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„Electric Ladyland“ von The Jimi Hendrix Experience: Tonstudio-Exzesse

„Electric Ladyland“ ist kein Album aus einem Guss, aber ein Kind seiner Zeit. Die 16 Tracks atmen den Aufbruch, maßen sich nicht an, Antworten zu sein, stellen sogar Fragen und deuten in völlig verschiedene Richtungen.

„Das Publikum“, so hat Max Goldt einmal treffend festgestellt, „applaudiert nicht, weil es ein Lied mag, sondern weil es das Lied kennt.“ Unter diesem Verdikt leiden Musiker von jeher, manche mehr, manche weniger.

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Jimi Hendrix jedenfalls litt massiv, denn fünf, sechs Tage die Woche vor bekifften Hippies die Hits „“Hey Joe“ und „“Purple Haze“ runter zu nudeln, beleidigte nicht nur seine Intelligenz, es behinderte auch seinen ausgeprägten Forscherdrang. Das Studio als kreatives Refugium für vom Alltagsgeschäft zermürbte Künstler war seit den Beatles und „Sgt. Pepper’s“ Realität, im New Yorker „“Record Plant“ wurde das Konzept Anfang 1968 zuende gedacht: Das Studio in Manhattan war keine schmucklos eingerichtete Produktionsstätte mehr, in der weiß bekittelte Techniker an Knöpfen drehten und um zwölf zum Mittagessen in die Kantine entschwanden, sondern ein hippes Wohnzimmer mit angeschlossenem Studiobetrieb, ein Ort, an dem sich die Musiker wohl fühlen konnten.

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Experimentieren mit Zwölfspurgeräten

Hendrix war begeistert. Nicht nur die angenehme Atmosphäre sagte ihm zu, auch die im Record Plant verbaute Technik begeisterte ihn: Selbst die Beatles, bislang technologische Vorreiter, hatten in den Abbey Road Studios lediglich mit Vierspurmaschinen gearbeitet. Ihr Produzent George Martin verstand es zwar, durch geschicktes Überspielen auf weitere Geräte Tonspuren erneut frei zu schaufeln, doch irgendwann half aufgrund klanglicher Einbußen auch dieser Trick nicht mehr weiter. Im Record Plant hingegen stand eines – von insgesamt zwei damals gebauten – Zwölfspurgeräten der Marke Scully.

Vorsprung durch Technik. „Electric Ladyland“, erschienen im Oktober 1968 und das dritte Album der Jimi Hendrix Experience, ist genau das, was es in Anbetracht der Umstände zu sein hatte: ein Zeugnis kreativer Freiheit, klanggewordene Hippie-Community, Grenzüberschreitung und Experiment. Im Studio hingen ständig allerlei Leute herum, Musikerkollegen, Freunde, Fans, Hippies von der Straße.

Hendrix genoss das kreative Chaos, er organisierte spontane Sessions: Steve Winwood von Traffic und Jack Casady von Jefferson Airplane spielten bei „“Voodoo Child“ mit, Buddy Miles, Larry Faucette und Freddy Smith würzten „„Rainy Day, Dream Away“, Dave Mason beteiligte sich an „“All Along The Watchtower“, AI Kooper an „„Long Hot Summer Night“. Den Bassisten Noel Redding trieben die Unruhe, die ständig wechselnden Besetzungen zur Weißglut, Schlagzeuger Mitch Mitchell sah es eher gelassen.

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Eines jedenfalls wurde jedoch deutlich: Maestro Hendrix wollte sich nicht länger auf das einengende Konzept des Rock-Trios beschränken, er suchte nach Inspirationen von außen und der Möglichkeit, auch musikalisch komplexe Ideen adäquat umzusetzen. Die Tage der Experience waren fortan gezählt. Stringenz gehört demnach auch nicht zu den Tugenden des Doppelalbums.

Kein Album aus einem Guss, aber ein Kind seiner Zeit

„Voodoo Child“ und „Come On“ sind klassischer Bluesrock, mit „Crosstown Traffic“, „Gypsy Eyes“ und „Long Hot Summer Night“ näherte sich Hendrix Soul und Funk an, „And The Gods Made Love“ ist mehr Klangcollage denn Song. Das düstere „Burning Of The Midnight Lamp“ hat sinistre Pop-Qualitäten, und das Dylan-Cover „All Along The Watchtower“, das als Single-Auskopplung erfolgreicher wurde als „Hey Joe“ und „Purple Haze“ zusammen, spielt textlich, musikalisch und produktionstechnisch ohnehin in einer Liga für sich. Dylan hat Hendrix‘ Arrangement gewiss nicht ohne Grund übernommen.

Ach ja: Jazzig wird’s auch noch, nämlich bei „Rainy Day, Dream Away“. Ein kleiner Höhepunkt des Albums ist fraglos „1983… (A Merman I Should Turn To Be)“ im Verbund mit „Moon, Turn The Tides… Gently Gently Away“: mal Acid Rock, mal impressionistisches Klangfarbenspiel in all seiner psychedelischen Stereo-Zwölfspurpracht.

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„Electric Ladyland“ ist kein Album aus einem Guss, aber ein Kind seiner Zeit. Die 16 Tracks atmen den Aufbruch, maßen sich nicht an, Antworten zu sein, stellen sogar Fragen und deuten in völlig verschiedene Richtungen. Musik, die Möglichkeiten aufzeigt, ohne Kopfgeburt zu sein. Was viel mit Intuition zu tun hat. Mit Unverstelltheit, Authentizität. Man kann auch ganz hochtrabend Kunst dazu sagen.

Ein Artikel aus dem ROLLING-STONE-Archiv (2008)

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