase geentert hat: Man sieht in einem One-Take-Shot, wie Johnson – in pinkem Hemd und mittels Gaffertape am Kopf fixierten Kopfhörern – durch die Straßen seiner Heimatstadt Olympia tanzt und gelegentlich halbherzige Playback-Versuche unternimmt. Ich bin geneigt, im Zusammenhang mit diesem Clip von der Apotheose des Tanzvideos zu sprechen. Mein eigener Clip zu „Radio Gelato“ muss sich ganz klar hinten anstellen. Das muss George Clinton gemeint haben, als er sprach: „Free your mind and your ass will follow.“ Unbedingt anschauen und mittanzen.
Überhaupt ist es an der Zeit, den Dub-Narcotic-Kopf Calvin Johnson im großen Stil wiederzuentdecken. Ich will mich in diesen Gedanken gar nicht allzu sehr hineinsteigern, aber: Möglicherweise ist der Mann der König der Heiopei-Musik.