Elton John: Ich bin ein Star, ich will hier nicht raus
In Las Vegas präsentiert Elton John seine Song-Show - und das neue Album zeigt einen Entertainer, der mit seinem Leben endlich (fast) zufrieden ist
Hätte man Elton John vor vier, fünf Jahren gefragt, ob er nach Las Vegas gehen und eine permanente Show spielen wolle, hätte man mit ein wenig Glück einen von Elton’s little tantrums provoziert und sich eine Ohrfeige eingefangen, Vegas? Niemals! Nicht mal die Nacht wollte John früher in US-Amerikas bigottem Mega-Vergnügungspark verbringen. Und stieg nach seinen gelegentlichen Engagements im MGM Grand lieber gleich wieder ins Flugzeug, um es wenigstens nach LA zu schaffen. Doch jetzt ist er da. Drei Jahre lang, für voraussichtlich 150 Auftritte im Rahmen einer extra für ihn entworfenen Show, die Vegas-Besucher nett unterhalten und in Stimmung für die rauschende Casino-Nacht bringen soll. Rien ne va plus, Elton John? „Natürlich ist diese Entscheidung die Antithese zu allem, was ich früher gesagt habe, aber soll ich dir was sagen? Ich habe Spaß hier. Ich liebe die Show. Sollte mir das zu denken geben?“
Die Show, die Elton liebt, läuft im Caesars Palace, einem der älteren Casinos der Stadt. Der riesige Komplex am Las Vegas Blvd. ist eine Art Simulakrum des alten Rom, mit Marmor, Markusbrunnen, antik aussehenden Marktplätzen und scheinbar endlosen Flaniermeilen mit Gucci, Armani und Versace an jeder Ecke. Die Läden, die Restaurants und das ganze virtuelle Gehabe dienen freilich nur dem einen Zweck, möglichst viele Besucher in die riesigen Casino-Hallen zu locken, wo das Klischee so sehr Realität ist, dass man es kaum glauben kann. Hier entsteht das klassische Bild von Las Vegas: die dicken, muffigen Teppiche, die derben alten, Zigarette rauchenden Frauen am one-armed bandit, dazu das grotesk Fassadenhafte.
Hier gehen für Elton John heute Abend die Lichter aus: Das Colosseum ist ein beeindruckendes Halbrund mit 4000 Sitzplätzen, das vor einigen Jahren für Celine Dion gebaut wurde, die hier mit dem in Vegas überproportional vertretenen Cirque du Soleil eine Show namens „A New Day“ auf die Bühne bringt. Dem eitlen Elton ist es freilich ein Dorn im Fleisch, der Springer für Celines Urlaubstage zu sein, und im Verlauf des anderthalb Stunden langen Sets geht so manche Spitze in Richtung der kanadischen Heulboje. So beteuert er zur allgemeinen Erheiterung, es werde heute Abend weder Tanzeinlagen noch lip synching geben.
Die Show, die „The Red Piano“ heißt, weil John an einem roten Flügel sitzt, erspart einem den sonst in Vegas üblichen Unsinn fast vollständig. Abgesehen von einigen dämlichen übergroßen Aufblas-Gadgets – bei „I’m Still Standing“ symbolisieren eine sechs Meter hohe Banane und zwei Kirschen eben Penis plus Gehänge -, reduziert sich die Inszenierung auf Filme und Bildcollagen von Elton-Freund David LaChappelle, die auf einer sehr großen Leinwand hinter der Bühne zu sehen sind. „The Red Piano“ ist eine Art loser Chronologie Johns (musikalischen) Lebens: „Bennie And The Jets“, „Daniel“, „Rocket Man“, „Tiny Dancer“ und das wieder ins Programm genommene „Candle In The Wind“ sind die Höhepunkte einer mal anrührenden, mal blöd bunten Show mit freilich vielen Hits fürs Casino-Publikum. Johns zwar etwas statische, dafür aber hübsch altbackene Band spielt zu kaleidoskopartigen Seventies-Collagen, Vietnam-Requiems und teilweise wunderbaren Kurzfilmen. Am Ende dann noch ein etwas prätentiöses „Saturday Night’s Alright (For Fighting)“ sowie „Your Song“ zum Abschied, dann geht’s – husch, husch – ins Casino.
