Eis, Blut und Tränen
Daniel Woodrell ist Amerikas bedeutendster White-Trash-Poet. Mit der Verfilmung seines sechsten Romans „Winters Knochen“ erhält er nun auch bei uns die verdiente Aufmerksamkeit.
Daniel Woodrell ist ein Kind der Ozarks, jener zerklüfteten Hochlandregion im südlichen Missouri, wo eingestürzte Höhlen und Natursteinbrücken die bizarre Kulisse für endlose Trailer-Parks bilden, in denen sich Amerikas Verlierer zusammengerottet haben. Gewaltbereite White-Trash-Clans, die sich gegenseitig das Leben schwer machen und ihre verwitterten Wohnwagen zu Crystal-Meth-Küchen umfunktioniert haben, um ihr trostloses Leben mit Drogengeldern wenigstens halbwegs am Laufen zu halten. Denn wer in den Ozarks überleben will, wo „Schuppen die Gegenden wie Pockennarben überziehen“, darf nicht zimperlich sein.
Woodrell, der es nie länger als ein paar Monate in einem Job aushielt, erschrieb sich mit seinen Romanen den Ruf eines Trailer-Park-Trash-Poeten, an dessen geraden, unfrisierten Geschichten kein Gramm Fett hängt. Seinen letzten Schliff holte sich der Outsider in Iowa, im berühmten Writers‘ Workshop, wo sich lange vor ihm Größen wie Raymond Carver, Sandra Cisneros oder später T.C. Boyle zum Schriftsteller adeln ließen.
Doch der Blue-Collar-Outcast wurde nie warm mit der wohltemperierten Atmosphäre der Talentschmiede und hörte, wenn er schrieb, lieber dem Leben zu. Zwar wurden seine Romane dadurch immer besser – an ihren desaströsen Verkaufszahlen aber änderte das nichts. Doch unerschütterlich seinem Motto „Man muss für die Schriftstellerei alles geben, entweder schwimmen oder absaufen!“ folgend, blieb der Mann am Ball, und stieß furchtlos Buch um Buch hervor. Bis er 1998 mit seinem rasanten Country-Noir „Stoff ohne Ende“ auch bei uns hereinplatzte – und seine wenigen deutschen Leser mit der Geschichte des wegen eines Autodiebstahls flüchtigen Schreibers Doyle Redmond im Nu um den Finger gewickelt hatte.
Woodrell blieb allerdings eine Randexistenz im hiesigen Literaturbetrieb. Denn selbst aufwendige Verfilmungen seiner Romane wie Ang Lees „Ride With The Devil“ halfen da wenig. Vielleicht ändert sich das jetzt, wo alle über Debra Graniks gerade in unseren Kinos angelaufene Verfilmung seines nun auch auf Deutsch vorliegenden „Winters Knochen“ (Liebeskind, 18,90 Euro) reden. Dieser wie mit Eis, Blut und Tränen geschriebene finster-bukolische Kurzroman liest sich wie eine Kooperation zwischen Cormac McCarthy und den Coen-Brüdern.
Er erzählt die Geschichte der 16-jährigen Ree, die versucht, so gut es geht ihre beiden jüngeren Brüder und ihre debile Mutter zu versorgen, nachdem ihr vielfach vorbestrafter Vater Jessup das Haus verpfändet und sich aus dem Staub gemacht hat. Wieder macht Woodrell sich zum Sprachrohr derer, die nichts mehr zu verlieren haben. Und so gilt auch hier, was er dereinst in „Stoff ohne Ende“ über den Protagonisten Doyle Redmond so formulierte: „Er lebte den Schund, den er schrieb.“