„Einfach ist schwierig!“
Das neue Album der Bright Eyes muss nicht jedem gefallen, findet Songschreiber Conor Oberst. Ihm ist es recht, wenn er wieder nicht zum Superstar wird. Er sieht sich eher als Spider-Man.
Conor Oberst hält sich die Leute gern vom Hals. Alle Leute. Manchmal sogar seine eigene Band. Vier Jahre lang hat er kein Album mit den Bright Eyes gemacht, sich dann zögerlich ins Studio zu Hause in Omaha, Nebraska, begeben. „The People’s Key“ erschien am 15. Februar, seinem 31. Geburtstag.
Der Mann, der seit seinem 13. Lebensjahr Songs veröffentlicht, macht es einem wieder mal nicht leicht. In den ersten zwei Minuten ist die Rede von Einstein und Tesla, von Reptilien und der Bibel – und es ist nicht einmal Oberst selbst, der mit seiner wunderbar zerbrechlichen Stimme davon singt. Stattdessen spricht ein bärtiger Schrat namens Denny Brewer den Eingangsmonolog. Oberst lacht bei der Vorstellung, dass der gewöhnliche Zuhörer sich da wundert. Er war sich mit seinen Kollegen Mike Mogis (der mit Andy LeMaster auch wieder produziert hat) und Nate Walcott einig, dass das gut ist so. „Bei Bright Eyes gibt es eine Tradition der renitenten Intros. So verlangt man schon mal die Aufmerksamkeit der Zuhörer und entschleunigt gleichzeitig alles. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, kann weiterhören. Wer sich abschrecken lässt, war vielleicht sowieso nicht der Richtige für uns. Das Intro ist also wie ein Pförtner.“ Auch hier gilt: Abstand halten!
Immer, wenn er dem Mainstream zu nahe kommt, den großen Erfolg kommen sieht, zieht sich Oberst zurück. Beim Vorgänger, „Cassadaga“ (2007), wäre es beinahe so weit gewesen. Oberst hatte viele klassische Rocksongs geschrieben, die zwar immer noch oft aus dem Standard-Raster fielen und ganz außergewöhnliche Texte unter der eher gefälligen Oberfläche offenbarten, aber doch weit weg waren von seinem zerschossenen Frühwerk. „Üppig und sehr ausgeformt“ nennt Oberst das Album, „und dieses jetzt ist vielleicht ein bisschen ökonomischer. Die Arrangements sind einfacher. Wir wollten alles etwas prägnanter, kürzer. Mir hat das groß Orchestrierte auch gefallen, aber alles, was man macht, ist ja immer eine Reaktion auf das Vorangegangene.“
So kam auch Denny Brewer ins Spiel. Oberst traf ihn bei den Aufnahmen mit der Mystic Valley Band in El Paso. Brewer ist dort eine Art Lokalheld, er spielt in „dieser irren Psychedelic-Garage-West-Texas-Band“ namens Refried Ice Cream. Oberst war beeindruckt von den Thesen und Theorien des Ü-60-Jährigen – und merkte erst später, dass viele der Lieder, die er nach der Begegnung schrieb, von seinen Unterhaltungen mit Brewer inspiriert waren. Also bat er ihn um ein paar Spoken-Word-Brocken – und bekam einen Eineinhalb-Stunden-Monolog geschickt, von dem er leider nur kleine Passagen nutzen konnte, „sonst wäre das mit der Knappheit nichts geworden“.
Neun Monate lang haben Oberst, Mogis und Walcott an den Songs gearbeitet – mit ein paar Unterbrechungen, die nötig waren, damit sie sich nicht auf die Nerven gehen. „Wir diskutieren viel. Sehr viel. Ich bringe die Songs an, und dann diskutieren wir und diskutieren, was wir damit machen. Das ist hart, aber entscheidend ist das Vertrauen. Dass man weiß, was die anderen können. Ich glaube an Mike und Nate, und daran, dass sie das Richtige mit meinen Songs anstellen.“ Mit Bright Eyes, die er immer noch „eher ein Studioprojekt“ nennt, ist eben alles ein bisschen anstrengender als bei seinen Soloalben oder der Spaßgruppe Monsters Of Folk.
