Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Der Musikempfehlungsonkel gibt sich die Ehre
In dieser Folge geht es um Eric Pfeils Top-20-Alben des Jahres, aber auch um Musik, die unserem Kolumnisten 2016 fast durchgerutscht wäre.
Folge 129
Liebe Leserinnen,
Sie mussten begierig auf die neue Kolumne warten. Ich will ehrlich sein: Weder hatte ich besonders viel zu tun, noch erklärt sich meine Säumigkeit dadurch, dass ich auf zu vielen Weihnachtsfeiern als trinkwilliger Redner geladen war. Ich war einfach ein wenig faul.
Immerhin – ich habe Musik gehört. Und davon soll heute berichtet werden. Ein weiteres Mal wird es um Musik gehen, die mir beim Erstellen meiner diversen Jahresbestenlisten (im November!) durchgerutscht ist. Der Musikempfehlungsaugust tanzt im Achteck.
Erst vor ein paar Tagen begegnete mir die Musik der australischen Sängerin Gabriella Cohen, deren Debütalbum „Full Closure and No Details“ meines Wissens hierzulande noch keinen Vertrieb gefunden hat. Cohens Debüt ist ein Trennungsverarbeitungsalbum der eher verspulten Art. Aufgenommen an zehn Tagen im elterlichen Haus, klingt die Platte stellenweise, als hätte Courtney Barnett ein Velvet-Underground-Lo-Fi-Tribute-Album aufgenommen. Zu Unterwasser-Gitarren, verhallten Chören und rasselnden Schellenkränzen fährt Cohen sehr lässig ihre besten Lou-Reed-trifft-66er-Dylan-Impersonationen vor. Musik, von der ich nicht wusste, dass ich auf sie gewartet habe.
Ebenfalls erst vor wenigen Tagen bin ich mit Haut und Haaren im Backkatalog des Songwriters Damien Jurado verlorengegangen, dessen Platten mir bislang stets etwas zu überproduziert erschienen. Dann aber stolperte ich im Internet über Jurados Beitrag zur Tiny-Desk-Concert-Reihe, über die man schon so manchen Musiker entdecken durfte. Jurados Auftritt ist bereits fünf Jahre alt und vermittelt den Eindruck, als wolle der Mann aus Seattle unbedingt bei den großen Internationalen Verhuschtheitswettkämpfen für überintrovertierte Liedermacher den ersten Platz belegen.
Andernorts im Netz wirkt der Mann dann aber deutlich eloquenter. Die drei, vier Stücke, die Durado während der besagten Session schrammelt, gehören zum besten, was ich von Männern mit Akustikgitarren im Arm in den letzten zehn Jahren gehört habe. Zwar wünschte ich, Jurado würde ausschließlich Ein-Mann-Alben aufnehmen, aber auch seine vom Kollegen Richard Swift recht üppig produzierten Alben der letzten sechs Jahre (2016 erschien „Visions Of Us On The Land“ und ein mit Swift dargebotenes Cover-Album), auf denen bisweilen die Hall-Canyons bereist werden, die man von My Morning Jacket kennt,mag ich mittlerweile nicht mehr missen. Vor allem aber ist der Mann ein famoser Sänger, Texter und Komponist.
Auch sei auf einige tolle Platten von Freunden und Bekannten verwiesen, die im vergangenen Jahr veröffentlicht wurden und zu deren Bejubelung ich bislang nicht gekommen bin: Da wäre zunächst das Debüt von Markus Naegeles Band Fuck Yeah! Aus München. Naegele, der als Verlagsleiter für die tollen Veröffentlichungen bei Heyne Hardcore verantwortlich zeichnet, macht auf seinem späten Albumdebüt den Eindruck, als sei er wild dazu entschlossen, mit seiner Band den Rock-Standort Bayern zurück auf die musikalische Landkarte zu holen. Die Stücke tragen klangvolle Titel wie „The Replacements“, „C’mon“ oder „Heavy Metal Teenage Dream“ und spielen in einer idealisierten Rock’n’Roll-Welt, in der sich Iggy Pop und Paul Westerberg im finstersten Rock’n’Roll-Club der Stadt um vier Uhr früh zum zweiten Frühstück am psychedelischen Flipperautomaten treffen.
Ein weiterer wackerer Arbeiter im Weinberg des Rock ist der Kölner Überzeugungstäter und singende Schlagzeuger Seb Hinkel, dessen Band The Moriartees auf dem diesjährigen Album „Underneath“ wieder den bestgebrauten Soul-Punk und Garagen-Rock der Stadt kredenzen. Hier fängt ein ums andere Mal der Backenbart erheblich Feuer!
Eine ganz prächtige 2016-er-Platte, zu der ich auch noch keine angemessenen Worte gefunden habe, stammt von dem Journalisten und Musiker Robert Rotifer, einem seit vielen Jahren in London beheimateten Exil-Wiener, der sich das englische Songwriter-Idiom in einer Weise angeeignet hat, die etlichen seiner Vorbilder den Tee aus der Tasse schwappen lassen dürfte. Auf „Not Your Door“ scheinen sich bisweilen Robyn Hitchcock und Ray Davies zum gemeinsamen Spaziergang durch englische Alltagsabgründe verabredet zu haben; auch Andy Partridge und Martin Newell gesellen sich bisweilen dazu. Aber selbst wenn man – anders als Ihr ergebener Kolumnist – keine Vorliebe für exzentrische Songwriter von der Insel pflegt, dürften Rotifers filigrane und melodisch furchtlose, von Beatle-ismen durchtränkte Kabinettstücke für Begeisterung sorgen.
Und 2017? Jenseits aller apokalyptischen Dräunisse (oder auch im Einklang mit diesen) kann man sich freuen auf: Neues von Nikki Lane, den Flaming Lips (Song-ortientertes Material, so ist zu hören), Chuck Prophet, Hurray For The Riff Raff (jetzt R’n’B-unterfüttert), The Sadies (feat. U.a. Neil Young, Kurt Vile und Jon Spencer!), Michael Chapman, Robyn Hitchcock (produziert von Brendan Benson) und Mark Eitzel. In doom we trust.
Eric Pfeils Top-20-Alben des Jahres 2016
01. Kofelgschroa
„Baaz“
02. Kevin Morby
„Singing Saw“
03. Laura Gibson
„Empire Builder“
04. Richmond Fontaine
„You Can’t Go Back …“
05. A Tribe Called Quest
„We Got It From Here …“
06. Jeb Loy Nichols
„Long Time Traveller“
07. Cian Nugent
„Night Fiction“
08. Leonard Cohen
„You Want It Darker“
09. Hochzeitskapelle
„The World Is Full Of …“
10. Handsome Family
„Unseen“
11. Imarhan
„Imarhan“
12. Paul Simon
„Stranger To Stranger“
13. Cass McCombs
„Mangy Love“
14. Karl Blau
„Introducing Karl Blau“
15. Daniel Romano
„Mosey“
16. Benjamin Dean Wilson
„Small Talk“
17. Friends Of Gas
„Fatal schwach“
18. Dinosaur Jr.
„Give A Glimpse Of What …“
19. Psychic Ills
„Inner Journey Out“
20. De La Soul
„And The Anonymous Nobody“