Eiskalter Wind
Die Briten The Coral oszillieren wieder zwischen Anachronismus und Romantik.
Der stiernackige Mann mit den raspelkurzen, dunklen, stellenweise schon ins Graue umschlagenden Haaren ist aufgebracht. „Fucking rubbish! Those bastards!“ poltert er. Am Vorabend endete das Achtelfinal-Spiel England gegen Deutschland mit 4:1. In der 40. Minute passierte ein Schuss von Frank Lampard die Torlinie, der Schiedsrichter gab jedoch kein Tor. Trotzdem meint der Herr, der sich unverständlich nuschelnd als „Irgendwas-Manager“ von The Coral vorstellt, mit „Bastarden“ weder den Unparteiischen aus Uruguay noch das Team von Joachim Löw, sondern die britische Mannschaft.
Jetzt, wenn er Nick Power und James Skelly die Teetassen auf den Tisch stellt, wirkt sein Auftreten gutmütig. Beide stimmen mit ihrer Vaterfigur überein: „Wir haben es nicht verdient zu gewinnen, es war eine Schande!“ gibt James Skelly in seinem Liverpooler Dialekt von sich. Sie wirken aufgeräumt – sehr zufrieden sind sie mit „Butterfly House“, dem fünften Album der Band, dem ersten nach dem Ausstieg von Gitarrist Bill Ryder-Jones. Bill sei ein großartiger Gitarrist gewesen, aber einige der Leads stammen von Lee Southall, gibt Skelly zu bedenken, dieser ganze „schlangenhaft gewundene Kram“ eben.
Nach Ryder-Jones‘ Fortgang 2008 schrieb das verbleibende Quintett weiter an Songs. „Zu sechst hat jeder ein bisschen um seinen Platz gekämpft, es entstanden Rivalitäten. In der jetzigen Konstellation ist diese Anspannung aufgebrochen.“ Erstmals, betont Skelly, könne man auf funktionierende Strukturen zurückgreifen. Auf früheren Tourneen habe man keinen Manager dabei gehabt, „wir waren gänzlich unorganisiert, wussten nicht, wo unser Hotel war“.
Alles neu? Alles gut? Man spitzt schon rüber nach Amerika. „Dreaming Of You“, ein Stück von ihrem Debüt aus dem Jahr 2002, wurde in der Arztkittel-Comedy „Scrubs“ verwendet – der große Durchbruch in Übersee blieb aber aus. Von ihrem Schmetterlingshaus erwarten die fünf, dass es sich behauptet. Es sei zeitloser, könne sich auch außerhalb Englands gut verkaufen.
Mit dem märchenhaften, ins Psychedelische driftenden „Coney Island“ ist die erste Brücke dorthin bereits erbaut. „Once I went to Coney Island/ Took a city train/ It was cold/ It was far away/ It all comes back again“, singt James Skelly mit hallender Stimme durch den eisig kalten Wind von Brooklyn. Coney Island ist ein Sinnbild zwischen Anachronismus, Romantik, Melancholie und postmoderner Gespensterhaftigkeit. Während des Masterings in New York fuhren die Brüder Ian und James mit dem Zug dorthin. „Um uns tanzten die Schneeflocken im Wind, es war keine Menschenseele zu sehen. Es herrschte eine einzigartige, morbide Stimmung.“
Was sie für die nächsten Jahre erwarten? „Rauchen, trinken, ab und an ein Barbecue.“