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Eric Pfeils Pop-TagebuchKolumne

Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Da geigt der alte Zahnarzt der Indianer

Über Musik, die beim Zahnarzt läuft, Musik, die beim Zahnarzt laufen sollte – und einen schlechten Witz auf Kosten des Autors

Folge 104

Wenn ich beim Zahnarzt bin, läuft im Radio immer „Black Velvet“ von Alannah Myles. Immer. Und selbst wenn es gar nicht stimmen würde, dann müsste ich es hin und wieder aufschreiben, einfach, weil ich den Namen Alannah Myles so gerne schreibe.

Früher war ich mal bei einem Zahnarzt, der mir, nachdem er wusste, dass ich irgendwie mit Musik befasst bin, jedes Mal aufs Neue geradezu zwanghaft mitteilen musste, dass er sehr gerne Philip Glass höre. Zahnärzte, die Philip Glass hören, finde ich sehr stereotyp.

Alannah Myles hatte ja nur diesen einen großen Hit, die späteren Singles tauchten nur noch in, wie man so sagt, niederen Chartregionen auf. Später hat sie dann jeden Käse gemacht, den mal als stimmgewaltiges One-Hit-Wonder so machen kann: Sie sang mit Zucchero, tauchte auf einem Tina-Turner-Tribute-Album auf und sang den Titelsong für irgendeinen „Prinz Eisenherz“-Film. Vor allem das mit Zucchero ist natürlich blöd. Vielleicht war sie auch mal bei der „Night of the Proms“ dabei, ich möchte es ihr indes nicht wünschen.

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Selbst in der fiesen Lanxess-Arena zu Köln wird es beim Konzert von Ennio Morricone am Donnerstag ganz still. Lediglich das jahreszeitbedingte Geächze im Auditorium erreicht dann und wann eine Intensität, die den Wunsch aufkommen lässt, zwischendurch kurz einmal nur diesem Orchester der Hüstler zuzuhören.

Morricone, inzwischen 87, dirigiert im Vergleich zu dem Konzert, das ich vor zwei Jahren in Berlin sah, ein stark verändertes Programm: Neben bewährtem Hit-Material wie „Chi Mai“, „Metti una sera a cena“ und den Sergio-Leone-Brechern setzt es diesmal unter anderem eine Hommage an den hierzulande schändlich unbekannten Meisterregisseur Mauro Bolognini, der zwischen 1952 und 1994 über 50 Filme schuf. Ebenfalls zur Aufführung kommt die Musik zu Kalatozovs „The Red Tent“, sowie der Score zu Tarantinos „The Hateful Eight“, der erst hier, in dröhnender Lautstärke, sein ganzes frostiges Potenzial entfaltet. Zu Beginn setzt es aber erst einmal eine Ladung Musik aus den Filmen Giuseppe Tornatores, einem der wenigen Regisseure, denen der strenge Maestro musikalisches Gespür attestiert (und der wohl auch darum einen ganzen Film über Morricone drehen durfte, der im Jahr 2017 veröffentlicht werden soll).

Ennio Morricone
Ennio Morricone

Bei den Leone-Stücken (die natürlich mit doofem Erkennungsapplaus begrüßt werden, für den der Maestro allenfalls Augenrollen übrig haben dürfte) wird das Ächzen im Rund plötzlich lauter, zum gedämpften Hüsteln gesellt sich nun auch kollektives Nasehochziehen. Um mich herum sitzen bald etliche gestandene Männer, die sich unter ungebremstem Schluchzen in ihre Taschentücher krallen. Bei „Giù la Testa“ heule ich dann auch Rotz und Wasser. Das kann nur Musik!

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Im Radio läuft eine Neo-Soul-Version von „Tainted Love“. Neo-Soul-Coverversionen von „Tainted Love“ sind der Gipfel der musikalischen Überflüssigkeit – da muten Jazz-Bearbeitungen von Tom-Waits-Stücken oder Hardrock-Bearbeitungen durch langmähnige Klassik-Geiger im aufgeknöpften Rüschenhemd im Vergleich nachgerade revolutionär an. Ich glaube, ich würde mir eher zehn Mal hintereinander ein von David Garrett gefideltes Medley aus „Final Countdown“, „Eye of the Tiger“ und „Da sprach der alte Häuptling der Indianer“ anhören als irgendeine Post-Soft-Cell-Version von „Tainted Love“.

Ob ich lieber zum Zahnarzt ginge, wenn da Ennio Morricone liefe? Sicher nicht. Noch unlieber aber ginge ich, wenn dort „Tainted Love“ im Neo-Soul-Arrangement liefe. Mit Neo-Soul muss sowieso Schluss ein endlich, ich verfüge das hier und jetzt!

Was man aber mal machen könnte, wäre „Black Velvet“ den „Tainted Love“-Sound der Soft-Cell-Fassung überzustülpen. Ich finde, der Song könnte in diesem pluckerigen Früh-Achtziger-Synthie-Sound ganz schön klingen.

Vielleicht ist es ja auch das ja, was die Welt am wenigsten braucht: eine Sound-Switch-App. Schluss mit langweiligen Mashups, die Taylor Swift und Paul McCartney zu einem Gilb zusammenklatschen! Stattdessen könnten sich gelangweilte App-Hansel daran machen, eine App zusammenzuschrauben, mit der man Song A den Sound von Song B verpassen könnte. Nein, Stopp, gar nicht gut: Erstens will ich in einer solchen Welt noch weniger leben, als in einer begehbaren Neo-Soul-Pappkulisse. Und zweitens würden doch alle am Ende nur versuchen, Radiohead-Songs im Amy-Winehouse-Sound zu hören. Ich kenn doch meine Pappenheimer!

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Auch mein neuer Zahnarzt hat jetzt irgendwie spitzgekriegt, dass ich mit Musik zu tun habe. (Schlechter Pfeil-feindlicher Witz: Warum muss der Pfeil eigentlich dauernd zum Zahnarzt. Na, wegen zuviel Zucchero!) Mein neuer Zahnarzt nun fragt mich jedes Mal, während im Hintergrund „Black Velvet“ von Alannah Myles läuft, Sachen wie: „Was halten Sie denn eigentlich von dieser Adele?“ Früher hätte mich so eine „Ich-frage-Sie-jetzt-mal-als-Mann-mit-Expertise“-Frage genervt. Heute sage ich nur noch: „Ich glaub, die ist sehr gut, aber mir gefällt das nicht.“ Das sage ich überhaupt nur noch: „Das ist sehr gut, aber mir gefällt das nicht.“ Kann man bei fast allem anwenden. Auch bei Annenmaykantereit.

Adam Berry Getty Images
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