EINMAL HÖLLE UND ZURÜCK

„DAS IST DEFINITIV DAS EINZIGE INTERVIEW, DAS ICH ZU DEM THEMA GEBEN WERDE“, SAGT BILLIE JOE ARMSTRONG UND LÄSST SICH AUF EIN SOFA PLUMPSEN, das im Green-Day-Studio in Jingletown, einem Stadtteil von Oakland, steht. „Ich habe keine Lust, so ein Typ zu sein, der ständig über seine Sucht redet. Mitleid kann ich überhaupt nicht gebrauchen.“

Armstrong, Sänger, Gitarrist und Songwriter von Green Day, hat sich zu einem zweitägigen Gespräch über die letzten sechs Monate seines Lebens bereit erklärt: seinen Ausraster im vergangenen September während eines Green-Day-Auftritts beim „iHeart Radio Music Festival“ in Las Vegas, seinen Alkohol- und Medikamentenentzug, die abgesagte Tournee und als Folge davon die katastrophalen Verkaufszahlen von Green Days drei aktuellen Alben, „¡Uno!“, „¡Dos!“ und „¡Tré!“, seine Freundschaft mit Mike Dirnt, dem Bassisten, und dem Drummer Tré Cool, die auf eine harte Probe gestellt wurde, die Auswirkungen seiner Sucht auf seine Familie – seine Frau Adrienne und die gemeinsamen Söhne Joseph (18) und Jakob (14) – und die ab März geplante Nordamerika- und Europatournee.

„Nach unserem ersten Gespräch dachte ich: Jetzt haben wir so viel über die Sucht gesprochen“, sagt Armstrong. „Ich bin doch verdammt noch mal stärker und besser als dieser Mist. Das ist eben einfach passiert und fertig. Ich hab so viel Wichtigeres zu tun. Ich muss mich um meine Familie kümmern. Ich habe meine Band. Ich habe lauter verrückte Ideen. Das sollte eine viel größere Rolle spielen als meine Suchtprobleme.“

Mit seinem Buster-Keaton-Hut, den engen schwarzen, an den Knien durchgescheuerten Jeans und dem kohlschwarzen Lidstrich zappelt Armstrong, der am 17. Februar 41 geworden ist, auf seinem Stuhl herum wie ein Punk im Teenageralter. Er war der zornige, redegewandte Mastermind hinter Green Days besten Platten: „Dookie“, mit der sie 1994 ihren Durchbruch hatten, und zehn Jahre später die Rockoper „American Idiot“. Doch der Armstrong, der am 21. September in Las Vegas auftrat, war in desaströser Verfassung. Zusätzlich zu seinem langjährigen Alkoholmissbrauch kam nun auch noch eine fatale Kombination von Angsthemmern und Schlaftabletten.

Vor dem Auftritt „nahm ich ihn beiseite“, erinnert sich Dirnt, „und sagte ihm:,Alter, du musst verdammt noch mal mit dem Zeug aufhören.‘ Und als ich auf der Bühne stand, war mir klar, dass das nicht gut gehen konnte. Wir sind als ziemlich tighte Band bekannt. Aber an dem Abend konnte er kaum Gitarre spielen.“ Stattdessen zertrümmerte Armstrong sein Instrument, nachdem er aufs Unflätigste auf die Veranstaltung und die zu kurz bemessene Dauer des Green-Day-Auftritts geschimpft hatte. Am 24. September trat er eine einmonatige Entziehungskur an.

„Eigentlich ging das bereits 2009 bei ,21st Century Breakdown‘ los“, sagt Armstrong. „Auf der Tour bin ich auch schon ein paar Mal total ausgetickt.“ 2010, bei einem Konzert in Peru, hatte er gebrüllt: „Ich hoffe, der Krebs bringt Steve Jobs bald um.“ Jobs starb ein Jahr später. „Das war wirklich bescheuert“, bereut Armstrong. „Und so was kam häufiger vor.“

