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Eric Pfeils Pop-TagebuchKolumne

Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Mehr Black Metal wagen

Unser Kolumnist über Peter Alexander, Vader Abraham, Disruption und pompöse Künstlernamen.

Folge 278

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Die Tage sind bodenlos und die Welt ein mephitischer Ort. Mehr und mehr Hirne sind Heimat dunkelster Gedanken, Katzen und Hunde paaren sich in den Straßen, und dauernd kräht irgendjemand von „Disruption“. Neulich wollte mir sogar der Herr an der Kasse bei Saturn zu meinem Kauf die aktuelle CD von Eko Fresh schenken.

In derart dystopischen Zeiten ist der Mensch auf den Trost erbaulicher Alltagserlebnisse zurückgeworfen. Gestern etwa traf ich eine entfernte Bekannte, die einen Kinderwagen vor sich herschob. Kinder sind die Zukunft, dachte ich, beugte mich über den Wagen und sagte das Übliche: Ach schau, Gratulation, na so was, wie das Kind denn heiße? Darauf sie: Peter Alexander.

Mein Gesichtsausdruck muss preisverdächtig gewesen sein. Um den kostbaren Moment nicht zu zerstören, verabschiedete ich mich rasch und ging beglückt meiner Wege. Peter Alexander war der Lieblingspopstar meiner Oma, sein Lied „Die kleine Kneipe“, das in Heavy Rotation ihr Wohnzimmer beschallte, beschwor 1975 ein kleinbürgerliches Idyll.

Die holländische Originalfassung „’t kleine café aan de haven“ stammt von keinem Geringeren als Pierre Kartner, besser bekannt als Vader Abraham. Dass der Mann mit dem schlohweißen Bart im Laufe seiner Karriere auch etliche ausländerfeindliche Hetzlieder sang und abseits der Bühne ebenfalls ins rechtsradikale Horn blies, soll hier keineswegs verschwiegen werden.

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Letztlich ist es aber irrelevant, denn das Kind der entfernten Bekannten hieß ja Peter Alexander und nicht Vader Abraham. Wobei ich es durchaus guthieße, wenn man sich bei der Namensvergabe an neugeborene Kinder verstärkt an Künstlernamen orientierte.

Black-Metal-Band Grabnebelfürsten und die Künstlernamen

In diesem Zusammenhang lohnt es sich, den Blick in Richtung härterer Musikspielarten schweifen zu lassen. Unlängst las ich irgendwo von der leider aufgelösten Bergisch Gladbacher Black-Metal-Band Grabnebelfürsten. Sollte ich je wieder kindlichen Nachwuchs benennen müssen (wovon ich nicht ausgehe!), ließen sich hier prachtvolle Anregungen finden.

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Grabnebelfürsten-Sänger Dirk Rehfus etwa entschied sich für den Künstlernamen Sturm Deiner Winter. Andere Bandmitglieder wählten Pseudonyme wie Hochfensterwürden, K. R. Eisnebel oder Glutsturm. Ach, wie viel glanzvoller der Alltag erstrahlen würde, wenn man Sätze sagen könnte wie: „Ich arbeite heute von zu Hause aus. Die Kita-Mitarbeiter streiken, deshalb muss ich auf meinen Sohn Hochfensterwürden aufpassen.“ Das wäre mal Disruption.


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Die sogenannte Nachbarschaftskneipe, wie sie von Peter Alexander besungen wurde, sei schon in den 70er-Jahren vom Aussterben bedroht gewesen, erfahre ich aus einem WDR-Beitrag zum Thema. In meinem Wohnviertel in der Kölner
Innenstadt gibt es allerdings noch einige. Hier geht es immer noch zu wie in einem Pogues-Song, allerdings klingen die Kneipen nicht wie ein Pogues-Song, sondern werden von fürchterlichen Neunziger-Rock-Playlists bedudelt.

Mehr Black Metal wagen, lautet auch hier mein Vorschlag! Ich habe kurz überlegt, ob ich mit flammendem Beispiel vorangehen könnte, indem ich die Black-Metal-Band Disruption gründe. Wir hätten Kettensägen statt Gitarren und stünden auf Bandfotos bleich geschminkt vor kargem Gestrüpp herum. Doch, oh weh: Es gibt bereits mehrere Black-Metal-Bands dieses Namens!

Das Leben ist eine Aneinanderreihung verpasster Gelegenheiten.