Englands derzeit wohl radikalster Autor Stewart Home wechselt seiner Figuren Bewußtsein wie andere die Unterwäsche
Mich überrascht es immer wieder,“ sagt Stewart Home und nippt amüsiert an seinem Wasserglas, „daß es heutzutage immer noch Leute gibt, die die fiktive Welt eines Buches mit der Realität verwechseln und von den Figuren auf die Biographie des Autors schließen.“ Erwischt Stewart Home, den Autor von „Purer Wahnsinn“ und „Stellungskrieg“, zweier Bücher voller Sex, Gewalt und Drogen, hätte man sich tatsächlich etwas anders vorgestellt Zwar auch nicht unbedingt als subkulturellen Maniac, aber mit einem strikt drogenabstinenten Nichtraucher und leidenschaftlichen Frühaufsteher, der so gut wie nie Alkohol trinkt, hätte man nicht gerechnet Nun gut, Klischees sind dazu da, zerstört zu werden. Und das ist eine Spezialität von Stewart Home. Mit seinen Büchern verstößt der 1962 in Süd-London geborene Autor gegen alle Regeln sogenannter „guter“ Literatur Im Stile von Groschenheften präsentiert er stets Geschichten, in denen seine Figuren ihr Bewußtsein wechseln wie manch anderer seine Unterwäsche: Vom Hippie zum Skinhead, vom pazifistischen Tofu-Freak zum terroristischen Körnerfresser, vom Punk zum Polizeiagenten oder vom Bohemien zum Nazi. Bei Stewart Home ist alles möglieh! Was bei vielen postmoderen Philosophen abstrakte Theorie ist, arbeitet Englands wohl radikalster Autor zu „konkreter Poesie“ um. In seinem soeben erschienenen Buch „Stellungskrieg“ vögeln sich die beiden Hauptfiguren Terry und Joyce durch alle Lebenslagen und Gesellschaftsschichten. Man erfahrt viel über Körperöfmungen und -flüssigkeiten, über Union-Jack-Unterhosen, über die unausweichliche Revolution für – natürlich! – ein besseres Leben, über Mode und über die Austauschbarkeit von Jugendkulturen. Die Welt der Ideen, die Lebensentwürfe der Menschen, an denen sie sich festklammern, und die sie entsprechend schnell wieder loslassen, haben den Stellenwert der Speisekarte von McDonald’s. Man hat die Wahl zwischen Standaids und einigen Extras. Marx oder Hitlec, mit Senf oder Ketchup, schwul, hetero oder bi, medium, large oder extralarge. Derart zappt man sich durch die Welt der Lebensentwürfe. Oden Man wird gezappt Daß Stewart Home dabei auch noch klaut – unter anderem bei Bakunin, Goebbels oder irgendeiner Punkband – ist völlig normal. Plagiarismus als Stilprinzip. Authentizität oder Originalität sind für ihn nur große Lügen, antiquierte Vorstellungen des letzten Jahrhunderts. Homes Aktivitäten beschränken sich aber nicht nur auf Literatur, er ist auch Aktionskünstler, der die Zeitschrift „Smile“ herausgab, das „International Festival of Plagiarism“ organisierte und von 1990 bis 1993 den Kunststreik ausrief. Er blieb allerdings alleine bei der totalen Verweigerung jeder kulturellen Tätigkeit Demnächst ist Stewart Home im deutschsprachigen Raum auf Lesetournee, u.a.: 22.11. Zürich/28.11.Augsburg/ 30.11.Nürnberg/3.12. Münster/8.12. Wien