Während seines Entzugs hielt Armstrong kaum Kontakt zu Dirnt und Cool. „Ich habe ihm und Adrienne ein paar Mal geschrieben, wie ich mich fühlte, dass ich besorgt und stolz auf ihn war“, erzählt Dirnt. Etwas später liefen sich die beiden Freunde – die seit dem zwölften Lebensjahr zusammen Musik machen – zufällig in Oakland über den Weg. „Wir setzten uns auf eine Parkbank, und Billie hat sich aus tiefstem Herzen bei mir entschuldigt“, sagt Dirnt. „Ich hoffe, wenn ich alt bin, sitze ich immer noch mit ihm auf einer Parkbank, füttere die Vögel und unterhalte mich mit ihm.“

Armstrong berichtet, dass ihm „Meditation durch Beten“ geholfen habe, die Sucht zu besiegen. „Auf der Tour wollen wir alles dafür tun, dass es uns allen gut geht“, sagt er. „Was danach kommt, werden wir sehen.“ Er hat wieder angefangen, neue Songs zu schreiben, und erwähnt die zwei wichtigen Jubiläen, die 2014 anstehen: Die Veröffentlichung von „American Idiot“ jährt sich zum zehnten, die von „Dookie“ zum 20. Mal. „Das wird mich ablenken“, lacht er.

Natürlich macht sich Armstrong auch Gedanken darüber, was seine Fans nach dem Las-Vegas-Ausraster von ihm denken. „Die habe ich sicher enttäuscht“, resümiert er, allerdings nicht uneingeschränkt:“Manche fanden meinen Auftritt toll, andere ganz furchtbar. Ich weiß, dass mir das nicht noch mal passiert. Ich will nicht, dass die Fans diese Seite von mir noch einmal sehen. Ich will gute Konzerte geben. Man soll sich auf mich verlassen können. Zuverlässigkeit ist jetzt unsere Devise.“

Als wir uns im Juni 2012 beim Abmischen der neuen Platten getroffen haben, kamen Sie mir ganz normal vor -voller Begeisterung und Energie. Wie haben Sie sich in Wirklichkeit gefühlt?

Ehrlich gesagt ging ’s mir ziemlich gut. Die Arbeit hat wirklich Spaß gemacht, wir haben uns alle gut verstanden. Aber gleich nachdem wir die Platten abgemischt hatten, erfuhr ich, dass meine Tante gestorben war. Ich musste nach Hause und meinem Cousin Geld für die Beerdigung beisteuern. Meine Tante -die Schwester meiner Mutter -spielte in meiner Familie eine wichtige Rolle. Das war ein harter Schlag für mich. Und dann wurde mir alles zu viel. Wir gaben jeden Tag Interviews. Wir gingen auf Tour und dachten schon bald wieder an die nächste Tour. Ich war überfordert und erschöpft. Ich dachte: Mein Gott, mir geht’s jetzt schon so beschissen, und dabei ist die erste Platte noch gar nicht draußen.

Welche Drogen haben Sie denn genommen?

Das möchte ich nicht sagen. Es waren verschreibungspflichtige Medikamente – gegen Angstzustände und Schlaflosigkeit. Ich habe alles so durcheinander genommen, dass ich nicht mehr wusste, was ich tagsüber und was ich nachts nehmen sollte. Es wurde zur Gewohnheit. Die Pillenfläschchen in meinem Rucksack machten Geräusche wie eine riesige Babyrassel.

Wie viel haben Sie getrunken? Was verstehen Sie unter „zu viel“?

Manche Menschen können ausgehen, ein paar Drinks nehmen und dann aufhören. Ich wusste nie, wo ich am Ende der Nacht landen würde. Ich wachte in fremden Wohnungen auf dem Sofa auf, ohne zu wissen, wie ich dort hingekommen war. Ich hatte totale Blackouts. Seit 1997 habe ich versucht, mit dem Trinken aufzuhören, so um „Nimrod“ herum. Aber eine Therapie wollte ich nicht. Als Alkoholiker glaubt man ja, man wird mit allem allein fertig. Aber jetzt hatte ich keine Wahl mehr.

Saufen gehörte zu Green Days Image – drei Typen, die mit Hilfe von ein paar Flaschen Schnaps und einem Sixpack tolle Punkplatten machten.

