Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Event-Labern
Einige – natürlich nicht haltbare – Anmerkungen zu den Inszenierungen von Konzerten.
Folge 142
Ich bin heute einmal so richtig schön in Pauschalisierungslaune. Ein wunderbarer Anlass, um einmal ein paar so freilich gar nicht haltbare Behauptungen über Konzerte, also Live-Konzerte, in die Welt zu trompeten. Es ist nämlich folgendermaßen: Wenn ich mich mal richtig schön langweilen will, reicht es in der Regel, auf ein Konzert zu gehen.
Am schlimmsten sind die durchdramaturgisierten Konzerte mittelgroßer bis großer Post-Indie-Bands: öder, von jedem Kunstanspruch befreiter Event-Quatsch für Leute, die auf Mischpulthöhe mal so richtig schön ablabern wollen. Auch Freunde der Hobbyfotografie kommen hier voll auf ihre Kosten. Wer so blöd ist, sich den zusammengeknipsten Käse anderntags auf Facebook anzugucken, bekommt dort in der Regel unscharfe Fotos von trockeneisumpusteten Lichtanlagen zu sehen. Eigentlich sollte man mit diesen Bildern dringend mal eine Ausstellung organisieren und damit weltberühmt werden. Ideen habe ich ja.
Coldplay sind an allem schuld
Doch halt! Bevor hier jetzt jemand irgendetwas daherjammert wie „Genau, letztens auf der Keane-Wiedervereinigungstour wurde wieder nur geplappert“, sei gesagt: Wer sich bei Veranstaltungen dieser Güteklasse darüber beschwert, dass unentwegt gelabert und/oder gefilmt wird, hat nicht verstanden, dass dieser (nur scheinbar) respektlose Umgang mit dem Treiben auf der Bühne der Musik von vornherein eingebaut ist. Wer als Musiker ein Konzert künstlerisch als ein Überbedienen von Erwartungen begreift, darf sich nicht wundern, wenn ihm ununterbrochen Smartphones entgegengereckt werden. Allgemein gilt: Je fader die Musik, desto mehr wird geknipst, gefilmt und gelabert. Und ja, auch hier sind mal wieder Coldplay an allem schuld. Aber natürlich auch U2, die Kings Of Leon und andere zu Tode professionalisierte Luftpumpen.
Um ein wenig aus dem Pauschalisieren herauszukommen, möchte ich betonen dass man natürlich immer noch Unerwartetes auf Bühnen bestaunen kann. Immer und sowieso natürlich bei dem beliebten Hutträger und Hobbypianisten Bob Dylan, der sich zuletzt bei seinen Deutschlandkonzerten mal wieder ein paar ganz köstliche Herrlichkeiten zusammenklimperte. Zwischendurch tapste der Ulkige zur Bühnenmitte, warf lässig den Mikroständer in Position und croonte die halbe Halle weich.
Die Dylan-Zerlaberer
Draußen im Foyer gab es derweil die üblichen Szene – wie bei allen Bob-Dylan-Konzerten der vergangenen 50 Jahre: Verwünschungen des Künstlers ob der mangelnden Werktreue und Fassungslosigkeitsbekundungen, die man sonst nur bei deutschen Rentnern bezeugen darf, denen gerade der Parkplatz vor der Nase weggeschnappt wurde.
Auch sehr gut gefiel Ihrem Chronisten zuletzt ein Konzert der Tuareg-Band Les Filles de Illighadad um die Gitarristin Fatou Seidi Ghali. Gerade als man durch das Spiel der Band in einigermaßen unerforschte Parallelwelten musiziert worden war, missfiel der Bandchefin plötzlich irgendetwas an ihrer Gitarre. Nach einigem Hin und Her auf offener Bühne tauschte sie ihr Instrument mit dem des zweiten Gitarristen und bediente fortan nicht mehr die Lead-, sondern die Rhythmusgitarre, was den Klang der Band in eine ganz neue Richtung kippen ließ. Von Geplantheiten auch hier keine Spur.
Und dann war da kürzlich noch der Auftritt der Band Die Regierung. Auch hier konnte keine falsche Professionalität die Freude an der aufgeführten Musik trüben. Tilman Rossmy befand sich oftmals noch mitten in der Ansage, als bereits der nächste Song einsetzte. Am Schluss mochte der Bandchef die Bühne dann gar nicht mehr verlassen. Möglich, dass das Konzert zu lang war. Zu egal war es aber ganz sicher nicht. Gefilmt hat keiner.