Er war so exaltiert, because er hatte Flair
Eine winterliche Recherche auf den Spuren von Falco, dem größten aller Wiener Schlawiner. Auszug aus der neuen Reportagen-Sammlung von Benjamin von Stuckrad-Barre
Wien, im Januar: Es geht um Denkmalpflege. Das Kulturerbe muss gerettet, der Verfall durch permanente Restaurierung verhindert und die Erinnerung wachgehalten werden, sagt Maria-Luise Heindel und gibt einer Mitarbeiterin noch schnell ein paar Anweisungen, um dann zur Mittagspause zu schreiten. Maria-Luise Heindel ist Generalsekretärin des Vereins „Unser Stephansdom“‚, früher war sie mal so etwas wie die Sekretärin des österreichischen Nationalheiligtums Falco. Man kann also sagen, dass Frau Heindel Spezialistin ist für Wiener Härtefälle.
Nachdem Österreichs bis heute wichtigster Popmusiker am 6. Februar 1998 bei einem Autounfall in der Dominikanischen Republik gestorben war, hat sie die Beerdigung auf dem Zentralfriedhof organisiert. Helmut Thoma, der wie alle Österreicher, die etwas auf sich halten, natürlich dabei war, habe ihr danach sehr schön gratuliert, so möchte er auch begraben werden eines Tages. Die Hells Angels aus dem Video zu Falcos Welterfolg „Rock Me Amadeus“ saßen gerade im Gefängnis, erinnert sich Heindel, sie bekamen aber zum Sargtragen Freigang, ein Anruf beim Bürgermeister war das – und dann kein Problem. Herrlich, so stellt man sich Wien doch vor! Heindel arbeitete damals im Büro von Hans Mahr, der vorher Wahlkampfmanager des österreichischen Kanzlers Bruno Kreisky war und später RTL-Chefredakteur wurde, und als Mahr sie eines Tages Mitte der 80er Jahre fragte, was sie davon halte, wenn „wir jetzt den Falco machen“, wusste sie, dass die Sache bereits entschieden war. Bei seinem Antrittsbesuch gab Falco ihr Geld für einen Büro-Kühlschrank. Mahr war sparsam oder auch geizig, Falco aber war spendabel, und außerdem trank er ganz gern mal was Kühles.
Nun jährt sich sein Todestag zum zehnten Mal, und Erinnerung, Tod und Verklärung sind ja so etwas wie die Kernkompetenzen der Stadt Wien; es ist deshalb während dieser zehn Jahre nie ganz still um Falco geworden, was natürlich an Werk und Person des Verstorbenen liegt, aber eben auch am Wesen der Stadt und ihrer Bewohner im Speziellen – die pflegen ein Denkmal, indem sie sich selbst herausputzen. Es gibt nicht viele Wiener, die sich gar nicht zu Falco geäußert haben seit seinem Tod, in Büchern, im Fernsehen und überall, wo man sie ließ. Sie alle kannten ihn natürlich wahnsinnig gut und haben jeweils ihre ganz eigene Theorie zu seinem frühen Ende (Unfall? Selbstmord? Mord?). Zwei Dinge beachtet der Wiener Erinnerungsfanatiker dabei grundsätzlich: Er spricht erstens vom „Hansi“, denn Falco hieß bürgerlich Hans Hölzel, und der Erinnerungsfanatiker möchte so – ganz beiläufig – darauf hinweisen, dass er kein Falco-Fan war, sondern ein Freund, ein Hansi-Freund, ein enger, ein guter, ein besserer zumindest als die meisten anderen infrage kommenden Zeitzeugen, die der Wiener Erinnerungsfanatiker zweitens mit immenser Boshaftigkeit und intrigantem Geflüster zu desavouieren liebt: Mit dem haben S‘ g’sprochen? Des wissen S‘ aber scho‘, dass der… – dann folgt irgendetwas Ungeheuerliches, zumindest Semi-Justitiables, und man wundert sich, dass der zuvor genannte Informant nicht längst im Gefängnis sitzt.
