Entdeckung auf Raten
Zunächst waren die Kollegen vom ‚Rolling Stone‘ skeptisch,…
…dann aber entdeckten sie Anthony Hamiltons Qualitäten. Sein erstes Album, „Comin‘ From Where I’m From“, bedachten sie noch mit einer eher lauwarmen Kritik, der Nachfolger „Ain’t Nobody Worryin'“ fand hingegen Gnade vor dem gestrengen Urteil von Amerikas bester Musikzeitschrift. SOUNDS druckt die beiden Original-Reviews hier in Übersetzung:
Comin‘ From Where I’m From (2002) **
Talentierter Soulman steckt fest im D’Angelo-Groove.
Am Ende von Anthony Hamiltons balladenlastiger 12-Track-CD fällt es ziemlich schwer nicht zu glauben, dass man gerade einem einzigen durchgehenden Song gelauscht hat, in den etwa alle vier Minuten eine kleine Pause eingebaut wurde. Dass dieser Singer/ Songwriter Talent hat, steht außer Zweifel. Aber seine gröbere, blueslastige Version des sensitiven, verletzlichen Boheme-Terrains, das bereits Musiq, Maxwell und D’Angelo erkundet haben, passt nicht wirklich. Und sie nervt mit Wiederholungen: In jedem Song jammert Hamilton über verlorene Liebe (ausgenommen der von seiner Herkunft handelnde Titeltrack). Hin und wieder taucht in seinen Lyrics eine Spur Witz an der Oberfläche seiner Country-Grammatik auf, dazu fügen Songtitel („Since I Seen’t You“) und sein Falsett auf „Better Days“ der eintönigen Ästhetik willkommene Farbtupfer hinzu. Tatsächlich aber braucht er entweder gelegentlich einen anderen Blickwinkel auf sein gebrochenes Herz oder, noch besser, eine Erweiterung seines Themenspektrums. Ernest Hardy
Ain’t Nobody Worryin‘ (2005) *** 1/2
Auf Album Nr. 4 bleibt der Soulman bodenständig, wahrhaftig und retrospektiv. Als Soul-Traditionalist ist Anthony Hamilton verwandt mit den Indie-Rockern, die nicht mehr populäre Popstile wiederbeleben. Seine mangelnde Originalität kompensiert er dabei mit ehrlich erworbener Aufrichtigkeit und ruppiger Finesse. Nach „Soulife“ vom Sommer, einer Sammlung von Tracks, die vor seinem 2OO3er-Durchbruch „Comin‘ From Where I’m From“ aufgenommen wurden, kehrt der in North Carolina geborene New Yorker Sänger mit einem Nachfolger zurück, der hält, was die Hitsingle „Charlotte“ und der Gastauftritt bei „Why“ von Jadakiss versprochen haben. Mit geschmeidigen und doch rauen Grooves, die eher an den Seventies-Soul als an den bei Sample-verliebten Croonern gewöhnlich angesagten Northern oder Midwestern Funk erinnern, geht Hamilton in die Kirche. Allerdings ohne zu predigen: Im trägen „Pass Me Over“ träumt er von zukünftiger Errettung, beschuldigt aber den Messdiener, mit der Fleischeslust der Gemeinde zu liebäugeln, und vernachlässigt seine Nachkommen im feurigen „Preacher’s Daughter“. Meistens bleibt er lauter und ernsthaft, im verspielten „Sista Big Bones“ jedoch vergnügt er sich – seine Rechtschaffenheit nimmt dabei keinen Schaden.