Zwischen „Cassadaga“ und „The People’s Key“ hat Oberst drei Alben aufgenommen: seine Solowerke „Conor Oberst“ (2008) und „Outer South“ (2009) mit der Mystic Valley Band, außerdem – mit den Kollegen Jim James (My Morning Jacket), M. Ward und Mike Mogis – „Monsters Of Folk“ (2009). „Ich mag beides: die intuitive, schnelle Arbeit mit der Mystic Valley Band und das Stück-für-Stück-Songs-Aufbauen mit Bright Eyes.“ Bei ihrer eher gemächlichen Arbeitsweise kommt es ihnen entgegen, dass sie im eigenen Studio in Omaha aufnehmen können und also nie auf die Uhr schauen müssen. Oberst hat inzwischen auch eine Wohnung in New York City, und meistens ist er sowieso weg, auf Tour oder um sich die Welt anzusehen. „Ich bin gern unterwegs, so bleibe ich gesund. Und außerdem habe ich diesen Manager, Juan Carrera, der plärrt mich immer an, dass ich wieder auf Tournee gehen soll, Geld verdienen, CDs verkaufen. Ich höre gern auf ihn.“ Merken Sie sich den Namen, er spielt in Obersts Leben eine große Rolle.
Doch sogar daheim hat er angeblich selten Grund, sich über zu viel Vertrautheit zu beschweren: „Im Laufe der Jahre habe ich die meisten Kumpels verloren, viele Brücken abgefackelt. Familie ist weggezogen. Ich habe also viel Freiraum, um ich selbst zu sein und meinen Kram zu machen.“ Er kichert. Und was ist mit all den Musikerfreunden, die auf seinen Alben mitspielen? „Die wollen nur einen Scheck!“
Oberst hat gelernt, Fremde nie zu nahe an sich heranzulassen. Seine Musik ist alles, was er von sich hergibt – sie ist so seelenvoll, dass das mehr als genug ist. Privates plaudert er nicht aus, er flüchtet sich lieber in Ironie: „Oh ja, ich bin ein Romantiker. Ich mag Kerzenlicht und all das. Gedichte. Rosen.“ Kurze Pause, dann ernster: „Aber Liebeslieder sind schwierig. Vor allem glückliche. Traurigkeit und Verlust sind leichter zu verarbeiten.“ Im Großen und Ganzen geht es allerdings bei all seinen Songs sowieso um dasselbe, da ist er sich sicher: „Alle versuchen doch nur, sich einen Reim aufs menschliche Dasein zu machen. Was mich betrifft, würde ich sagen, wenn es ein übergeordnetes Thema in meiner Musik gibt, dann ist das: Verwirrung. Verwirrung ist meine größte Inspiration.“
Und das könnte auch der Grund sein, warum die Bright Eyes bei allem Erfolg – ausverkaufte Tourneen, Lob von Neil Young und Bruce Springsteen, Alben in den US-Top-Ten – nie einen Hit hatten. Oder haben werden, wenn es nach Oberst geht. „Ich schätze, wir sind als Fallensteller nicht gut genug. Oder haben die falschen Kostüme an.“ Dabei waren die weißen Anzüge, die sie bei der letzten Bright-Eyes-Tournee trugen, ja schon recht extravagant. Und Bands wie U2 oder R.E.M. haben es schließlich auch geschafft, ohne schick auszusehen. „Stimmt“, gibt Oberst zu, „aber dann müsste ich in der Lage sein, solche Songs zu schreiben.“ Er beginnt, „Stand in the place where you live …“ zu singen. „Das ist ein toller Popsong, und ich liebe R.E.M., aber ich kann das nicht., Shiny Happy People‘ und so.“ Er seufzt. „Einfach ist schwierig.“