Maria-Luise Heindel steht nun direkt am Stephansdom und freut sich, Touristen gehen hinein, werfen Spendengeld in eine Miniaturausgabe des Doms: „Sehen Sie, er lebt. Im Grundbuch ist als Eigentümer der Stephansdom eingetragen, er gehört sich also selbst. Und die Bürger haben Sorge zu tragen für den Erhalt.“ Auch Falcos Werk lebt, immer wieder kommen Platten heraus, es gibt ein Musical, demnächst sogar einen Kinofilm, es gibt eine Falco-Briefmarke, eine Falco-Edelrose, eine Falco-Boeing, und in der Nähe des Hauses, in dem er seine Jugend verbracht hat, wurde ihm zu Ehren vor vier Jahren die „Falcostiege“ eingeweiht. „Muss ich denn sterben, um zu leben?“, barmte Falco in seinem Vermächtnis-Lied „Out Of The Dark“, das, postum veröffentlicht, der Hit geworden ist, den ihm zuletzt niemand mehr zugetraut hatte, er selbst sich wohl am allerwenigsten, allzu irrlichternd waren seine letzten Comeback-Versuche gewesen. Obschon er den Text einige Jahre vor seinem tödlichen Unfall geschrieben hatte, bot diese Zeile natürlich Raum für jede Art Nachtragsmystik, Todesvorahnungsthese und Selbstmordtheorie. „In Wien musst erst sterben, dass sie dich hochleben lassen. Aber dann lebst lang“, zitiert Heindel den Schauspieler Helmut Qualtinger. Auch Frau Heindel hat ein Falco-Buch herausgegeben.
Sie trägt ein grünes Halstuch, ein Geschenk von Falco. Er hat ihr auch eine Stereoanlage geschenkt, die sie immer noch benutzt. Vor jedem Geburtstag fragte er Mahr, was er denn der Maria-Luise schenken solle; Mahr fragte dann die Maria-Luise, was der Falco ihr schenken solle – und so hat sich Maria-Luise Heindel immer sehr über Falcos Geschenke freuen können.
Beim Mittagessen nun ein Memorial-Stammtisch: Hans Mahr, Maria-Luise Heindel und Markus Spiegel, der Falco den ersten Plattenvertrag gab, sie brachten gemeinsam den „Kommissar“ heraus – und dann ging es los. Man darf Spiegel also getrost als Entdecker Falcos bezeichnen, bloß in Wien sollte man damit vorsichtig sein, denn sofort wird einem jemand auf die Schulter tippen und erklären, warum keineswegs der Spiegel, sondern er, der Schultertipper, der wahre Falco-Entdecker gewesen sei. Hans Mahr hat in seiner Eigenschaft als Profi-Strippenzieher dieses Mittagessen arrangiert, eigentlich hatte auch noch Billy Filanowski kommen sollen, den viele Wiener – ausnahmsweise übereinstimmend – als eventuell wirklich besten Freund Falcos bezeichnen, aber der ist leider gerade in Saigon. Filanowski ist häufig im Ausland, früher nahm er Falco manchmal mit, zum Ausruhen von Wien. Auch Rudi Dolezal hat absagen müssen, der ist gerade in Miami. Gemeinsam mit Hannes Rossacher betreibt er die Film-Produktionsfirma DoRo, die beiden haben fast alle Musikvideos für Falco hergestellt, nach dessen Tod haben sie praktisch wöchentlich ihr umfangreiches Archiv ausgewrungen – und so gewinnbringend an Falco erinnert, lästern die Wiener. Vor allem Dolezal hat sich nicht sehr beliebt gemacht bei den zahlreichen Falco-Erbe-Bewachern, als er sich in Post-mortem-Interviews Falcos „Blutsbruder“ nannte. Gut, dass er in Miami ist, flüstern einem die Wiener, denn das sei eine historische Chance, dass in Wien endlich einmal über Falco gesprochen werden könne, ohne dass der Dolezal sich gleich wieder vordrängelt.