Das Hauptthema der vor Ort stattfindenden Pressetermine ist freilich nicht Johns Vegas-Engagement, sondern sein neues Album. „Peach Tree Road“ soll der Welt beweisen, dass die „Songs From The Westcoast“ nicht das Produkt eines guten Moments waren. John hatte damals mit der Hilfe von Produzent Patrick Leonard das Pianospiel wieder als seine Kernkompetenz erkannt und ganz entschlackte, sehr traditionell aufbereitete Lieder aufgenommen. „Wenn ich mir meine Alben aus den 80ern und 90ern anhöre, finde ich durchaus tolle Sachen“, sagt John, „aber oft habe ich während dieser Zeit versucht, jemand anderes als ich selbst zu sein. Ich bin immer ein großer Musikfan gewesen und habe mich oft von vielen Künstlern beeinflussen lassen. Ich habe dann im Studio vielleicht gesagt: ‚Hey, lass uns doch mal was anderes versuchen, vielleicht mit mehr Keyboards und Loops und so‘, und das ist ja auch eine notwendige künstlerische Freiheit. Aber oft kam dabei nicht der beste Elton John heraus, den man kriegen kann.“ John sitzt im völlig überdimensionierten Wohnzimmer seines Penthouse in den Palace Towers, von wo sich ein schöner Blick über den Strip bis zu den nahen Wüstenbergen Nevadas eröffnet. John trägt Hausanzug, Sonnenbrille und rothaariges Toupet und ist ein ganz ernster, leicht angespannt wirkender Gesprächspartner. Zunächst wirken die Antworten wie auswendig gelernt – nicht gelangweilt, sondern sehr engagiert, als wolle John bloß nichts vergessen. „Ich gebe zu, dass ich mich auf meinen Platten von mir entfernt habe. Ich gebe auch zu, dass ich eine Reihe sehr mittelmäßiger Songs geschrieben habe – ich hatte zwischendurch einfach keine Lust mehr. Die Plattenfirma wollte eine neue Platte, also hab ich mich ins Studio geschleppt und eine aufgenommen. Aber Spaß hat’s mir nicht mehr gemacht.“ Nachdem ihm die Begeisterung für junge Acts wie Ryan Adams und Rufus Wainwright („ohne Frage der beste Songwriter der Welt“) den Spaß an der eigenen Musik zurückgebracht hatte, wagte sich der 57-Jährige weit hinaus: Weil Leonard aus verschiedenen Gründen eine erneute Zusammenarbeit absagen musste, setzte Elton John sich zum ersten Mal selbst hinters Pult. In einem Studio in Atlanta entstand eine wiederum klassisch klingende Platte mit einigem Southern Flair. „Es war für mich wichtig, die Produktion selbst zu übernehmen“, erklärt John und nimmt jetzt endlich die Sonnenbrille ab, „an dieser Stelle meiner Karriere und meines Lebens weiß ich sehr genau, was ich will. Klar gingen bei vielen Leuten um mich herum die Warnlampen an. Aber, hey, ich hab mich durchgesetzt und mich nicht beirren lassen.“
Dass Elton John sich gegen irgendwen durchsetzen muss, um eine Platte selbst zu produzieren, scheint abwegig; eher lässt diese Bemerkung einen Blick zu, auf jene seltsame Unsicherheit, die gelegentlich deutlich wird. John sagt, er fühle sich schon manchmal gekränkt über die Geringschätzung, die ihm die Presse und eine gewisse Hörerschaft entgegenbringe. „Ich wundere mich schon, wenn ich mal wieder eine Liste mit den besten 1000 Songs aller Zeiten lese, und von mir ist keiner dabei. Natürlich schätze ich Bob Dylan, Nick Cave und Joni Mitchell. Aber gar kein Song von mir? Das scheint mir eher ein Beleg für musikalischen Snobismus zu sein als ein ehrliches Statement.“
Will sagen: Im stillen Kämmerlein hören wir alle Elton John. Was ja vielleicht sogar in vielen Fällen stimmt. „Natürlich finde ich es unappetitlich, immer als MOR-Rocker diskreditiert zu werden, aber was soll ich machen? Viel anderes geht auf dem Klavier nicht. Ich kann es ja schließlich nicht anstecken oder in einen Amp werfen.“
Für „Peach Tree Road“ hat Bernie Taupin, Johns einzig wahrer Biograf, Texte geschrieben, die John als einen präsentieren, der seinen Frieden gemacht hat und mit dem Leben zufrieden ist. „Ja, ich bin an einem guten Ort“, nickt John, „ich lebe in einer sehr glücklichen Beziehung, ich habe ein stabiles Privatleben und die Kraft für neue kreative Herausforderungen. Mehr kann man nicht wollen.“ Tatsächlich machen die vielen positiven Umstände aus dem rastlosen, immer arbeitswütigen Elton John aber keinen ruhigen Menschen. Während der letzten zwölf Monate entstanden neben dem neuen Album zwei komplette Musicals („Billy Elliot“ und „Vampire Lestat“, beide Premieren sind 2005) sowie diverse Songs für diverse Soundtracks – das ist auch für Elton John Rekord. Warum lädt sich einer, der gerade sein wunderbares Privatleben lobpreist, soviel Arbeit auf? „Ich erlebe im Moment einen kreativen Rausch, wie ich ihn höchstens zu Beginn der Siebziger erlebt habe. Und ich glaube, dass die Dinge mir so leicht von der Hand gehen, eben weil ich gesund bin und mein Leben in Ordnung ist. Als ich jung war, ging es immer nur um Musik, Musik, Musik. Wir waren zu aufgeregt über das, was geschah, um mal innezuhalten. Ich sehe das bei vielen jungen Musikern, für die ich ja so etwas wie ein Seelsorge-Onkel geworden bin. Du hast ein Problem? Ruf Onkel Elt an! Diese jungen Kerle haben soviel Energie, soviel Kraft. Aber vielen geht es wie mir damals: Sie haben keine Balance. Das ist der Unterschied zu früher: Wenn ich heimkomme, kann ich die Musik ausknipsen.“