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Eric Pfeils Pop-TagebuchKolumne

Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Flöte im Frauengefängnis

Eine Begegnung mit einem laut flötenden Nachbarn, der die letzten Fragen stellt.

Folge 277

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Der Mann, der seit einigen Monaten im Stockwerk unter mir wohnt, ist Flötenspieler. Leider kein allzu guter. Was sein Spiel an Qualität vermissen lässt, macht der Nachbar durch Lautstärke wett. Er hätte sich gut mit der Dame in dem frühen Herbert-Grönemeyer-Song „Musik nur, wenn sie laut ist“ verstanden, aber die hat wenigstens nicht Flöte gespielt.

Unlängst riss mir der Geduldsfaden. Ich saß vorm Fernseher und versuchte mir den Film „Die Bombenleger von Maiori“
anzuschauen, musste aber feststellen, dass von den ganzen Bombendetonationen im Film nichts zu hören war, weil das vermaledeite Flötenspiel alles übertönte. Ich verfügte mich also ein Stockwerk nach unten und klingelte. Als mir der Nachbar, die Flöte in der Hand, die Tür öffnete, ersuchte ich ihn höflich, sein Spiel bitte zu dimmen. Bei Nichtbeachtung, fügte ich scherzhaft hinzu, müsse ich ihn leider zum Gegenstand meines nächsten Pop-Tagebuchs machen.

Das nächste Thema des Pop-Tagebuchs

Ein Pop-Tagebuch, soso, das sei ja interessant, sagte der Mann. Und er solle zum Thema eines Eintrags werden? Nur wenn er weiter mit solchem Aplomb aufspiele, variierte ich. Der Mann dachte nach. „Und wie würden Sie den Text aufbauen?“ Nun, gab ich zur Antwort, ich würde mit seinem lautstarken Spiel einsteigen, dann unser Türgespräch anreißen und schließlich zu besonders eklatanten Fällen von Flötenspiel in der Popmusik überleiten.

„Ah, ‚Locomotive Breath‘ und so …“, nickte er nachdenklich. „So was in der Art, ja“, antwortete ich. Er wolle mir ja nicht in meine Arbeit reinreden, sprach der Mann nach weiterem Nachdenken, aber es gebe natürlich weit interessantere Themen. „Ach, welche denn?“, fragte ich neugierig. Ich könne beispielsweise darüber schreiben, dass Musiker-Biopics immer langweilig seien, schlug er vor. Während ich seine These noch überprüfte, ergänzte er, dass der Text in der Erkenntnis münden müsse, dass die Nichtverfilmbarkeit von Musik der nachdrücklichste Beleg für die singuläre Kraft dieser Kunstform sei.

„Ich weiß nicht“, sagte ich. „Kein Problem“, sprach der Flöter. „Dann vielleicht ein Text darüber, dass Pop und Politik die Rollen getauscht haben.“ Politik, führte mein Gegenüber aus, sei heute knallig und grell, ständig auf refrainartige Parolen aus und versimpelnd. In „Populismus“ stecke schließlich das Wort „Pop“ schon drin. Singender Söder, tanzender Trump und so. Pop hingegen sei schrecklich ernst und moralisch geworden und stelle verstärkt den Inhalt über die Form. „Ich weiß nicht, ob ich dazu einen Zugang finde“, gab ich zu. Das mache doch nichts, wehrte er ab.

„Wie wäre es denn mit einem Eintrag, der endlich alle großen Fragen der Popmusik gebündelt beantwortet: Wenn Sahra Wagenknecht eine Yacht-Rock-Band wäre, welche wäre das? War ‚Magic‘ das letzte gute Springsteen-Album? Warum sieht man in den sozialen Medien ständig Fotos von Popstars, die ach so bodenständig Bahn fahren? Gibt es gute Songs von Barclay James Harvest?“

Mir schwirrte der Kopf. Um dem Gespräch ein Ende zu setzen, log ich, dass ein auf dem Herd stehender Topf meine Rückkehr erfordere. „Nur eine Frage noch“, sagte ich: „Welche Flöte spielen Sie eigentlich?“ Der Nachbar streckte mir strahlend sein Instrument entgegen. „Eine Shakuhachi-Flöte, eine japanische Bambusflöte mit fünf Grifflöchern,
sie wird häufig in der Meditationsmusik eingesetzt.“


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Wir verabschiedeten uns herzlich und ich ging nach oben. Dort angekommen hackte ich „Shakuhachi im Pop“ in die Suchmaschine und fand heraus, dass in dem Song „Nobody’s Listening“ von Linkin Park eine Shakuhachi zu vernehmen ist. Gespielt wird sie von dem Multiinstrumentalisten und Stand-up-Komiker (!) David Zasloff. Gebürtig aus der Bronx, komponierte er mit vier Jahren seinen ersten Song. 2017 steuerte er die Musik zu dem Film „Dracula In A Women’s Prison“ bei.

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Ich sah von meinem Rechner auf. Ein Biopic über das Leben dieses Mannes – es würde keinen Moment der Langeweile enthalten.