Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Tod in der Grabbelkiste
Barclay James Harvest verewigten einst ein riesiges Publikum auf einer Live-Platte. Die Soft Boys ein weit kleineres. Dafür hat deren Sänger Robyn Hitchcock nun vielleicht das Album des Jahres veröffentlicht.
Folge 141
Ein törichter Tod: Beim Wühlen in einer auf dem Boden stehenden Plattenkiste auf dem Flohmarkt einen Zusammenbruch kriegen und in orthopädisch ohnehin bedenklicher Bückhaltung kopfüber in besagte Kiste stürzen, um dort – mitten zwischen Barclay James Harvests „Berlin – A Concert for the People“ und „Synchronicity“ von The Police – zu verscheiden.
Barclay James Harvest begannen ihre Karriere als Prog-Band, entwickelten sich aber spätestens Ende der Siebziger zu den Königen der Teestubenmusik. Böse Kritiker warfen der Band auch vor, sie höre sich an wie „Moody Blues für Arme“, woraufhin die Musiker immerhin soviel Humor bewiesen, 1977 den Song „Poor Man’s Moody Blues“ zu veröffentlichen. Das dem oben erwähnten Livealbum zugrundeliegende Berlin-Konzert fand im August 1980 vor rund 175.000 Zuhörern auf dem Platz der Republik statt. Neulich diskutierte ich auf einer Party mit einem Schallplattenfachverkäufer darüber, ob es in diesen von Beliebigkeit geprägten Zeiten noch alte Schlimm-Bands gibt, die – anders als etwa Supertramp oder die Doobie Brothers – wohl niemals eine Rehabilitierung durch distinktionslüsterne Musikchecker erfahren werden. Barclay James Harvest könnte diese Band sein.
„Synchronicity“ von The Police aus dem Jahr 1983 ist die letzte Platte der Band und bildet diese im Stadium der Zerrüttung ab. Vor allem Schlagzeuger Stewart Copeland und Sänger Sting hatten wohl arge Probleme miteinander. Sting spielt auf dem Album, das den Hit „Every Breath You Take“ enthält, nicht nur Bass, sondern verwirklicht sich zudem an Saxophon und Oboe (!). Auf der letzten gemeinsamen Tour der Band schrieb Drummer Copeland “Sting is a Cunt” auf seine Bassdrum, womit er möglicherweise nicht ganz Unrecht hat.
Vermutlich ist „Berlin – A Concert For The People“ das Livealbum mit dem größten darauf zu vernehmenden Publikum. Das vermutlich überschaubarste Publikum, dem man auf einem Live-Album begegnen darf, kann man auf der Soft-Boys-Platte „Live at Portland Arms“ hören: viel mehr als 20, 30 Leute scheinen bei der Aufnahme nicht zugegen gewesen zu sein. Die Platte ist gut und lohnt die Suche, stellt aber – im Vergleich zum restlichen Schaffen der Band – ein klares Novelty-Produkt dar und lässt erahnen, wie Insterburg und Co. geklungen hätten, wenn man Ingo Insterburg durch Syd Barrett ersetzt hätte (was ohnehin mal eine Maßnahme gewesen wäre).
Robyn Hitchcock, ehedem Chef besagter Soft Boys, hat soeben seine 3456. Platte titels „Robyn Hitchcock“ veröffentlicht – und sie zeigt den Meister auf dem Zenit seiner Kunst. Alle Menschen, die sich für harmonieprallen Powerpop, die „Revolver“-Beatles und/oder Songs über selbstmörderische Schriftstellerinnen interessieren, sollten hier dringend zulangen. Sicher, es ist der Welt drittgrößer Robyn-Hitchcock-Fan, der dies schreibt. Aber die Platte stellt im Schaffen des in diesem Haushalt hochverehrten Sängers tatsächlich eine absolute Hochwassermarke dar. Das mit einem saftig-psychedelischen Cover ausgestattete Album klingt nicht selten, als hätten Monty Python mit den Beatles als Backingband in Nashville eine Erdbeerplantage eröffnet. Dringende Empfehlung. Bisher mein Album des Jahres.
Auch sehr gut ist „Country Hustle“, das jüngste Werk des Wahl-Walisers Jeb Loy Nichols, auf dem der ehemalige Fellow-Travellers-Sänger – anders als auf der von Adrian Sherwood produzierten Vorgängerplatte – statt auf Reggae wieder verstärkt auf, nun ja, sagen wir: Country-Funk setzt. Musikalisch angesiedelt irgendwo zwischen AL Green, Willie Nelson, George Jones und Larry Jon Wilson, wird dem geneigten Hörer hier ein ums andere Mal feinster musikalischer Honig ums Maul geschmiert. Wenn Nick Lowe seinen musikalischen Schaukelstuhl tiefer im US-amerikanischen Süden aufgestellt hätte – das Ergebnis könnte ähnlich klingen.
In einer Flohmarkt-Grabbelkiste zwischen der neuen Robyn-Hitchcock-Platte und dem Jeb-Loy-Nichols-Album zu sterben, ginge für mich in Ordnung.