Elektropionier Roedelius live in Berlin: Vertraute Klangräume im Auditorium
Ein Pionier und Vordenker der elektronisch-experimentellen Musik, Hans-Joachim Roedelius, gab am Sonntag gemeinsam mit Onnen Bock als "Qluster" ein intimes Konzert im Mindpirates-Auditorium in Berlin-Kreuzberg - und sprach davor über Elfenbeintürme, sein Arbeitspensum und das Privileg, völlig autonom Musik zu schaffen.
Pioniersarbeit: Das ist vielleicht am ehesten jene Arbeit, die bestehende Paradigmen und Raumgrenzen umschifft, umdenkt und somit neue Territorien und Klangräume um- und aufreißt – und das mit so noch gar nicht existierenden Mitteln. Klangräume, die später omnipräsent sind, gegeben, überall zu hören, Bestandteile für Räume, die im besten Fall weitere Räume erschließen.
Hans-Joachim Roedelius hat wie wenige andere besagte Pioniersarbeit für die elektronisch-experimentelle Musik geleistet, seit den Tagen des „Zodiak Free Arts Lab“, jenem Kulturraum, den er Ende der 1960er Jahre gemeinsam mit Conrad Schnitzler gründete, den Tagen der Musikkommune „Human Being“ und natürlich seit Kluster (die später das K gegen ein C im Namen austauschten), jenes Bandkollektiv um Roedelius, Schnitzer und Frank Moebius, das maßgebend und prägend für den Krautrock war. Harmonia, Aquarello, seine Zusammenarbeit mit Brian Eno, seine sich über Dekaden streckende Suche: Roedelius ist auch heute noch, im Alter von 80 Jahren, begeistert von der Suche nach Klang, von musikalischer Raumerschließung.
Und der physische Raum ist es auch, der jenen Abend im Mindpirates Auditorium prägt. Es ist das Setting eines Wohnzimmerkonzerts, in dem Roedelius gemeinsam mit Onnen Bock ein Adventskonzert spielt, man sitzt am Boden, auf Kissen, manche legen sich mit geschlossenen Augen überhaupt hin, um sich noch besser auf die kommenden Klang- und Wortbilder konzentrieren können.
„Ich sitze eigentlich in meinem Elfenbeinturm und kümmere mich nicht so sehr darum, was passiert“, erzählt Hans-Joachim Roedelius kurz vor dem Konzert als Antwort auf die Frage von RollingStone.de, was ihn musikalisch derzeit interessiert. „Wenn ich gelegentlich im Autoradio Musik höre, dann ist es meist klassische Musik. Was in der Szene abgeht, bekomme ich meist mit, wenn ich auf Festivals bin – aber es würde nicht reichen, um irgendwelche Urteile abzugeben. Im Prinzip bin ich sehr auf mich selber bezogen – umso mehr, je älter ich werde. Ich bin mittlerweile ja 80, und ich habe auch keine Zeit mehr, mich mit anderen Dingen zu beschäftigen“.
Für einen 80-Jährigen wirkt Roedelius sehr fit, anders wäre sein Arbeitspensum wohl auch nicht machbar. Roedelius lebt mittlerweile in Österreich, hat sein Studio bei sich zuhause, arbeitet im Einklang mit seinem Familienleben: „Mein Elfenbeinturm ist ganz bei meiner Familie, von der ich nicht getrennt bin. Mein Studio ist ja bei mir zuhause, und wenn keine Hausarbeit anliegt und ich nicht mit den Hunden raus muss oder dergleichen, sitze ich am Klavier“.
Roedelius sitzt am Keyboard, auf einem Tisch stehen Macbook und iPad – ein Tool, das er seit einigen Jahren bei Live-Konzerten nutzt –, über ein Headset-Mikrophon liest er Gedichte. Gemeinsam mit Onnen Bock, der neben Roedelius am Synth sitzt, bildet er Qluster – eines seiner vielen Projekte und konsequenterweise eines, der sich auf die Musik der beinahe gleichnamigen Band beruft.
„Dadurch, dass es keine Massenware ist, was ich mache“, erzählt Roedelius, ist es immer wieder eine Herausforderung. Ich habe außerdem nicht Lust, immer den Nagel ins selbe Loch zu klopfen – ich möchte eben selbst vorwärts kommen, habe Lust, auch mit anderen Instrumenten zu spielen. Ich habe einfach unheimlich viele Projekte am Laufen – im Grunde ein Arbeitspensum, dass sich normalerweise ein 80-Jähriger nicht zumuten würde“.
Es ist ein andächtiger Rahmen, in dem Roedelius und Bock improvisieren – wohlvertraute Klanggebilde, bis auf gelegentliche sich nach oben modulierende Ausreißer sehr leise gehalten, atmosphärisch, oft reduziert, sehr auf Zwischenräume fokussiert.
„Gottseidank ist es immer noch so, dass ich Spaß dran habe“, erzählt uns Roedelius am Schluss. „Es ist meine Arbeit, mein Beruf, und ich bin mit Begeisterung dabei. Und wenn’s mal so aussieht, dass irgendwelche Rechnungen nicht bezahlt werden können: Es kommt immer irgendwas rein. Ich bin rundum glücklich, und fühle mich sehr privilegiert, dass ich das machen kann, was ich will: dass mir keiner dreinredet, kein Produzent mir irgendwas sagt. Es ist von Anfang so gewesen, dass ich machen konnte, was ich will. Ein unschätzbares Privileg. Es gibt viele, die sich ja nach der Decke strecken müssen, die mit einem gewissen Zeitgeist arbeiten müssen. Ich will das nicht beurteilen. Ich lebe für meine Arbeit“.