Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Die höchsten Haare im Roots-Rock oder Drei vergessene Alben der Achtziger
Ich habe mal wieder Musik gehört. Musik von früher. Es war teilweise schön. Die Ergebnisse dieses Hörens seien im Folgenden protokolliert. Über die Verfügbarkeit der drei besprochenen Werke weiß ich nichts. Wer sie haben will, kann sie gerne bei mir ausleihen.
Folge 91
ANGST – LITE LIFE (1985)
Los geht’s mit einem tiefen Griff in den Indie-Karton. Angst, ein Trio aus San Francisco, das sich eher anhört wie ein Trio aus einem Kaff im Mittleren Westen, gehört zu den seltener gepriesenen Bands, die in den Achtzigern beim kultisch verehrten Label SST veröffentlichten. Ich hatte das Vergnügen, die drei Gentlemen auf ihrer letzten Tour vor der Bandauflösung im Jahr 1988 im Kölner Rose Club sehen zu dürfen: Ich erinnere mich dunkel an drei angetrunkene Herren mit komischen Frisuren in Barbecue-Shorts.
„Lite Life“ von 1985 gilt gemeinhin als das beste Album der Band. Es eröffnet mit dem treibenden Wave-Folk-Song „Love Dissolves“, in dem Sänger Jon E. Risk nicht eben stimmgewaltig, aber durchaus eindringlich die folgenden Zeilen proklamiert: „Behind the altar in the dark / When they start that funny talk / It makes the sinners start to sweat / And hope their faith heals their regrets.“ Um die Frage gleich zu beantworten: Ja, Angst werden ihrem Bandnamen durchaus gerecht – allerorts setzt es mürrische Daseinsbetrachtungen, die in rappeligen, wenngleich oft mumpfig produzierten Folk-Punk überführt werden. Seinerzeit bemühte man bisweilen den Violent-Femmes-Vergleich, aber Angst sind weniger hysterisch, weniger straßenmusikerpunkig und letztlich auch weniger musikalisch.
In den besten Momenten aber hat ihre Musik etwas ungemein Zwingendes. Das liegt auch daran, dass es sich bei Angst definitiv um eine der straightesten Bands auf SST handelt; Jazz-Sperenzchen, vertrackte Mittelteile und irrsinniges Bass-Theater wie bei firehose, Universal Congress Of und anderen Label-Größen sucht man hier vergebens. Dafür darf man sich über die ein oder anderen Ausritt auf dem Cowpunk-Gaul freuen. Gute Platte.
Das Album wurde produziert von der Band und SST-Mitbetreiber Joe Carducci. Carducci verfasste auch die Lyrics zum Minutemen-Song „Jesus & Tequila“. Im Jahr 2007 veröffentlichte er das Buch „Rock and the Pop Narcotic“. Darin vertritt er im Kern die These, dass es sich bei „Rock“ um eine Kunstform, bei „Pop“ hingegen lediglich um ein Marketingkonzept handelt. Nun ja.
CHARLIE SEXTON – PICTURES FOR PLEASURE (1985)
Eins muss man ihm lassen: Charlie Sexton hatte 1985 die höchsten Haare im gesamten Musikbetrieb. Edward Scissorhands goes Rockabilly – so in etwa. Und tatsächlich wurde die Musik des Texaners damals als chartkompatibler Bastard aus neuromantischem Firlefanz und erdigem Roots-Rock vermarktet. Darüberhinaus galt Sexton, der zur Zeit seines 1985er-Debütalbums „Pictures For Pleasure“ gerade mal 16 Jahre alt war, als so etwas wie ein gitarristisches Wunderkind.
Beim heutigen Wiederhören der Platte, die auch seinen Hit „Beats so lonely“ enthält, klingt sie in den besten Momenten wie das fehlende Glied zwischen Chris Isaac, Bruce Springsteen, Bryan Adams und Billy Idol. Betonung auf „Glied“. Das hier ist die Sorte Musik, für die in der schönen 80er-Sendung „Rock-Pop in Concert“ überhaupt erst die Lichtanlage aufgehängt wurde.