Spiegel schwitzt – er schwitzt immer, sagen die Wiener. Er ist sehr lustig und bestellt sich erstmal Austern, Mahr nimmt ihm eine weg. Die jüngeren Österreicher kennen Markus Spiegel als Jurymitglied bei „Starmania“, der österreichischen Superstarsuche. Dort wäre Falco ganz gewiss nicht aufgetreten, ist sich Spiegel sicher, auch wenn er unbedingt berühmt hatte werden wollen. „Die haben ja kein Werk!“, er schüttelt den Kopf, „Die kommen einfach, singen – und denken, das reicht.“ Nie habe ihm da einer ein eigenes Lied vorgespielt. Falcos erstes eigenes Lied hieß „Ganz Wien“, es geht darin um Drogen, es ist ein harter, ein ungehöriger Text, das war eine neue Art des Textens, Falco legte den Grundstein für deutschsprachigen HipHop, er nahm sich aus dem Englischen, Deutschen und Österreichischen, was ihm gerade passte, vermischte alles – und das war neu, sensationell und bald darauf weltbekannt.
Mahrs Handy dudelt den „Donau Walzer“. Bei Falco ging der ein Stück schneller, essentieller und dann recht zügig in ein gesampeltes Telefontuten über, Schlagzeug – und „Vienna Calling“ bretterte los. Bei Mahr brettert gar nichts los, da schwingt der Walzer, bis Mahr drangeht. Er guckt sowieso gern in seine Kommunikationsgeräte. Dow Jones 300 runter, meldet Mahr jetzt.
Viele Wiener reden etwas abschätzig über Mahr. Das kann auch heißen: Er war Falco ziemlich nah. Mahr hat Falco Werbeverträge besorgt, das war damals noch unüblich, dass ein Popstar Geld kriegt für das Tragen oder Benutzen bestimmter Produkte; Adidas und Weight Watchers. Mahr lächelt, das waren Zeiten! Die erste Tournee, die sie für Falco organisiert haben: Maria-Luise Heindel erzählt, wie sie irgendwelche „Vari-Lights“ besorgen musste, ohne so ganz genau zu wissen, was das eigentlich ist. Die Pointe solcher Strauchelgeschichten ist ja immer, dass am Ende doch alles gut geklappt hat. Die Tournee war ein großer Erfolg, natürlich. Jahre zuvor das erste große Falco-Konzert (Spiegel lutscht an einer Auster und freut sich auf den Witz, den er jetzt erzählen darf), ausgerechnet eine Benefiz-Veranstaltung mit dem Titel „Selbsthilfe gegen Sucht“. Dieser legendäre Abend fand nicht nur in den Wiener Sophiensälen statt (wo Falco auch sein vorletztes Konzert spielte – traurig, traurig -, auf der Weihnachtsfeier der Lauda Air), nein, es wird noch wienerischer, sogar in den mittlerweile abgebrannten Sophiensälen.
Falco habe zu ihm, Spiegel, immer gesagt, nur ein toter Künstler sei ein guter Künstler. Mahr hat das noch bessere Zitat parat, ihm nämlich habe Falco gesagt: „Sie werden mich erst lieb haben, wenn ich ganz tot bin.“ Die Wiener sprechen lieber über den Tod als über das Leben, das ist bekannt. Also: die Dominikanische Republik, der Unfall, das Ende. Ein schlechter Autofahrer sei Falco gewesen, urlangsam sei er immer gefahren, wenn er nüchtern war. War er bei seiner letzten Autofahrt in Puerto Plata nicht, laut toxikologischem Befund schwammen Alkohol, Marihuana und Kokain im Falco-Blut. Es habe ihn zum Schluss niemand mehr im Griff gehabt, sagt Mahr, „da unten, in seinem depperten Exil, in dieser Karibik für Oarme – DomRep, also wirklich“. Mit Bordellbesitzern und anderen Zwielichtsgestalten habe er sich dort umgeben, ein verlängerter Selbstmord sei es gewesen. Heindel widerspricht heftig: „Dann lädt man sich doch keine Leute mehr ein und bucht sogar Flüge für sie!“ Jetzt wird Mahr etwas ungeduldig: „Verlängert hab‘ i‘ g’sagt!“ Heindel zündet sich eine Zigarette an, in Österreich darf man noch überall rauchen. „Er war ein Suchender“, sagt sie zum wiederholten Mal und schaut bedeutungsvoll aus dem Fenster, zum Stephansdom. „Des hamma schon g’sagt“, nörgelt Mahr und wedelt vorwurfsvoll Heindels Zigarettenrauch aus seinem Atembereich, dieses Gerauche überall in Wien stört ihn sehr, Wien sei halt Balkan, sagt Mahr. „Geh nach Köln und gib a Rua!“, empfiehlt Spiegel. Mahr liebt es, so angewienert zu werden, alle paar Wochen kommt er hierher, dann fühlt er sich wieder wie ein Mensch hernach, sagt er.
