Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Bayern, Dylan, Rendezvous

Folge 124

Mein Label hat mich mal wieder auf Bayern-Tour geschickt. Das ist mir immer sehr recht.

Los ging es am vergangenen Mittwoch in München, wo ich gewohnheitsmäßig erst einmal eine Schallplattenfachhandlung aufsuchte. Manchmal erzähle ich abends bei meinen Konzerten ein bisschen über die am jeweiligen Nachmittag erstandenen Schätze, aber das ist eher ein Nebeneffekt. In erster Linie will ich einfach nur Platten kaufen.

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Am Ende verließ ich den Laden mit vier Alben: dem Smog-Werk „A River Ain’t Too Much To Love“, Bob Dylans „Planet Waves“ (auf dessen, vom Barden handgeschriebener Rückseite der Name seines langjährigen Mitmusikers Richard Manuel falsch geschrieben steht), einer Antonello-Venditti-Compilation und einer Platte des Sitarspielers Ananda Shankar (Ravis Neffe), auf der sich natürlich auch Versionen von „Paint It Black“ und „Norwegian Wood“ finden. Pardon, ich meinte natürlich „Light My Fire“ und „Jumpin’ Jack Flash“. So war das damals einfach in der Sitarspielerszene: Man musste diese Lieder einfach im Repertoire haben. „His Name Is Ananda. He’s a young man with a sitar and a dream and his name means peace and joy“ steht hinten auf der Platte. Sie ist ganz vorzüglich.

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Beim Konzert am Abend brauche ich ein wenig, um – wie wir Rockmusiker sagen – „in Fahrt zu kommen“. Dies liegt vor allem daran, dass ich in der Vornacht mit einem schlimmen Hotelbett zu kämpfen hatte. Gegen vier Uhr in der früh waren meine Rückenschmerzen so arg, dass ich mich entschloss, statt im Bett auf dem Fußboden zu schlafen. Als mich meine Frau beim Aufstehen auf dem Boden fand, raunte sie nur im Vorbeigehen: „Was ist denn jetzt schon wieder los?“.

Noch mehr Kandidaten für den Literaturnobelpreis

Am Tag nach dem München-Gig nehme ich gerade mit der Sängerin Anna Nocon eine kleine Live-Session meines Songs „Der depressive Detektiv“ auf, als meine Frau uns die Kunde der Nobelpreisvergabe an Bob Dylan übermittelt. Erste Reaktion: große Freude. Meine Lyrik waren immer schon Songtexte – und wen, wenn nicht Dylan, sollte man für diese einflussreiche und prägende Form der Wortkunst auszeichnen? Dass diese nur im Verbund mit Musik funktioniere und insofern keine Literatur sei, ist ein sehr merkwürdiger Standpunkt. Andererseits: Noch mehr Preise für Dylan? Noch mehr Museum? Noch mehr Kanon? Cohen sagt’s mal wieder am besten: Es sei, als pinne man eine Medaille an den Mount Everest, um ihn zum höchsten Berg zu küren.

Den Gedanken, beim nächsten Konzert einen Dylan-Song zu spielen, verwerfe ich rasch. Ich kann gar keinen ganzen Dylan-Song komplett spielen, außer vielleicht „All The Tired Horses“ oder „Wigwam“. Allein für ersteren Song, bei dem ein Frauenchor unablässig die magischen Sätze „All the tired horses in the sun / How am I supposed to get any riding done?“ singt (der Musiker selbst aber gar nicht singend in Erscheinung tritt), sollte man Dylan alle Preise der Welt verleihen. Natürlich sollte man demnächst auch Bill Callahan, Chuck D. oder Kate Bush mit dem Literaturnobelpreis auszeichnen. Erst einmal aber bitte Willie Nelson für die Auftaktzeilen von „Shotgun Willie“: „Shotgun Willie sits around in his underwear / bitin’ on a bullet and pullin’ out all of his hair.“

Am Abend habe ich Gelegenheit, mir die befreundete Lieblingsband Kofelgschroa in einem kleinen bayerischen Dorf-Club anzuschauen. Auch hier wären einige Nobelpreise fällig: Live lässt sich noch besser als auf den Platten bestaunen, was für ein außergewöhnlicher Klangkörper diese Band ist. Wie sie diese vertrackten Takte ins Schwingen bekommen und wie sich mal simple, mal elegante Melodien durch diese mäandernden Lieder schlängeln – das ist immer wieder einzigartig. Das Publikum schwankt zwischen Gebanntheit und Verzückung. Während des Konzerts ist im ganzen Raum nicht ein filmendes Mobiltelefon zu sehen. Bei ihnen passiere ja auch nichts Filmenswertes auf der Bühne, versucht die Band mir meine Beobachtung später zu erklären.

