Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Der antizyklische Hotzenplotz – Tocotronic und Pink Floyd im Fotovergleich
Unser Kolumnist wirft einen Blick in die aktuelle ROLLING-STONE-Ausgabe und klärt die Frage: Welche Gemeinsamkeiten haben Tocotronic und Pink Floyd?
Folge 155
Nun, da der große Tocotronic-Sturm vorbei scheint, treten viele Menschen vorsichtig wieder vors Haus und wagen tastenden Schrittes erste kurze Spaziergänge im Viertel. Einige gehen sogar schon wieder einkaufen. Das Licht scheint ihnen manchmal noch etwas grell, aber sie werden zur gewohnten Trittfestigkeit zurückfinden. Es ist alles wie immer. Es herrscht Frieden.
Es schien beim Thema „Die neue Tocotronic“ – wie so oft – nur zwei Betrachtungsweisen zu geben – und Ihr Chronist konnte sich keiner anschließen: Die einen sprachen angesichts der neuen Platte mit bebender Stimme vom mindestens größten Album seit Salvatore Adamos „Meine größten Erfolge“, lobten Wagemut, Haarschnitte und Ungebrochenheit. Die anderen monierten Schrummschrumm, Lalalala, Gerecktheit im Ausdruck und ewige Schülerbandhaftigkeit. Nein, Halt: Es gab drei Lager. Es gab auch jene, die bis zum grün-gestreiften Album begeistert dabei waren, dann aber ausgestiegen sind, weil sie sich einen teuren Grill o.ä. kaufen mussten.
Ich habe das neue Tocotronic-Album trotz grundsätzlicher Sympathien für die Band noch gar nicht gehört. Das liegt an meinem antizyklischen Hörverhalten. Ich höre gerade ausschließlich Ry-Cooder-Platten aus dem vergangenen Jahrzehnt. Tocotronic höre ich dann vermutlich im Frühjahr bei der Gartenarbeit.
Auch der ROLLING STONE berichtet im aktuellen Heft ausgiebig über die Band. Im Zusammenhang mit dem Artikel ist ein doppelseitiges Foto zu bewundern, das die Musiker beim Umherstehen in ihrem Proberaum zeigt. Irritierenderweise sieht dieser Proberaum mit niedriger Kellerdecke, abgelatschtem Teppich, umwickelten Rohren und notdürftiger Schallisolierung so aus wie ein Worst Of aller Proberäume, die man im Laufe seines Lebens betreten durfte. Erstaunlich: Bloß, weil man ein No-1-Album veröffentlicht hat, bedeutet das hierzulande noch lange nicht, dass es finanziell für einen Proberaum reichen würde, der nicht im fünften Tiefgeschoss eines Großmarktbunkers liegt und in der übrigen Zeit von drei Queen-Coverbands bevölkert wird. Nun ist es ja hochsympathisch, dass Tocotronic nicht in holzvertäfelten Lofts proben, aber man darf doch kurz staunen. Andererseits: Wo sollte man auch sonst proben? Proberäume sehen aus gutem Grund so aus. Es sind arbeitstypische Räume. Marmorne Hallen eignen sich schlichtweg nicht, und plötzlich vom Erfolg erfasste Metzger metzgern ja auch weiter in komplett durchgekacheltem, also metzgertypischem Ambiente.
Ein paar Seiten weiter vorne findet sich im aktuellen ROLLING STONE ein Bericht über das soundsovielte Jubiläum von „Dark Side of the Moon“, das Pink-Floyd-Album, das, wie es auf dem Cover heißt, „alles veränderte“. Auch hier setzt es ein doppelseitiges Bandfoto. Zu sehen sind die Musiker, wie der knappe Bildtext verrät, „während einer Tournee in Japan 1971“.
Ich habe die beiden doppelseitig abgedruckten Bandfotos, zwischen denen immerhin 46 Jahre liegen, in meinem Labor mal mit einem aufwändigen Spezialverfahren verglichen. Und man muss festhalten: Es gibt keinen großen Unterschied. Auf beiden Fotos wird herumgestanden. In beiden Fällen ist die Kleidung von unaufdringlicher Jugendlichkeit geprägt. Die Haare: Ja, mein Gott, Haare halt. Es ist auch keineswegs so, dass die Bilder deshalb einander so ähnelten, weil die jüngere der beiden Bands irgendeinem Retro-Trend aufgesessen wäre und deshalb der älteren in puncto Kleidung oder Posing ähnelte. Im Gegenteil: Tocotronic sehen unauffällig heutig aus. Was ich sagen will: Legt man diese beiden Bilder zugrunde, könnte der Eindruck entstehen, dass in der weißen Rockmusik zwischen 1971 und 2018 sooooo wahnsinnig viel jetzt nicht passiert ist. Klar, da war Glam Rock, Punk, New Wave, Elektro, Radiohead, LCD Soundsystem usw. Aber vergleicht man mal Rockmusik und, sagen wir: Zahnheilkunde, hat sich in letzterem Bereich doch deutlich Bahnbrechenderes getan. Vielleicht ist die entscheidende Veränderung, dass man in Rockmusiker-Zirkeln 2018 keine mit Tuch umwickelten Räuber-Hotzenplotz-Hüte mehr auf dem Kopf hat, wie ihn Pink-Floyd-Schlagzeuger Nick Mason auf besagtem Foto trägt. Aber sonst …
Die besten Ry-Cooder-Platten des vergangenen Jahrzehnts sind meiner Meinung nach „I, Flathead“ und „My Name is Buddy“.