Entstehung wie auch Stilrichtung verdanken Willard Grant Conspiracy purem Zufall. Was sie einzigartig macht
Es ist ja nicht so, daß man Robert Fisher nichts zutrauen würde, wie er da so sitzt, mit seiner Hornbrille Marke Woody Allen und den wachen Augen dahinter. Daß er aber en passant eine neue ästhetische Theorie des Songschreibens entwickelt, ist dann doch überraschend. Diese geht vom Foto aus. „Ein gutes Foto“, sagt der Gelegenheitsfotograf, „hat nämlich ein Geheimnis. Es kann einem viele Fragen stellen: „Wer die abgebildete Person ist, was sie wohl denkt, wie ihr Leben so abläuft“ Und? „Naja“, sagt Fishet; „ich denke, ein guter Song sollte sein wie ein Foto: Er beschäftigt die Phantasie, ohne sie einzuengen.“ So beginnt ein kleiner Songwriter-Workshop. Doch wer ist eigentlich Robert Fisher?
Kurz gesagt: ein Kalifornier in Boston. Ein Sales-Manager, der nebenbei gern Songs schreibt und eine Band hat Diese Band heißt Willard Grant Conspiracy. Und zu dem Namen gibt es eine Geschichte, die immer wieder voller Freude erzählt wird. Also: Die Band entstand rein zufällig. Fisher, der zuvor nur Rock goutiert hatte, steht eines Tages mit ein paar Freunden in einem Raum in Boston und spielt nun langsame, düstere, akustische Stücke. Als die Band eine Pause macht und raus vor die Tür geht, entdeckt einer den Namen der Straße: Willard Grant Street. Benannt nach einer alten Bostoner Familie.
Ein anderer faselt zufällig was von Verschwörung und prompt war der Bandname geboren.
Heute wild die Band mit den Tindersticks verglichen oder gar mit Nick Cave; ihre Düsternis wird gerühmt und als Tiefe gepriesen. Gerade das neue, dritte Album JUojave“ scheint diese Vergleiche zu bestätigen: Mit ihren lakonischen Songs bewegt sich die Willard Grant Conspiracy langsam in Richtung Meisterschaft. Robert Fisher findet das ganz lustig, ist aber, wie gesagt, eher per Zufall zu dieser Musik gekommen: „Sicher, die Band spiegelt einen Teil von mir wider, den ich allerdings nicht als düster oder finster empfinde. Für mich ist das eher eine gewisse Stimmung. Denn fest steht, daß ich auch ganz andere Musik machen könnte, mit ganz anderen Musikern. Willard Grant Conspiracy hat sich in einem Moment halt so ergeben – auf einmal kristallisiert sich aus den unendlich vielen Möglichkeiten des Lebens urplötzlich eine ganz bestimmte heraus.“
Auch das paßt zu Fishers Möglichkeiten-Theorie: Alles könnte immer auch ganz anders sein. Auch die Musik, die er allerdings nicht ganz alleine, sondern zusammen mit Paul Austin schreibt und komponiert Natürlich ist es für die Plattenfirma der Horror eine Band mit einer solchen Philosophie zu vermarkten. Doch die von Fisher & Co. tut ihr Bestes.
Sie akzeptiert auch, daß man auf der für den Sommer geplanten Europatournee nicht bei jedem Gig die gleiche Band sehen wird: Denn nicht alle Musiker konnten ihren Alltagsjobs für die fragliche Zeit ade sagen. Ergo wechselt das line-up, die Konzertbesucher müssen sich auf Überraschungen gefaßt machen. Bei ihren Gigs im letzten Jahr spielten Willard Grant Conspiracy im Vorprogramm der Silos vor ein paar Leuten. Silos-Chef Walter Salas-Humara bearbeitete kollegial das kleine Schlagzeug, Fisher saß starr und versunken auf einer Kiste und memorierte seine Texte. Zwischendurch machte er launische Ansagen: „Dieses Stück handelt von einem Haus, in dem ich mal wohnte. Da hörte man immer die nahe Eisenbahn rumpeln, und drinnen war es im Winter kälter als draußen. Ratten gab es auch.“ Todtraurig sind solche Lieder dennoch nicht, und das Stück „Home From Work“ – nun auf „Mojave“ verewigt – steigerte sich mantramäßig zum tröstlichen Gebet Regelmäßig artikulierten die wenigen Zuhörer ihren Wunsch nach einer Zugabe und applaudierten mehr als höflich.
Schon früh hat Robert Fisher der Musik des Zufalls gelauscht In seiner Jugend hörte er jahrelang nur komplizierten Jazz. Bis eines schönen Tages irgendwo eine der allerersten amerikanischen Punk-Hymnen lief. „Da war es um mich geschehen.“
Vielleicht war es vorgezeichnet, daß er Kalifornien über kurz oder lang verlassen mußte, um ins Punk-Mekka Boston zu wechseln. Schon Frank Black hatte den Schritt gewagt – um sich an der Ostküste dann in den Lava speienden Sänger der Pixies zu verwandeln.
Doch Boston ist für Fisher nicht nur Punktown: „Ich liebe vor allem die liberale, europäische Atmosphäre dort Wenn Du in Los Angeles oder New %rk Musik machst, gucken dir alle auf die Finger. Sie gieren nur danach, daß du mal einen Fehler machst und wenn das passiert, dann bist du ziemlich schnell aus dem Rennen. In Boston hast du Zeit Man kann dort auch mal für zehn Nächte hintereinander einen Club mieten, ohne vorher zu wissen, was und mit wem man dort spielen wird.“ Robert Fishers Wundertüten-Philosphie gibt einem anderen Theoretiker recht, der gesagt hat, das Leben sei wie eine Pralinenschachtel.