Empathie und Rüpelei
Interviews können von großem literarischen Wert sein, wenn die Befragten ihre Eitelkeiten überwinden. Das zeigen drei sehr unterhaltsame kürzlich erschienene Sammelbände.
Gerade bei Großschriftstellern oder solchen, die schon fest den Nachruhm im Kalkül haben, bemerkt man gelegentlich im Interview eine skrupulöse Unlockerheit. Nur die wenigsten können es ertragen, im mündlichen Dialog nicht die stilistische Brillanz, analytische Schärfe oder den Witz an den Tag zu legen, die ihren Büchern eigen sind. Also wird nachgebessert, umgeschrieben, ergänzt – zum Leidwesen der Interviewer, die „ihren“ Text nicht mehr wiedererkennen. Denn eigentlich haben sie ihn zu verantworten. Sie „führen“ das Gespräch und formen das zumeist unstrukturierte, ab- und ausschweifende Textkonvolut erst zu einem lesbaren, bisweilen literarischen Text. Genau das hat allerdings auch zu grotesken Entstellungen geführt, bis hin zum Skandal um die gefälschten Interviews des Schweizer Journalisten Tom Kummer, die sich zwar herrlich lasen, aber eben von vorne bis hinten fingiert waren.
Kein Wunder daher vielleicht, dass sich viele Künstler vehement gegen jede Form kreativer Vereinnahmung wehren, auch wenn das in vielen Fällen dazu führt, dass die Interviews zur Farce werden. Sehr schön nachzulesen ist das in dem gerade erschienenen Band mit gesammelten Gesprächen aus der „Paris Review“ („die Paris Review Interviews – 01“, Edition Weltkiosk, 19,90 Euro), einem kleinen, aber einflussreichen Literaturmagazin, dessen Reputation sich v. a. auf seine langen Werkstattgespräche mit Schriftstellern gründet.
Vladimir Nabokov etwa bestand darauf, dass man ihm die Fragen vorher schickte. Und als sein Interviewer Herbert Gold dann im Montreux Palace Hotel eintraf, wo Nabokov mit seiner Frau seit dem Bestsellererfolg von „Lolita“ residierte, lag dort bereits ein Umschlag für Gold bereit. „Die Fragen waren durchmischt und in ein Interview verwandelt worden.“ Und so liest sich dieser Interview-Fake auch als eine statische Abfolge von poetologischen Regierungserklärungen, blasiert und völlig leblos.
Auch andere große Autoren haben Einfluss genommen auf die Textgestalt. Allerdings ließen sie sich wenigstens halbwegs auf die Funktionsweise des Genres ein. Hemingway zum Beispiel „zog es vor, viele der Antworten in diesem Interview an seinem Lesebord auszuarbeiten“, aber auch wenn der nassforsche Rüpelton, in dem er sich hier gefällt, sehr aufgesetzt wirkt, hat dieser Text doch einen gewissen Fluss, entwickelt sich eine Frage immerhin noch gelegentlich aus der vorherigen Antwort. Ähnlich bei Philip Roth, der erst nach einigen Runden Überarbeitungs-Pingpong den Abdruck erlaubte.
Dass die Gattung „Maskuliner Weltliterat“ aus Angst, unter seinem Niveau zu formulieren, zum Kontrollfreak mutiert und sich nicht mehr auf das Spiel einlassen kann, ist umso ärgerlicher, wenn man sich etwa die – wie dem Buch zu entnehmen ist: ohne Beanstandung abgesegneten – Plaudereien mit Dorothy Parker oder Joan Didion ansieht. Sie zeigen, was ein Interview leistet, wenn man der gesprochenen Sprache ihr Recht und den Interviewer machen lässt und nicht mehr als nötig an dem fertigen Text herumdrechselt. Hier reden echte Menschen miteinander, lebendig, authentisch. Auch das Interview mit Kurt Vonnegut liest sich wie ein überaus amüsantes Teegespräch, das so allerdings nie stattgefunden hat. „Mit größtem Einfühlungsvermögen interviewte ich mich selbst“, verrät er am Ende. Vonnegut besitzt allerdings das Gehör für die krude Poesie des gesprochenen Worts. Und hier zeitigt die Überarbeitung einen deutlichen Mehrwert – an Komik nämlich.
Die kann man auch Hunter S. Thompson nicht absprechen, dessen gesammelte Interviews, „Kingdom of Gonzo“ (Edition Tiamat, 18 Euro), jetzt erstmals auf Deutsch vorliegen. Thompson war immer schon Mittäter. Er hat seine Storys nicht penibel recherchiert, der Einsatz seiner manischen, von diversen Stimulanzien befeuerten Person hat diese erst hervorgebracht. Das billigt er auch seinen Interviewern zu, die sich hier bisweilen ziemlich ins Zeug legen, um dem Alten zu beweisen, dass sie ihre Gonzo-Lektion gelernt haben. So ist der Unterschied gar nicht so groß, ob er nun selbst der Reporter ist oder wie hier den passiven Part übernimmt. Man kennt diese verbale Kraftmeierei, der man zweierlei zumindest nicht vorwerfen kann: dass sie langweilig wäre und keinen klaren Standpunkt hätte. Mit Thompson u.a. hat sich der Journalismus einmal mehr seinen Claim in der Literatur abgesteckt, und der Autor ist zu Recht stolz auf seine Ausnahmestellung. In mehreren Interviews prahlt er damit, dass er als Einziger mit zwei Texten in Tom Wolfes Anthologie „The New Journalism“ vertreten sei.
Hierzulande bekommt ein literarischer Journalist selten große Aufmerksamkeit. Schon gar nicht für Interviews. Einer der wenigen, der damit berühmt und geradezu berüchtigt wurde, weil auch er es in einigen Fällen zu weit trieb mit der Manipulation am Schreibtisch, war der kürzlich verstorbene André Müller. Er verband die penetrante Neugier einer Friseuse mit der philologischen Akkuratesse eines Literaturwissenschaftlers, und diese Kombination hat seine Gesprächspartner immer wieder verstört und herausgefordert, wie man noch einmal in „‚Sie sind ja wirklich eine verdammte Krähe!‘ Letzte Gespräche und Begegnungen“ (Langen Müller, 19,99 Euro) nachlesen kann. Marcel Reich-Ranicki droht, ihn aus dem Haus zu werfen, Alice Schwarzer verhindert die Publikation, Peter Handke beleidigt ihn – seine Gespräche kalkulieren ihr Scheitern immer mit ein. Obwohl er sich stets mit einer Akribie vorbereitet hat, die ohne Sympathie zu seinem Gegenüber nicht denkbar ist. Müller setzt seinen Gesprächspartnern zu, manchmal so sehr, dass man sie vor dem Aggressor in Schutz nehmen möchte. Auch das nimmt er in Kauf für die gute Sache der Erkenntnis. Die hohe Kunst von Rede und Gegenrede erfordert nun mal mindestens zwei Künstler. Frank Schäfer