Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Extremfrisuren und Spitzbärte – wiedergehörter US-Indie-Krempel
Unser Kolumnist wühlt sich durch lange nicht mehr gehörte Indie-Platten der 80er und Früh-90er.
Folge 209
Die Tage werden länger und das Leben immer kürzer. Die Leute reden von „Freiheit“ (Marius Müller-Westernhagen). Brillengläser beschlagen. An einigen Orten steigt Rauch auf.
Unterdessen gräbt sich Ihr ergebener Chronist weiter durch lange nicht mehr gehörte Indie-Platten der 80er und Früh-90er. Bisweilen „mit Gewinn“, wie sein alter Englischlehrer sagen würde. Die heute vorgestellten vier Alben sind ganz klar dem Bereich „Musikalische Postkarten aus einer anderen Zeit“ zuzuschlagen und haben mit heutigen Produktionsgepflogenheiten wenig zu tun. Doch auch Retro-Kuscheligkeiten wird die Tür gewiesen, dafür sind die vorgestellten Platten letztlich zu anstrengend. Wenn Sie hier schauen wollen …
GREG SAGE – „STRAIGHT AHEAD“ (1985)
Das erste Solo-Album des Wipers-Chefs und Extremfrisurenträgers Greg Sage ist eine ausgesprochen räudige Platte, was ich unbedingt als Kompliment verstanden wissen möchte. Die Songs auf „Straight Ahead“ sind derart primitiv und roh, daß sich andere mit amerikanischer Wurzelbehandlung befasste Kollegen (Green on Red etc.) im Vergleich wie englische Landadelige ausnehmen. Seite eins des Albums enthält stoisch runtergeschrappten Southern-Gothic-Folkrock, der (wie bei „The Illusion Fades“) auch schon mal wavige Tendenzen zeigt. Auf der B-Seite verflüchtigt sich Sages punkrockige Americana-Interpretation dann oft ins Sphärische oder tönt wie Neil Youngs „On The Beach“ in schwarzweiß. Greg Sages bollerigen Gesang mag man als Manko ansehen, dabei macht gerade der natürlich den Unterschied. Eine für Grillparties eher ungeeignete Platte. Wobei: Kommt drauf an, was und wie man grillt. Ich vergebe acht von zehn Extremfrisuren.
ANGST – „MYSTERY SPOT“ (1987)
Das vierte Werk der kalifornischen Schrammler Angst gilt vielen als ihr bestes. Über weite Strecken klingt das Trio hier wieder wie eine unterprobte Version der Violent Femmes minus Hormonstau minus Altes Testament. In ihren weicheren Momenten erinnern die drei Musiker auch schon mal an diverse Neuseeland-Bands jener Ära, nur um mit „Colours“ haarscharf am Country-Schunkler mit Träne im Bier vorbeizumusizieren: „Black and blue looks good on you / Black and blue, the colours will do“. Frank Black bekannte sich später dazu, für die Pixies massiv bei Angst stibitzt zu haben. Man hört das nicht unbedingt. Ein letztes Album (mit neuem Schlagzeuger) folgte noch, war aber nicht mehr ganz so gut. Auf „Mystery Spot“ liefern Angst noch einmal Post-Punk mit viel Herzblut und Schülerband-Gestus und stehen damit für einen Typus Band, wie es ihn heute nicht mehr gibt. Dafür setzt es acht Frank Blacks auf Eis.
UNIVERSAL CONGRESS OF – „THE SAD AND TRAGIC DEMISE OF BIG FINE HOT SALTY BLACK WIND“ (1990)
Noch ein SST-Album. Universal Congress Of galt der Zeitschrift „SPEX“ Ende der 80er als das Größte seit Erfindung des Matschbrötchens. Und das, obwohl die Bandmitglieder wie Straßenmusiker aussahen, die mancher nur ungern zu lange in der WG-Küche sitzen haben mochte. Universal Congress of waren vor allem das Projekt des Supergitarristen und Spitzbartträgers Joe Baiza (Ex-Saccharine Trust), dessen erklärtes Ziel darin bestand, Ornette Colemans Konzept der Harmolodics (einer Art Free-Jazz-Spielart des Funk) mit gehörigen Dosen aus der Gewürzschatulle des Post-Punk zu befeuern. Das Ergebnis ist ultranervöser, von allen Taranteln gestochener Freak-Funk, der auch vor Slap-Bass-Einsätzen nicht zurückschreckt. Manchmal könnte man meinen, es mit einer wibbeligen Jazz-Fassung der Grateful Dead oder einer amphetaminisierten Version der Lounge Lizards zu tun zu haben. Für meinen Geschmack profitiert die ganze Angelegenheit übrigens sehr davon, daß der ungemein virtuose Gitarrist Baiza gottlob ein sehr unvirtuoser Sänger ist. Ich vergebe sieben Spitzbärte.
THE WOLVERTON BROTHERS – „SUCKING HIND TIT“ (1992)
Die Wolverton Brothers aus Cincinatti dürften hierzulande weitestgehend unbekannt sein. Von dem kleinen Hype, den ihr Label Okra (Fellow Travellers, The Schramms) zu Beginn der 90er erlebte, konnte die Band jedenfalls nicht profitieren, was auch daran gelegen haben dürfte, daß die Brüder wie das komplette Gegenteil der prominenten Label-Vertreter klang. Entspannter Folk? Pustekuchen! Melancholische Autofahr-Musik? Hau mir ab! Um es klar zu sagen: Die Wolverton Brothers können im falschen Moment Kopfschmerzen verursachen; als Hintergrundmusik taugt dieses Album, ein Hybrid aus Blues, Psychedelia und Punk, eher nicht. Manch Rezensent ließ sich damals zu Vergleichen mit dem Gun Club hinreißen. Lässt man sich auf diesen Vergleich ein, muss jedoch gesagt werden, daß die Gebrüder Wolverton die psychotischen Neigungen des Gun Club durch Beknacktheit substituieren. Muss man wohl live gesehen haben. Ich vergebe sechseinhalb Okraschoten.
So, das war’s für heute. Beim nächsten Mal setzt es hier entweder „Perlen des 80er-Deutschrock“ oder „Wiederveröffentlichte Coldwave-Delikatessen“. Oder ganz etwas Andreas (Grobschnitt). Auf Wiederhören.