Falcos Grabstätte – Tor 2, Gruppe 40, Grab 64 – ist mit Abstand die auffälligste, geschmackloseste und natürlich eine der meistbesuchten auf dem Zentralfriedhof. Frische Blumen liegen dort, Kerzen brennen, dazwischen flattern im Wind ein paar Fanbriefe. Auf einer großen Glasplatte ist Falco mit schwarzem Umhang abgebildet, so wie auf dem Cover seiner Platte „Nachtflug“. Im Titellied sang er: „Er bucht den Nachtflug einmal täglich / Zur Sicherheit den Heimweg auch / Lichtjahre Luxus – vergeblich / Es bleibt beim harten Puls im Bauch.“ Hans Mahr faltet die Hände und schließt die Augen.
Als Hans Hölzels Mitsubishi Pajero frontal mit einem Bus kollidierte, am 6. Februar 1998, war er sofort tot, der Hölzel, der Falco. Polytrauma, multiples Organversagen, nichts zu retten. Eine bittere Obduktionspointe am Rande: Herzriss. Das Herz, sang doch Falco einst, geht so lang zum Messer, bis es sticht. Mahr hat bei der Beerdigung gemeinsam mit Rudi Dolezal zu den Klängen von Falcos Dylan-Interpretation „It’s All Over Now, Baby Blue“ den Barhocker, auf dem sitzend Falco dieses Lied in Konzerten immer gesungen hatte, dem Sarg hinterdrein ins Grab geworfen. „Was vorbei is, is vorbei – Baby Blue“, sang Falco vom Band, man konnte es weithin auf dem Zentralfriedhof hören. „Ohne Wien ging’s nicht – und mit Wien schon gar nicht“, sagt Mahr, verneigt sich und geht von dannen, zurück nach Köln, wo nicht so viel geraucht wird wie in Wien. In Wien rauchen sogar Friseure während der Arbeit: Michael Patrick Simoner zum Beispiel. Tagsüber schneidet er rauchend Haare, und an ungefähr 200 Abenden im Jahr tritt er als Falco auf. Maria Hölzel habe ihn „quasi adoptiert“, sagt er; nachdem sie seinen ersten Auftritt als Falco-Wiedergänger gesehen hatte, habe sie ihn gar „sozusagen autorisiert“, die Lieder ihres Sohnes zu singen, und damit er das noch wirkungsvoller tun kann, hat sie ihm die gesamte Bühnengarderobe des Toten zur Verfügung gestellt. Der ganze Salon hängt voll mit Falco-Bildern, denkt man auf den ersten Blick, doch sind das durchweg Bilder des Friseurs – in Falco-Kostiimen. Die Wiener Falco-Spezialisten sagen, Simoner sei „abissl oarg, abissl mühsam“, er halte sich ja mittlerweile tatsächlich für den Falco auf Erden. Simoner schießt zurück, Schere und Zigarette in der Hand, er ist jetzt sehr aufgeregt: „Nehmen S‘ zum Beispiel den Falco-Film, so was ist doch das Hinterletzte, Leichenfledderei!“ Alles darin sei gelogen, das fange ja schon bei den Kostümen an, Fälschungen seien das, die Originale habe schließlich er. Ist nicht der Film ein, nun ja, Film? Papperlapapp! Eigentlich sei er die erste Wahl für den Hauptdarsteller gewesen, sagt Simoner, das solle man nicht unbedingt schreiben, aber so sei es gewesen, nur habe er es dann nicht gemacht, weil „der Mutter“, also Maria Hölzel, das Drehbuch nicht gefallen habe. Zum Beispiel schmeiße Falco im Film eine Frau auf einen Glastisch, und, Verzeihung, so sei das ja gar nicht gewesen. Falco selbst sei einmal besoffen auf einen Glastisch gefallen, Simoner weiß sogar noch, woher er da gerade kam, der Falco. Simoner war praktisch dabei. Man könnte fast sagen, dass Simoner selbst auf den Glastisch gefallen ist. Ein Hund kommt herein, der tatsächlich Falco heißt. Simoner streichelt ihn.