Die ersten zwei Songs, „Impressed“ und vor allem der Hit „Beats So Lonely“ sind in Ordnung (für die Single habe ich einfach eine Schwäche). Doch schon das darauffolgende „Restless“ ist eine absolute Vollkatastrophe, ein hochproduziertes Nichts – und leider wegweisend für den Rest des Albums. Auf „Pictures For Pleasure“ werden mit Schmackes so ziemlich alle Produktionsfehler der 80er Jahre begangen: Die oft programmierten Drums donnern, als entstammten sie dem Soundtrack eines schäbigen 80er-Söldner-Action-Dramas, und der Gitarrist Sexton scheint meistens auf allen Effektpedalen gleichzeitig zu stehen. Da ist es wenig hilfreich, dass das Songmaterial eher dünn ausfällt.
Produzent der Platte ist der Amerikaner Keith Forsey, dem als Hitproduzent für Billy Idol die klangliche Nähe zu ebendiesem zu verdanken ist. Ein weiterer claim to fame des Mannes ist der Icehouse-Hit „Hey Little Girl“, den ich noch nie leiden konnte. Heute produziert Forsey unter anderem die Schnarchnasenband Rooney.
Charlie Sexton wiederum ist heute als Leadgitarrist bei Bob Dylan tätig und tourt mit dem Sondersamen durch die Lande. Man darf sich seinen Arbeitsalltag somit als, äh, reich an Überraschungen vorstellen. Er machte auch einige Aufnahmen mit Dylan: Sexton spielt unter anderem auf „Things Have Changed“, einem der besten Dylan-Songs der Neunziger, und natürlich auf dem glorreich verschepperten Album „Love and Theft“. Im letzten Jahr konnte man ihn auch im Kino bewundern: In Richard Linklaters „Boyhood“ gibt er einen Musiker.
ABLE TASMANS – HEY SPINNER! (1990)
Als zu Beginn der Neunziger Jahre von kundiger Stelle das Loblied auf neuseeländischen Indie-Pop gesungen wurde, bekamen auch die Able Tasmans eine Strophe ab. Völlig zurecht: Die nach dem holländischen Entdecker Abel Tasman benannte Band verband eine verkiffte WG-Attitüde, lyrisches Geflöte und sehnenden Indie-Pop zu einem absolut einmaligen Gemisch. Das erste Album der Band, „A Cuppa Tea and a Liedown“ (mit der Westcoast-Hommage „Sour Queen“) aus dem Jahr 1987 wurde gerade erst wiederveröffentlicht und stellt wohl die Sternstunde der Band um Vordenker Graeme Humphreys dar. Aber auch das nachfolgende Werk „Hey Spinner“ aus dem Jahr 1990 hat seine Meriten.
Spätestens beim zweiten Song „Hold Me I“ ist es da, dieses Seufzen und Sehnen, das so typisch für den NZ-Pop jener Tage war. Zwar werden die Geschehnisse ein wenig durch das rappelige 80er-Schülerband-Schlagzeug kompromittiert, sonst aber waltet hier die schiere Eleganz. Typisch für die Able Tasmans waren die prominent eingesetzten Keyboards und der Zopfträger-Gestus. Beides findet seine musikalische Vermählung im Song „Michael Fay“, der sich in halliges Gefiedel verabschiedet und die Hippie-Tendenzen der Band mehr als erahnen lässt. „Hold Me II“ klingt dann, als spielte eine begnadete Schülerband einen besonders schönen My-Bloody-Valentine-Song, und „Wednesday (she’s coming round)“ ist eines dieser pittoresken Kammerpop-Wunder, wie sie auch bei den Chills so oft zu finden sind.
Wer sich mal wieder mal so richtig schön in den Dunedin Sound (so etwas wie das neuseeländische Äquivalent zum amerikanischen Paisley Underground) versenken will, der findet hier wunderbares Material. Für Noch-nicht-Eingeweihte: Wenn Belle & Sebastian Pilzesser wären, das Ergebnis könnte ähnlich klingen.
Ich wünsche viel Freude beim Suchen nach den besprochenen Platten. Allen Menschen, die nicht so gerne nach komischen Platten suchen, wünsche ich viel Spaß bei irgendetwas anderem.