Oder auch mit Dope. Wir waren totale Kiffer – daher auch der Name Green Day. Wir haben immer schon gesoffen. Unsere Lieblingsbands bestanden aus Säufern. Bei Auftritten war ich oft blau. Ich trank zwei bis sechs Bier und ein paar Kurze, bevor ich auf die Bühne ging, und nach dem Gig hab ich den Rest des Abends im Bus weitergesoffen. Dann bin ich eingeschlafen, am nächsten Tag aufgewacht, habe mich scheiße gefühlt, dann wieder Soundcheck es war ein ewiger Kreislauf. Ich war gewissermaßen ein funktionierender Alkoholiker.

Gab es vor Las Vegas irgendwelche Warnzeichen?

Ja, komisch, es gab einen Vorfall in England. Wir waren für ein paar Gigs in Europa. Ich schluckte verdammt viele Pillen zu der Zeit, weil ich nicht schlafen konnte. Erst Japan, dann England -wir waren ständig unterwegs. Eines Nachts rief ich einen Freund an, der im Hotelzimmer nebenan schlief, und lud ihn auf einen Kaffee zu mir ein. Es war sieben Uhr morgens, und ich erzählte ihm, ich könne nicht schlafen, obwohl ich alles Mögliche eingeworfen hätte. Es war ein ganz normales Gespräch, so wie wir jetzt reden. Danach kriegte ich eine SMS von meinem Manager: „Komm runter, wir müssen über das Reading-Festival reden.“ Ich ging zu ihm, und er meinte:,Wir sagen den Rest der Tour ab, fliegen nach Hause, und du machst einen Entzug.‘ Ich wusste gar nicht, was er wollte. Ich bestand darauf, die Gigs nicht abzusagen, aber ich versprach ihm, in der Woche nach der iHeart-Radio-Show einen Entzug zu machen. Wie sich herausstellte, war das eine Woche zu spät.

Eine Woche vor dem Zwischenfall in Las Vegas habe ich Green Day im Irving Plaza in New York gesehen. Es war ein großartiger Auftritt -40 Songs in fast drei Stunden. Ich hatte das Gefühl, Sie wären drauf und dran, die Kontrolle zu verlieren. Sie kippten jede Menge Alkohol in sich rein, und ich weiß noch, dass ich dachte:,Gleich weiß er nicht mehr, was er tut.'“

Das war das New-York-Lampenfieber. Ich habe vier oder fünf Bier getrunken, bevor wir auf die Bühne gingen, und während des Auftritts noch mal vier oder fünf. Danach hab ich mich total volllaufen lassen. Am Ende wachte ich verkatert in einem kleinen Park am West Side Highway auf. Es gibt viele Gigs, bei denen ich auf einem schmalen Grat zwischen Selbstbeherrschung und Kontrollverlust balanciere. Ich mag dieses Gefühl, als würde man auf Luft gehen. Es ist, als könne man fliegen -und es ist gefährlich. Aber das New Yorker Konzert fand am 30. Todestag meines Vaters statt. [Andrew Armstrong starb 1982, als Billie Joe zehn Jahre alt war, an Krebs]. Als letztes Stück spielten wir ,Wake Me Up When September Ends‘, einen Song über meinen Vater. Es war eine ziemlich schlimme Nacht.

In Las Vegas waren Sie dann aber völlig von der Rolle.

Schon bei der Landung in Las Vegas war ich schlecht drauf -vor allem, weil ich mich nicht entscheiden konnte, was wir spielen sollten. Ich hätte das Ganze eher als Fernsehsendung sehen sollen und nicht als Konzert. Wir traten nach Usher auf, da hatten wir keine Chance auf eine ähnliche Stimmung und Energie wie im Irving Plaza. Es war frustrierend. Ich steigerte mich immer mehr in meinen Ärger rein. Dann traf ich unseren Gitarristen Jason White in einem Restaurant. Er saß beim Mittagessen und trank ein Glas Wein dazu. Ich wollte eigentlich nichts trinken. Aber da ich bereits randvoll mit Medikamenten war, wurde ich schwach. Und irgendwann gingen bei mir die Lichter aus. Ich habe noch bruchstückhafte Erinnerungen – die Fahrt zum Stadion, wie ich backstage versuchte, wieder klar zu werden, und die digitale Zeitanzeige auf der Bühne, die unsere 15 Minuten runterzählte. Den Rest der Nacht hab ich mich weiter volllaufen lassen. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hab ich Adrienne gefragt, wie schlimm es war. Sie sagte: ,Schlimm.‘ Dann rief ich meinen Manager an. Er sagte:,Du steigst ins nächste Flugzeug, kommst zurück nach Oakland und machst sofort einen Entzug.‘ Und das tat ich.