Im „Cafe Ritter“ sitzt Thomas Roth, der Regisseur des besagten Films „Verdammt, wir leben noch“, Kinostart ist pünktlich zum zehnten Todestag. Roth trägt Jogginghose, Vollbart, Brille – und schmunzelt. Der Friseur? Ach, der Friseur! Zu keinem Zeitpunkt habe man daran gedacht, den zu besetzen. Den Film darf man noch nicht sehen, das macht das Gespräch nicht leichter; Roth labert, es sei „gelungen, dem Mythos von Sex, Drugs und Rock’n’Roll sehr nah zu kommen“, und jetzt ahnt man, dass die Geheimnistuerei nicht grundlos ist, das klingt ja fürchterlich. Hans Mahr hatte den Film schon gesehen und sehr geschimpft, es werde darin nur Falcos ausschweifende, exzessive Seite gezeigt, nicht aber, dass und warum er ein so großer Künstler war. Wenn einer so viele Millionen Platten verkauft hat, müsse wohl irgendwas dran sein, mault Mahr. Soso, der Mahrhansi wolle ihn schon gesehen haben, den Film? Könne er gar nicht – behauptet Roth. „Schmarrn“, sagt Mahr, „sie wollten ihn ja ins Ausland verkaufen, da ham s‘ mir den natürlich gschickt“.
Langsam bekommt man eine Ahnung davon, was Wiener meinen, wenn sie sagen, in Wien sei es nicht auszuhalten. Man erkundigt sich in harmloser Rechercheabsicht ein wenig – und schwups, steht man mitten drin im Kreuzfeuer paranoider Grabenkämpfer, watet in einem Dickicht aus Gerüchten, Verleumdungen und Widersprüchen; nicht sehr appetitlich, aber natürlich hochamüsant. Roth lehnt sich zurück: „Des woaß i eh, da san die Messer schon gschliffn! Wenn die Mythos-Beschützer die san, die nach Falcos Tod als große Freunde ins Licht getreten san – vor denen hob i kaane Angst.“
Natürlich geht es auch ganz handfest um Geld: Abenteuerliche Geschichten ranken sich um die Vollstreckung des Testaments, plötzlich tauchten dubiose Bierdeckel-Schuldscheine auf, verschiedene zweifelhafte Personen sollen sich
bereichert haben, es gab allerlei Prozesse; die als Alleinerbin eingesetzte Mutter hat nach mehreren Schlaganfällen inzwischen einen Vormund, es ist alles sehr kompliziert. Ob Falco die Freunde hatte, die er verdiente, vermag man nicht zu beurteilen, fest steht aber, dass es eine sich Freunde nennende, nicht kleine Zahl Menschen gibt, die an ihm verdient. Einem berühmten Spruch Falcos nach hat die 80er Jahre nicht miterlebt, wer sich noch an sie erinnern kann – und genauso haben viele, die sich heute besonders gut an Falco erinnern zu können behaupten, ihn eventuell gar nicht gekannt. Oder sie haben ihre Erinnerungen an ihn mittlerweile zu oft formuliert, als dass sie noch wahr sein könnten. Statt an die Person Falco erinnern sich die Wiener Erinnerungsfanatiker nurmehr an die nachrufenden Erzählungen; das Ende im Sinn, wird auch der Weg dorthin derart schlüssig verdichtet und zugespitzt, dass man allenfalls eine Wachsfigur nach diesen Angaben modellieren kann: Falco war Genie und Depp, Charmeur und Arschloch, reich und verschuldet, manisch und depressiv, Angeber und Angsthase, nüchtern ein Engel und berauscht aber der Teufel – er selbst hat das natürlich in „Rock Me Amadeus“ viel schöner gedichtet, als er über Mozart (und sich) sang, „Er hatte Schulden, denn er trank / Doch ihn liebten alle Frauen“ und „Er war Superstar, er war populär / Er war so exaltiert, because er hatte Flair“.