Beim neuen Song „Jejune Stars“ kommt er relativ nahe heran, er singt sogar „every new day is a gift“ – der Mann, der die verzweifeltsten Lieder von allen geschrieben hat. „Aber an guten Tagen sehe ich das wirklich so! Ich versuche es jedenfalls immer. Es ist gut, so positiv wie möglich zu bleiben. Das Gute an jeder noch so verfahrenen Situation zu sehen. Auf der sonnigen Seite der Straße zu bleiben.“ Wie es anders laufen kann, beschreibt er im Titelsong: „Der spielt in der Zukunft, wenn die Menschheit nur noch eine altmodische Vorstellung ist. Wenn man ins Museum gehen muss, um Menschen zu sehen, die miteinander sprechen und sich umarmen.“ Wenn er selbst eine Zeitmaschine hätte, wo ginge es hin? „In die 70er-Jahre vielleicht? Das scheint mir eine angenehme Zeit gewesen zu sein: freie Liebe, viel Gras, coole Autos. Aber es kommt darauf an: Kann ich dann auch all die Krankheiten bekommen, die damals aktuell waren, oder bin ich immun in diesem Szenarium? Die Pest möchte ich mir nämlich nicht einhandeln. Aber Höhlenmenschen anschauen wäre schon interessant. Wenn man mir meine Sicherheit garantiert!“
Wird es in der realen Zukunft weiterhin Bright Eyes geben? Im vergangenen Jahr behauptete Oberst noch selbst, dass dies wohl das letzte Album werde, aber heute sieht er das anders: „Wir lassen es offen, wir geben keine offizielle Erklärung ab. Mal sehen, was passiert.“ Und womit rechnet er für 2011? „Ich höre einfach auf Juan Carrera. Er soll entscheiden, was ich als Nächstes mache. Aber dieses Jahr ist eigentlich schon alles klar, da touren wir praktisch die ganze Zeit.“ Scheint ganz schön wichtig zu sein, der Manager. „Na ja, er entscheidet auch sowas wie Singles., Shell Games‘ wollte er haben. Ich bin schlecht in solchen Sachen, wähle immer das Falsche aus. Ich glaube, ich habe einen komischen Geschmack.“ Und woran liegt das? „In meinem Kopf ist dieser Song, bei dem die Melodie und die Texte und alles sitzen, und dann ist da der tatsächliche Song, den wir aufgenommen haben, und manchmal stimmen die beiden nicht überein. Hin und wieder kriegen wir den Song dann live so hin, dass er wieder passt, und ich mache meinen Frieden damit. Wenn das passiert, hat sich das Konzert schon gelohnt.“
Eine letzte Frage noch … Oberst unterbricht: „Aber jetzt kommt keine Mathe-Frage, oder? Ich bin schlecht in Mathe.“ Keine Sorge. Was folgt auf die weißen Anzüge, die bei der „Cassadaga“-Tour doch viele irritiert haben, weil das Ensemble wie ein Hippie-Engelschor aussah? Und werden wieder ein Dutzend Musiker auf der Bühne stehen? „Wir planen mit einer sechsköpfigen Band. Was visuell passiert, wissen wir noch nicht genau. Ich hätte gern etwas Spannendes. Ich will eigentlich immer mehr – Hologramme und alles Mögliche, wie bei dieser Spider-Man-Broadway-Show. Ich will über den Köpfen des Publikums fliegen und so.“ Er hält einen Moment inne, um das Bild sacken zu lassen. „Aber das wäre ein Albtraum für die Versicherung, also müssen wir wohl abspecken und eher eine Standard-Rockshow bringen. Mit Lichtern und so.“ Nur für den Fall, dass die Musik der Bright Eyes nicht schon genug glänzt.