Wissen Sie noch, was Sie auf der Bühne gesagt und getan haben?

Nein. Manchmal erinnert mich jemand daran, oder ich sehe ein Foto davon. Schrecklich. Mich stört nicht, was ich gesagt oder getan habe, sondern die Tatsache, dass das nicht ich war. Dieser Typ bin ich nicht. So will ich nicht sein. Wenn ich trinke, dann bis zum Blackout. Und genau das ist da passiert. Der totale Filmriss.

Haben Sie daran gedacht, sich als Teil der Therapie das Video von dem Auftritt anzusehen?

Nein, das ertrage ich nicht. Das war mein letzter Drink. Das Gute ist: Er wurde dokumentiert. Immer, wenn ich Lust auf einen Drink habe, kann ich daran denken.

Die Folgen -unter anderem abgesagte und verschobene Konzerte – haben sich auch auf die Verkaufszahlen Ihrer drei Alben ausgewirkt. Es gab keine Band, die dafür hätte Werbung machen können.

Das war wirklich bizarr. Dass ich die Veröffentlichung von „¡Uno!“ während eines Entzugs erleben würde -das hatte ich mir anders vorgestellt. Aber ich sehe diese drei Platten nicht als Misserfolg. Das Wichtigste für mich ist mein Rock’n’Roll-Spirit. Der hat Vorrang vor allen Verkaufszahlen. „99 Revolution“ [auf „¡Tré!“] ist für mich einer der besten Songs, den ich je geschrieben habe.

Kaufen Ihre Söhne Platten? Oder sind das eher so Download-und Spotify-Typen?

Sie treiben sich auf iTunes rum. Aber als ich neulich einen neuen Plattenspieler gekauft hatte, habe ich Jakob gefragt, ob er den alten haben will. Er wollte! Weil er auf die Strokes steht, hab ich mir eine Strokes-Platte geschnappt, und wir sind in sein Zimmer gegangen. Er legte die Platte auf, nahm den Tonarm hoch und fragte: „Wo soll ich die Nadel hinsetzen? In diese kleinen Rillen?“[lacht] Und als der Song dann losging [lächelt] Das war toll. Das schönste Erlebnis des ganzen Jahres.

Schildern Sie mal die erste Woche Ihres ambulanten Entzugs.

Ich hatte schlimme Entzugssymptome. Es war grässlich. Ich lag auf dem Badezimmerfußboden und fühlte mich wie [Pause] Mir war nicht klar gewesen, welche Auswirkungen dieses Zeug auf mich hatte. Und je länger man es genommen hat, desto schlimmer ist es. Das muss alles aus dem Körper raus. Es war wirklich grauenhaft. Noch in der zweiten Woche dachte ich:,Ich gehöre hier nicht her. Das kann’s doch nicht sein.‘ Das Verrückte daran ist, dass ich die ganzen Medikamente aus meinem Körper kriegen wollte, damit ich wieder saufen konnte. Aber das ist ja das Kranke an der Sucht: Man macht sich was vor. Man sucht nach Ausreden. Man kann in einen Briefkasten kacken, aber das heißt nicht, dass das eine gute Idee ist.

Haben Sie während des Entzugs mit Mike oder Tré gesprochen? Wussten Sie, was die dabei empfanden?

Wir hatten kaum Kontakt. Ich glaube, Tré hat sich große Sorgen gemacht. Die Lage war eine Zeitlang wirklich ernst. Mike war verdammt sauer. Als ich nach der Sache in Las Vegas nach Hause kam, sagte er:,Du machst mir Angst. Du zerstörst dein Leben und das der anderen dazu. Du musst dich endlich zusammenreißen.‘ Zum Glück kennen wir uns schon so lange, dass wir so miteinander reden können, ohne uns gleich zu prügeln. Mike und ich sind seit unserem zehnten Lebensjahr befreundet. Manchmal drängt sich Green Day zwischen uns, weil die Band so viel Raum in unserem Leben einnimmt.

War es schlimm für Ihre Frau und Ihre Söhne, Ihren Entzug zu Hause mitzuerleben?