Unweit der U-Bahn-Station Kettenbrückengasse, an der „Falcostiege“, wartet nun einer, der Falco wirklich gekannt hat, dafür gibt es Zeugen und davon gibt es Fotos: Conny de Beauclair, eine Wiener Türsteher-Legende aus dem Club „U4“, dem Nachtleben-Ort zu der Zeit, als aus Hans Hölzel „Falco“ wurde, der den Club im Liedtext „Ganz Wien“ verewigt hat – „Im U4 geigen die Goldfisch'“. Heute geigen sie dort nicht mehr so sehr, es finden eher Studentenpartys statt, aber zu Falcos Geburts- und Todestag immerhin regelmäßig Gedenknächte. In diesem Jahr wird dort auch der Doppelgängerfriseur auftreten, er wird „das Original-Hemd aus Falcos ‚Titanic‘-Video“ tragen, schwarz mit weißen Punkten.
Unter dem Straßenschild „Falcostiege“ fehlt neuerdings die Tafel mit der Inschrift „Falco“ Hans Hölzel (1957 – 1998) Popsänger, eroberte 1986 mit „Rock Me Amadeus“ die internationalen Charts.
Jemand hat sie abmontiert, es gibt also noch richtige, mutige Fans, insofern lebt das Werk. Gut so, oder? Geht so, sagt Conny de Beauclair und erzählt von Leuten, die kartonweise Memorabilia aus Falcos Landsitz in Gars am Kamp herausgetragen haben, nach seinem Tod. Die so Beschuldigten erzählen ebenfalls von solchen Raubzügen, allerdings bezichtigen sie wiederum andere namentlich. Wer weiß schon, was hier die Wahrheit ist? In Wien weiß es leider jeder, pro Falco-Zeuge gibt es eine Wahrheit, mindestens.
Conny de Beauclair hat Maria Hölzel erst bei der Beerdigung ihres Sohnes kennengelernt, sie mochten einander aber auf Anhieb, noch heute besucht er sie regelmäßig. Zwar sei sie geizig, sagt er, aber sie habe ihm eine goldene Lampe geschenkt, Falcos Schreibtischlampe. Als Folge der Schlaganfälle könne sie nurmehr „Datisda“ sagen, „Datisda“ entgegne sie auf jede Frage, und es gebe nur wenige, die verstehen, was sie damit jeweils sagen wolle. In diesem Fall hätte „Datisda“ ganz eindeutig gemeint, er solle bitte diese Lampe an sich nehmen.
Im nächsten Friseursalon spätestens wird man endgültig kirre: Erich Joham, der Udo Walz Wiens (also genau diese wienerische Extraportion geistreicher, nerviger und verkommener), der hinter vorgehaltener Hand höchst stolz die Liste seiner prominenten Kunden aufzählt, so verschwörerisch, als breche er gerade ein Arztgeheimnis oder so etwas, der also bietet an, „ein Video aus dem Jenseits“ zu zeigen. Bitte, was? „Doch, doch, wart nur!“, kreischt Joham und legt eine Videokassette ein. Auf dem Bildschirm sieht man jetzt, wie er Falco die Haare schneidet. Die Aufnahme stammt aus dem Winter 1996, Falco spricht anlässlich seines bevorstehenden 40. von den Feierlichkeiten zu seinem 30. Geburtstag, aber das macht ja nichts, man muss es nur anders sehen, eben als Video aus dem Jenseits, dann wirkt es gleich besser. Und also spricht der im Februar vor zehn Jahren gestorbene Falco nun aus dem Friseurfernseher: „Februar vor zehn Jahren, kannst dich erinnern?“ Friseur Joham triumphiert, und Falcos Gerede ist sehr schwer zu verstehen, da Joham immer, wenn es gerade interessant wird, dazwischenkreischt: „Host des gheert? Willst des nochamoal hörn?“ Dann spult er zurück, Falco setzt im kleinen Fernsehgerät zu sprechen an – und Joham schreit: „Da! Host des gheert? I spul’s gern nochamoal zrück.“ Nach und nach beginnt man zu verstehen, wie Falco auf die Idee kommen konnte, von Wien in die Dominikanische Republik überzusiedeln. Im Rausgehen hört man ihn im Jenseits-Video wunderbar gelangweilt zu Joham sagen: „Noch was zur Lage der Nation? Nicht von mir, ich fahr in die DomRep.“
Am Abend wird es dann richtig deprimierend, Johams Kollege Simoner tritt beim „Wiener Finanzball“ im Palais Auersberg als Falco auf. Der echte Falco drehte hier einst das „Junge Römer“-Video, heute gibt es nach der „Tombola mit vielen Preisen“ und dem „Scherenschnittkünstler Janko Schukaroff“ die „Mitternachtseinlage ‚A Tribute to Falco‘ mit Michael P. Simoner“. Der singt natürlich auch den „Kommissar“, und die Zeile „Drah di ned um“ bekommt eine neue Bedeutung, wenn man sie – nach dem Video aus dem Jenseits etwas metaphysisch gelaunt – als Grußbotschaft Richtung Zentralfriedhof interpretiert.
