Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Gründet eine Band!

Warum es sinnvoll ist, Mitglied in einer Brutstätte des Unfugs zu werden und sich irrlichternden Ambitionen hinzugeben.

Folge 270

Meine Tochter gründet eine Band. Das erfüllt mein väterliches Herz mit Freude, denn Bandgründungen zählen – anders als Startup- oder Familiengründungen – zu den sinnvollsten Unternehmungen für junge Menschen. Und nicht nur für junge: Unerfüllt scheint mir das Dasein derer, die nicht wenigstens einmal im Leben eine Bandgründung in Erwägung gezogen haben.

Jedenfalls: Meine Tochter ist durch halb Berlin gelaufen und hat Zettel aufgehängt. Der Text ihres Gesuchs ist schon mal sehr gut, besteht er doch im Wesentlichen aus der Auflistung diverser Referenzkünstler: „The Fall, Cramps, Swell Maps, Gun Club, Les Rallizes Dénudés, Pixies, Velvet Underground, Ramones, Siouxsie And The Banshees, These Immortal Souls, Yo La Tengo“. Wäre ich nicht ihr Vater und über dreißig Jahre zu alt, ich würde mich sofort um den Posten des Schellenkranzspielers bewerben.

Naturgemäß katapultiert mich das töchterliche Treiben zurück in jene süßen Jahre der eigenen Bandgründungen zurück. Meine erste Band rief ich im Alter von etwa dreizehn Jahren mit zwei Freunden aus demselben Dorf ins Leben. Ein klassisches Trio: Gitarre, Bass, Schlagzeug. Wir hießen Overheated und klangen wohl auch so. Zu behaupten, dass unser Schaffen irgendetwas mit Musik zu tun gehabt hätte, wäre närrisch. Aber das Rumoren der Jugend, der Charme des Leichtsinns und noch einiges mehr drang uns aus allen Poren.

Wir waren voll des Lebens ungemischter Freude und entboten unser technisch überschaubares Repertoire mit Mark und Nachdruck. Es gelang uns, unser Unvermögen als etwas Sokratisches zu verkleiden. Wer dabei war, weiß, dass es so etwas nie wieder gegeben hat. Zumindest nicht in unserem Dorf. Als wir uns auflösten, war ich sechzehn.

Später professionalisierte sich mein Band-Treiben ein wenig. Aber eben auch nur ein wenig. In den Neunzigern spielte ich Schlagzeug in einer Gruppe, die es sich auf die Fahne geschrieben hatte, Pavement, Beck, Manfred Krug und Adriano Celentano zusammenzudenken. Ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen, aber genau darum rankt sich
ja letztlich alles bei Bands: um höchsten Kunstwillen, irrlichternde Ambitionen und zwischenmenschliche Unzulänglichkeiten in wildem Gerangel.

Erfolg ist eigentlich auf jeden Fall zu vermeiden

Natürlich geht es auch darum, im intuitiven Spiel zueinanderzufnden, Grenzen der Kommunikation zu überwinden
und idealerweise einem staunenden Publikum mit der Magie süßer Töne das limbische System zu massieren. Vor allem sind Bands aber Fanclubs der Unvernunft, Geheimbünde der Alltagsunbegabten, Brutstätten des Unfugs, Bollwerke
des Firlefanzes.

Erfolg sollte allenfalls etwas sein, das zufällig passiert, Erfolg ist eigentlich um jeden Preis zu meiden. Vertrauen Sie mir: Geht es um Erfolg im Kontext des Band-Seins, weiß ich sehr genau nicht, wovon ich rede.

Meine letzte Band, wieder ein Trio, gründete ich, als ich bereits auf die fünfzig zuging, Corona stand vor der Tür. Wir hießen passenderweise Die Realität. Es war alles so sinnlos, absurd und glückstiftend wie damals, als ich mit meinen Freunden auf dem Dorf die Instrumente kreuzte.

Der einzige Unterschied bestand in der Erkenntnis, dass eine Band im hohen Alter schwerer zu organisieren ist, da der Alltag der Mitglieder mit nebensächlichen Tätigkeiten wie Arbeitengehen oder Kindererziehung verstopft ist – oder weil wieder eine Vorsorgeuntersuchung ansteht.

Wir haben uns bis heute nicht aufgelöst; ich vermute, weil wir selbst dazu zu verpeilt (oder zu beschäftigt) sind. Ich muss die anderen beiden Mitglieder mal fragen.


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Tun Sie sich einen Gefallen, liebe Leserinnen und Leser, gründen auch Sie eine Band, bevor es zu spät ist, versetzen Sie
dafür Haus, Hof und Schallplattensammlung. Knien auch Sie nieder am Altar des Aberwitzes. Es mag nur ein kleiner Schritt für die Welt sein – für Ihr Leben aber kann es alles bedeuten.

Und was die Band meiner Tochter angeht: Vielleicht klebe ich mir einfach einen falschen Bart an und kreuze doch beim Vorspielen auf.

Ich muss vorher nur eins klären: Wer zum Teufel sind Les Rallizes Dénudés?

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