Von meinen Söhnen konnte ich das ganz gut fernhalten. Aber meine Hunde schauten mich andauernd so besorgt an. Die spüren so etwas. Ich hätte in eine Klinik gehen können, aber dann hätte ich meine Liebsten nicht um mich haben können. Und meine Frau trinkt nicht. Hat sie noch nie. Sie mag den Geschmack oder den Geruch von Alkohol nicht.

Musste sie Ihre Krankenschwester spielen?

Nein. Ich hatte eine Pflegerin, die nach mir sehen kam. Aber Adrienne ist eine starke Frau. Sie wusste, was Sache war. Es war bestimmt hart für sie, mit anzusehen, was ich durchmachte. Und sie musste bestimmt ein paar Entscheidungen fällen.

Zum Beispiel?

Ob sie mich verlassen sollte. Ich bin sicher, daran hat sie gedacht. Ich hätte durch die Sucht alles verlieren können, auch die Band. Mir war nicht klar, wie destruktiv das war. Ich dachte, das Ganze wäre nur ein Witz, den jeder verstehen würde. Aber ich war der Witz.

Tré hat mal gesagt, Ihr Gehirn funktioniere „wie 18 gleichzeitig laufende Tonbandschleifen“. Dank dieser Überstimulation können Sie innerhalb kürzester Zeit drei Platten auf einmal schreiben.

Es hieß aber auch, dass ich ein launischer Mistkerl und ein kaputter Säufer sein konnte. Ich habe Drogen genommen, damit diese Nebengeräusche aufhörten. Jetzt muss ich mir dafür eine andere Methode überlegen.

Ist Ihre Schlaflosigkeit mal als krankhaft diagnostiziert worden? Sie haben sogar eine Ihrer Platten „Insomniac“ genannt.

Nein, es gab keine Diagnose. Ich weiß nur, dass ich nachts nicht besonders gut schlafen kann. Ich brauche lange, bis ich einschlafe. Ich bin oft nachts auf, höre Platten oder sehe fern. Wenn man Kinder hat, ist es entsprechend schwierig, sich ihrem Rhythmus anzupassen und zur gleichen Zeit zu schlafen wie sie.

Gibt es in Ihrer Familie Alkoholiker?

Das möchte ich eigentlich nicht sagen. [Lange Pause] Ich sage nur, dass ich in einem Haus voller Liebe und Chaos aufgewachsen bin. Ich erinnere mich, dass ich Dinge gesehen habe. Aber irgendwann habe ich aufgehört, mir deswegen Sorgen zu machen.

Wie würden Sie Ihr Leben als junger Punk beschreiben, als Sie mit Tré in Berkeley wohnten?

Wir wohnten bei einer Band namens The East Bay Weed Company. [lacht] Da gab es immer Bier und Dope. Die Szene damals war ziemlich nihilistisch geprägt. Sie zog Schulabbrecher und Außenseiter mit schlechten Tattoos an. Wenn man damals soff und Metamphetamin schnupfte, dachte niemand, dass man süchtig war. Das machten schließlich alle. Auch wir. Auf Partys nahmen wir oft Speed. Wenn ich danach nach Hause kam, fing ich an, Songs zu schreiben. Dafür brauchte ich das Speed nicht unbedingt, die Songs waren bereits in meinem Kopf. Was ich brauchte, war Mut. Ich hatte immer Angst, sogar noch zur Zeit von „American Idiot“.

Wovor denn?

Ich hatte Komplexe. Das liegt wohl daran, dass ich aus der Arbeiterklasse stamme. Die Leute aus reicheren Familien haben manchmal die größte Klappe. Die Stillsten sind die aus der Arbeiterklasse, die kein Geld haben. Sie haben Angst, das bisschen, was sie noch besitzen, auch noch zu verlieren. Aus so einer Familie komme ich.

„Dookie“ kam in dem Jahr heraus, als Kurt Cobain starb. Eddie Vedder (Pearl Jam) kämpfte öffentlich mit seiner Berühmtheit, Scott Weiland (Stone Temple Pilots) gegen die Sucht. Wie sind Sie mit dem plötzlichen Erfolg fertiggeworden?