Um die Wallfahrt zu komplettieren, schließlich noch ein Besuch in Falcos letzter Wohnung, Schottenfeldgasse 7. Es brennt Licht, und aus der Gegensprechanlage blecht eine junge, freundliche Frauenstimme. Die Schauspielerin Hilde Dalik öffnet die Tür. Als sie die Wohnung vor drei Jahren angemietet hat, ahnte sie nicht, wer da einst gewohnt hatte, aber als der Makler es ihr dann erzählte, nahm sie das als „voll gutes Zeichen“, denn Falcos Musik hat sie immer gern gehört.
In einer Falco-Dokumentation der unvermeidlichen DoRos hat sie ihre Wohnung dann wiedererkannt, „da hingen die Nitsch-Bilder“, sagt sie – und zeigt auf die weiße Wand im Wohnzimmer. Und weil Falco nunmal Falco war, stand davor ein schwarzes Ledersofa. Jetzt steht da gerade ein Wäscheständer. Irgendwelche greifbaren Reliquien? Aber ja! An der Innenseite der Tür zum begehbaren Kleiderschrank klebt tatsächlich noch eine David-Bowie-Fototapete, schwarz-weiß, Amerikaflagge im Hintergrund, und weil zwischen dem großen Bowie-Bewunderer Falco und Hilde Dalik nur noch Maria Hölzel hier wohnte, darf man annehmen, dass Falco tatsächlich Bowie, diesen Schwarz-Weiß-Bowie, vor Augen hatte, wenn er sich anzog. Somit ist man endlich wieder bei der Musik, wurde auch Zeit nach all den Friseuren.
In einem Kellerstudio beginnt der Musiker und Produzent Thomas Rabitsch seine Nachtschicht. Rabitsch hatte mit Falco seit Jugendtagen in verschiedenen Bands gespielt, in berüchtigten Wie-Fer Chaotentruppen zunächst und später dann als „Falco und Band“ in Japan und wo nicht überall. Bis zum Schluss haben sie immer wieder gemeinsam Musik gemacht, und Rabitsch macht sogar noch nach dessen Tod mit Falco Musik: Mit dem DJ Peter Kruder mischt er ein Lied aus dem Nachlass neu ab, es heißt „Die Königin von Eschnapur“, Falco und Rabitsch hatten es 1995 zusammen geschrieben. Rabitsch testet jetzt, ob Bollywood-Streicher im Hintergrund eventuell passen, und dann singt Falco, dass die Kellerwände wackeln: „Lebend begraben / Werden sie uns nie“ und „Was von uns überbleibt / Ist alles original“.
Nein, niemand, kein Regisseur, kein Friseur, kein superguter Wiener Freund kann das Werk dieses Genies beschädigen, wenn es auch noch so viele Wiener ausdauernd versuchen.
Peter Kruder hat extra für diese Studionacht einen Falco-Bildschirmhintergrund auf seinem Laptop installiert: Falco grinsend, am Piano sitzend. Solange der Falco grinse, sei alles in Ordnung, was sie hier tun, sagt Kruder. „Siehst, noch gfallt’s ihm.“ Dann wird der Monitor dunkel, Energiesparmodus. Kruder tippt auf eine Taste, die Arbeit geht weiter – Falco ist wieder da. Und grinst.