Tags drauf in Murnau spiele ich das leerste Konzert meiner Karriere. Bei Bernd Begemann sei es nicht voller gewesen, informiert mich der sympathische Veranstalter. Ich erwäge kurz, zum Zwecke der zuschauerbindenden Kräftebündelung gemeinsam mit Bernd Begemann auf Tour zu gehen, verwerfe diesen Gedanken aber rasch wieder. So sehr ich den Kollegen schätze – wir würden uns vermutlich auf keine einzige Tourbus-Kassette einigen können. Wobei: Italopop könnte funktionieren.

Bier in Strömen

Das Konzert verläuft ansonsten sehr gut, ich hätte vielleicht einen Live-Mitschnitt machen sollen. Die sehr erfreulichen Begegnungen und interessanten Gespräche nach dem Auftritt tun ein Übriges. Da – wie so oft in Bayern – das Bier in Strömen floss, erinnere ich mich nur noch daran, dass in sympathischer Runde sehr erregt über den Literaturnobelpreis diskutiert wurde. An meinen Standpunkt in dieser Sache kann ich mich nicht mehr erinnern.

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Am nächsten Morgen leitet mich der rührige Konzertveranstalter im Rahmen einer Ortsführung durch Murnau in einen Second-Hand-Laden. Hier erstehe ich für einen Euro eine Maxi-Single des Sängers Dino, der Titel des Songs: „Rendezvous (The Fire Is Burning)“. Schon das Cover verheißt schieres Glück: Zu sehen ist ein Herr mit schmalem Oberlippenbart – Dino Razzone – der spürbar darum bemüht ist, optisch alle Klischees des Italo-Charmeurs überzubedienen. Musikalisch verschafft der Song (A-Seite Italienisch, B-Seite Englisch) einen Eindruck davon, wie es geklungen hätte, wenn Sigue Sigue Sputnik mediterranen Schlager gemacht hätten. Ich recherchiere ein wenig – und siehe da: Dino Razzone ist eine Kunstfigur von einigen Gnaden. Tatsächlich heißt der Mann Klaus Munzert, stammt aus Offenburg, und hatte in den Achtziger Jahren unter verschiedenen Pseudonymen einige kleine Hits. Sein größter Erfolg war wohl der Song „Marcello the Mastroianni“, den er unter dem Projektnamen Silicon Dream veröffentlichte und in Mastroianni-Verkleidung darbot. Später produzierte Munzert so unterschiedliche Künstler wie K2, Daniel Küblböck und, äh, Jürgen von der Lippe. Die Maxi-Fassung von „Rendezvous“ jedenfalls ist ein Grund, alle Nobelpreise dieser Welt abzulehnen.

Am letzten Abend der Tour trete ich in Tutzing am schönen Starnberger See auf. Der Auftritt wird lediglich durch den Umstand getrübt, dass ich bei der zweiten Zugabe die Backstage-Türe nicht aufbekomme. Bernd Begemann und Marcello the Mastroianni kennen sicher auch solche Musiker-Probleme, von denen nur selten in den Hochglanz-Gazettenzu lesen ist. Nach dem Auftritt fordert mich ein knarziger Ur-Bayer (Eigenwerbung: „I bin schwoarz wie di Nocht“) einigermaßen aufdringlich heraus, für ihn eine Extra-Zugabe zu spielen. Wenn ich ein echter Kerl sei, dann müsse ich jetzt einfach einschlagen. Ich bin kein echter Kerl und lehne solange ab, bis er irgendwann heimwärts schwankt. Es wird noch etwas in netter Runde beisammengesessen und über das bayerische Wesen geplauscht, dann fordert die Mischung aus vier Tagen Schlafmangel, Bierbeben und lokaler Küche ihren Tribut.

Mein Label darf mich gerne bald wieder auf Bayern-Tour schicken.

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