Wir kamen ja aus der Punkszene – „Rockstar“ war da ein Schimpfwort. Trotzdem fand ich es toll, wie immer mehr Zuschauer kamen und die Leute begeistert jedes Wort mitsangen. Aber der Backlash war schlimmer als bei all diesen anderen Bands zusammen, wegen unseres Umfelds.

Wann haben Sie angefangen, sich in Ihrer Starrolle zurechtzufinden?

Zur Zeit von „Insomniac“ hatte ich sogar noch Angst, auf der Bühne herumzulaufen. Ich dachte, wenn ich zu dem einen Teil des Publikums hinübergehe, heißt das, dass ich ein Arschloch bin. [lacht] So unsicher war ich. Als ich dann bei „Nimrod“ so richtig mit dem Saufen anfing, legte ich meine Hemmungen ab. Ich fing an, die Hände in die Luft zu recken und die Leute zum Klatschen zu animieren. Die wollten schließlich Spaß haben, und es spricht nichts dagegen, den Animateur für sie zu machen.

Finden Sie es heute bezeichnend, dass Ihnen der Alkohol dabei geholfen hat?

Ja. Es gab da einen Auftritt in Austin, Texas, vor 2.000 Leuten, vor dem ich sehr nervös war. Da beschloss ich, vor Konzerten zu trinken. Mit zwei Bier fing es an, und bald wurde es sehr viel mehr. Es half mir, locker zu werden und vor nichts mehr Angst zu haben.

Was dachten Sie als junger Punk über die ersten gefallenen Rockstars – Jimi Hendrix, Janis Joplin und Jim Morrison? Hatten Sie Verständnis für deren Exzesse und Komplexe – oder betrachteten Sie sie als Schwäche?

Ich liebte die Doors. Meiner Meinung nach war Jim Morrison der erste echte Rockstar -und gleichzeitig ein Dichter, elegantly wasted. Indem er sich selbst zerstörte, versuchte er eine neue Bewusstseinsebene zu erreichen. Er war ein singender [Charles] Bukowski. Aber für mich ist es gefährlich, mir Doors-Platten anzuhören. Sie machen mir Lust, mich zuzudröhnen. Besonders ein Song wie „Roadhouse Blues“ – „I woke up this morning, got myself a beer.“ Das ist die ultimative Absage an die Gesellschaft, an jeden konventionellen Lebensstil. Und zwar durch den Alkoholismus. Es gab Zeiten, wo ich nach diesen Zeilen gelebt habe – und fast gestorben wäre.

Schreiben Sie jetzt, nach den Erfahrungen der vergangenen Zeit, anders als früher? Ist ein „Rehab-Album“ in Arbeit?

Dafür ist es noch zu früh. Das braucht noch Zeit. Ich will mir nicht zu viel zumuten. Ich kann nur einen Song nach dem anderen machen. Ich will einfach gute Songs schreiben, die den Leuten gefallen, und das ist gar nicht so einfach. Es wäre toll, noch eine Rockoper zu schreiben, aber dann eher mit Lo-Fi-Technologie aufzunehmen. Ich stehe auf Platten mit beschissenem Sound. [grinst]

Können Sie sich vorstellen, noch mit 50 bei Green Day zu spielen?

Ja.

Und mit 60?

Aber ja! Nur weiter so!

Sie gehen bald wieder auf Tour. Haben Sie, Mike und Tré sich irgendwelche Regeln und Veränderungen überlegt -zum Beispiel keinen Alkohol backstage -, damit Sie nicht rückfällig werden?

Das müssen wir noch besprechen. Wie man mich bei der Stange hält und trotzdem alle zufrieden sind. Manchmal bin ich nicht sicher, ob ich schon dafür bereit bin. Ich denke ja immer noch ständig an Alkohol. Ich habe immer noch schlaflose Nächte. Aber ich muss Tag für Tag daran arbeiten. Weil ich weiß, was auf mich zukommt. Ich veranstalte eine Riesenparty für die Leute. Mindestens 70-75 Prozent des Publikums sind angetrunken. Da muss ich aufpassen.

Was werden Sie tun, wenn Sie das nächste Mal Lust auf einen Drink haben?

Ich werde vermutlich nach draußen laufen, ein Taxi anhalten, in mein Hotel fahren und eine Limo in meinem Zimmer trinken. Wahrscheinlich ein Rootbeer. Ich liebe Rootbeer.

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