Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Bring mir keine Köpfe – auch nicht den von Phil Ramone
Der große Regisseur Sam Peckinpah hat „The Wild Bunch“ gedreht, „Straw Dogs“ … und zwei Videos für Julian Lennon. Man kann nicht behaupten, die seit der Entstehung der Clips ins Land gegangenen 33 Jahre hätten den Clips in irgendeiner Weise genutzt.
Folge 145
Viele Menschen sorgen sich, dass das Letzte, was sie im Leben tun, eine fürchterliche Banalität oder gar Torheit sein könnte. Tot umzufallen, nachdem man etwa ein Mumford-&-Sons-Livealbum gekauft hat – vor so etwas haben viele Menschen ungeahnte Ängste. Neulich wiederum sagte jemand zu mir: „Man kann doch nicht wollen, dass man sich vor seinem Dahinscheiden als Letztes noch eine ganz blöde Dauerwelle hat machen lassen“. Und dann gibt es Menschen, die sich sogar um ihre finalen Gedanken sorgen: Den letzten halbwegs lichten Moment im Hirn etwa an Christian Lindner zu verschwenden – wie entsetzlich wäre das? Man muss solche Sorgen ernstnehmen – gerade in Zeiten, in denen das Sorgenernstnehmenmüssen einen so hohen Stellenwert hat.
Dabei ist es ja gar nicht so schlimm. Was man als Letztes im Leben anstellt, ist ziemlich egal. Vielleicht nicht für einen selbst. Aber eben doch für die Nachwelt. Nehmen Sie nur den großen Filmregisseur Sam Peckinpah. Da dreht der Mann ein paar der faszinierendsten Filme der amerikanischen Kinogeschichte („The Wild Bunch“, „Straw Dogs“, „The Getaway“, „Pat Garrett and Billy the Kid“, „Bring Me the Head of Alfredo Garcia“) – und was macht der geniale Filmemacher als Letztes? Er fabriziert zwei Musikvideos für Julian Lennon! Ich habe beide Videos soeben noch mal gesichtet. Sollten Sie mal wieder an einem Ausritt ins Land der absoluten Ödnis interessiert sein, so fühlen Sie sich herzlich eingeladen, es mir gleichzutun.
„Valotte“ – zugleich Titelstück von Julian Lennons 1984 veröffentlichtem Debütalbum – ist eine ziemliche Fürchterlichkeit: ein besorgniserregend leer tönender Song, der durch seine klischierte Produktion noch einiges an zusätzlicher Leere draufgeschaufelt bekommt. Im Vergleich zum Video ist der Song aber eine totale Wundertüte mit Knalleffekt: Es handelt sich nämlich um eines jener gefürchteten Musiker-im-Studio-Videos, die schon zu meinen Pubertätszeiten dem Begriff „Langeweile“ völlig neue Dimensionen hinzuaddierten. Dass ich Teile meiner Jahre zwischen 13 und 17 als fad empfunden habe, lag mit Sicherheit auch daran, dass es bei Formel Eins zwischen Limahl, Cyndi Lauper und Madonna immer diese Musiker-im-Studio-Videos zu sehen gab, in denen auf äußerst ungute Art die Zeit stillzustehen schien. Glauben Sie mir: Es gibt nichts Faderes als Musiker im Studio. Lassen Sie sich hier von den ganzen Musikzeitschriften und Musiker-Dokus nichts anderes erzählen!
Man kann nicht behaupten, die seit der Entstehung des Videos ins Land gegangenen 33 Jahre hätten dem Clip in irgendeiner Weise genutzt: Es hat tatsächlich den Anschein, als habe der gute Peckinpah einfach ein paar Kameras aufgestellt, kurz „Action!“ gebrüllt und sei dann schnurstracks in die nächste Bar marschiert. Julian Lennon weiß mit der vom Regisseur gewährten Freiheit augenscheinlich wenig anzufangen: Wie vom eigenen Lied gelangweilt sitzt er am Klavier und beginnt irgendwann orientierungslos durchs Studio zu stromern. Beim obligatorischen Gitarrensolo steht er im Halbdunkel herum und guckt die Studiowand an. Seinen besten Moment hat der Clip, als nach zwei Minuten und einunddreißig Sekunden extrem unmotiviert der Tontechniker (oder Produzent) der Platte für eine Sekunde eingeblendet wird und dabei so aussieht wie Tontechniker (oder Produzenten) im Jahr 1984 eben auszusehen pflegten: Bart, getönte Brille … Sie wissen schon. Man muss es so sagen: Die Mammutaufgabe, das definitiv langweiligste Musikvideo der Welt zu drehen – hier wurde sie vollbracht. Von Sam Peckinpah!
Sie werden ahnen, dass ich nach „Valotte“ stramm gespannt war, auch das zweite Lennon/Peckinpah-Werk zu sichten. Zumal es sich hier um den kleinen Hit „Too Late for Goodbyes“ handelte, den ich zumindest musikalisch in durchaus unguter Erinnerung hatte. Und siehe da: Das Video wurde im selben Studio, mit derselben Lichtstimmung und demselben künstlerischen Anspruch angegangen, vermutlich am selben Tag. Einziger Unterschied: Lennon trägt ein anderes Shirt und hat jetzt eine ganze Band dabei, die so tut, als habe sie irgendetwas mit der Begleitautomatik-Produktion des Songs zu schaffen. Doch – Halt! Es gibt hier sehr wohl eine weitere Ebene: Hinter Lennon ist eine weiß beleuchtete Türe zu sehen, die von einem charakterlich nicht näher definierten Gentleman dazu genutzt wird, ulkige Hüpf- und Tanzbewegungen vorzuführen. Vielleicht ist es die Tür, durch die Sam Peckinpah nur zwei Monate später geschritten ist.
Um es klar zu sagen: Wer sich fragte, welches Album wohl niemals (in Zahlen: NIEMALS!) von distinktionsfreudigen jungen Leuten mit anstrengenden Frisuren und experimenteller Kleidung zum Erstaunen altvorderer Musikfans wiederentdeckt werden wird: Es ist „Valotte“ von Julian Lennon. Mitschuld an der Angelegenheit trägt definitiv auch der 2013 verstorbene Produzent Phil Ramone (der Herr aus dem Video?). Ramone begann einst als Toningenieur für Leute wie John Coltrane oder Burt Bacharach. Als Produzent betreute er unter anderem Bob Dylan, Madonna, Amy Winehouse, Stevie Wonder und Elton John. Auf „Valotte“ präsentiert er sich nicht eben in seinem Sonntagsgewand.
Die tollen Filme Sam Peckinpahs aber sollte man übrigens immer wieder und wieder schauen. Ich bin gerade bei „Bring Me the Head of Alfredo Garcia“.