Endlich frei im Kopf
Auch wenn die TINDERSTICKS endlich wieder zu großer Form aufgelaufen sind: Sänger Stuart Staples spricht neuerdings lieber über Esel als über Musik
Die Anzüge werden nur noch zu besonderen Anlässen aus dem Schrank geholt, und zu rauchen gibt es Selbstgedrehte. Sänger Stuart Staples, graumeliert und auf seine vegetarische Pizza wartend, macht einen ganz alltäglichen Eindruck. Dazu passt, dass die ihm eigene, unnachahmliche Grandezza, die die drei ersten Studio-Alben der Tindersticks auszeichnete, auf „Simple Pleasure “ weitestgehend verloren gegangen war. Erstmals kein großer Wurf, erinnern wir uns mit Schmerzen. Um so erfreulicher, dass das britische Sextett auf „Can Our Lore…“ wieder zu großer Form aufläuft.
Staples Retrospektion schaut ähnlich aus: „Obwohl auch auf, Simple Pleasure‘ Einige Songs waren, die einen für längere Zeit begleitet haben, waren wir von all unseren Platten mit dieser tatsächlich am wenigsten zufrieden. Doch nach ,Curtains‘ waren wir alle ziemlich erschöpft und mussten etwas ändern. Wir versuchten damals, von etwas los zu kommen. Vielleicht klingt das Album deshalb etwas verkrampft.“ Bei den Aufnahmen zu „Can Our Lore…“ sei man erstmals „völlig frei im Kopf“ gewesen, weshalb sich auch ein „ganz neues Gefühl“ eingestellt habe, was wohl vor allem daraus resultierte, dass Rigidität und Regelwerk erstmals weit in den Hintergrund traten und mehr Platz für spontane Ideen vorhanden war.
Abgesehen von der unvergleichlichen und heute leider kaum noch erhältlichen Townes-Van-Zandt-Coverversion „Kathleen“ ist sicherlich „Tiny Tears“, vor allem aber Jism“ zu den größten Songs der Elegiker zu zählen. Stellt man Staples‘ fast schon sprichwörtliches Understatement in Rechnung, verwundert es kaum, dass er ersteren als „a bit crappy“ und letzteren als „etwas unbeholfen und plump, aber womöglich den richtigen Song zur richtigen Zeit“ bezeichnet.
Während der Dandy dies spricht, muss er schon ein bisschen schmunzeln. Er scheint sehr wohl zu wissen, dass man ,Jism“, einmal gehört, nur schwerlich wieder vergessen kann. Lieber redet er jedoch über Esel. Auf dem Cover von „Can Our Love…“, das wie immer keine abgedruckten Lyrics mitliefern wird, ist der zu diesem Zeitpunkt vollbärtige Staples mit solch einem Tier zu sehen. „Zu dieser Platte“, erläutert Staples, „wollten wir ein Cover haben, dass überhaupt keine Verbindung zu den Songs aufweist. Der Betrachter soll sich einfach fragen, um welche Art von Musik es sich wohl handeln mag.“
Auf der trefflich „Donkeys“ betitelten Raritäten-Kompilation der Tindersticks findet sich u.a. auch eine Coverversion des frühen Pavement-Stücks „Here“ – noch eine Band, die lieber Musik macht als langatmig darüber zu sprechen.