Eine Tribut-Platte erinnert an den farbigen Nationalspieler ERWIN KOSTEDDE und sein tragisch-romantisches Leben
Du hast ihn damals live gesehen?“, fragt Thomas Christ vom Offenbacher Kickers-Fanzine „Erwin“. Als ob es um Pele oder Elvis ginge. Wenn nicht gar um Gott: Die Thekentruppe der „Zeugen Kosteddes“ gibt es nicht umsonst viel länger als die „Zeugen Yeboahs“. Im „Erwin“ beschäftigt man sich heute mit Niederlagen gegen Bernbach oder Wehen. Die Platte „Hier spricht der Bieberer Berg“ über den tragischen Star besserer Zeiten ist da schon ein angenehmeres Projekt Weil scheinbar nicht nur Redakteure, sondern auch der Rest in der Fankurve zu jung ist, um Erwin Kostedde fundiert zu verehren, werden stets auf Platten-Covern und Fanzine-Umschlägen die Koteletten-Nahaufnahmen und Abenteuer des ersten farbigen Fußballers in der Deutschen Nationalmannschaft nachgedruckt „Vom Talent her“, hat Sigi Held damals gesagt, „steht Kostedde auf einer Stufe mit Müller.“
Sein Pech war jedoch, daß er den Ball nicht schlicht in das Tor schoß, Hauptsache drinnen, sondern balancierte, lupfte und streichelte. Er erfand den leider wieder aus der Mode gekommenen Kostedde-Shuffle – den doppelten Übersteiger. Nicht spielentscheidend – aber sexy. Worauf einige Fans härter einstiegen als die alten Rassisten der „Sportschau“. Beliebtester Spruch: „Zehn Schwule und ein Nigger, das sind die Offenbacher Kicker.“.
Aber Erwin Kostedde scheiterte nicht nur an der Hautfarbe, sondern auch am sozialen Hintergrund. Alle seine Geschwister waren weiß. „Neger Erwin“ (wie er später bei Achternbusch hieß) durfte froh sein, daß er so gut Fußball spielen konnte, um vom MSV Duisburg geholt zu werden. „Im erzkatholischen Münster gab es noch zwei Mischlinge, beide so alt wie ich. Mit zwölf ist einer ertrunken. Der andere wurde von einem Auto überfahren. Da habe ich lange vor Angst nicht geschlafen. In Münster war es schon schlimm, wenn man sonntags in Jeans rumlief. Aber ich trug das ganze Jahr die falsche Hautfarbe.“ Manchmal macht Fußball ja diesen Nachteil wieder gut. Aber bis dahin muß man sich ein Gemüt wie Jimmy Hartwig zulegen.
Kostedde war jedoch in jeder Hinsicht überfordert. Um in der fremden Großstadt nicht unterzugehen, gab er in der Disco den big Spender. Private Probleme heißt sowas heute. Ab ob das mit dem Fußballer auf dem Platz nichts zu tun hätte. Im multikulturellen Belgien kam er besser zurecht. Bei Standard Lüttich wurde er Meister und Torschützenkönig, so daß Offenbach nach drei Jahren 700000 Mark für ihn hinlegen mußten. Viel Geld für 1971 – obwohl sein „Tor des Jahres“ mehr wert war: Aus dem Lauf nimmt er eine Flanke mit der Brust und haut den Ball aus 16 Metern volley in das Dreieck. Jetzt war Kostedde ein Held, doch sein Selbstbild vom Sarottimohr blieb. Sonst wäre ihm wohl vor seinem letzten Länderspiel nicht herausgerutscht, „wie stolz ich jetzt bin. Ich, der Sohn eines Negers. Ein Krüppel hat es schwerer, oder?“ Gerade jetzt fing er an, zuviel zu futtern. „Erwin dreht sich wie ein Bierfaß“, sagte Trainer Gyula Lorant. „Und er springt hoch wie eine Dampfwalze.“
Ohne Fußball wurde Kostedde auf Hautfarbe und sozialen Hintergrund zurückgeworfen. Nun war kein Staatsanwalt mehr da, der ihm vorher noch die Finanzen geregelt hatte. Er verlor über eine Million Mark durch Bauherrenmodelle und sein Haus an die Steuec Ende der 80er Jahren lebte Kostedde wieder in Münster und erhielt Sozialhilfe. Als eine Spielhalle überfallen wurde und die Kassiererin einen „Mann mit bräunlichem Teint kleinen schwarzen Locken bis Krause, aber nicht direkt Negerkrause“ beschrieb, kam der letzte Münsteraner Mischung gelegen: Kostedde kam sechs Monate in U-Haft. Wegen 190 Mark. „Ich kann doch nichts zugeben was ich nicht gemacht habe“, sagte er, und kam mit einem Nervenzusammenbruch in die Psychiatrie.
Im Prozeß wurde er zwar freigesprochen, doch „Die BILD hätte Erwin fast gekillt“, so singen Prollhead! Mit der Presse will er seither nichts zu tun haben. Für „Hier spricht der Bieberer Berg“ versuchte die Plattenfirma vergeblich, „ran“ ein Interview mit Kostedde zu vermitteln. Sogar Thomas Christ weiß nichts von ihm, seit der im Februar seinen Job beim Mediamarkt Osnabrück geschmissen hat Er wollte sein Glück noch einmal als Trainer versuchen, hatte Termine in Frankreich. Dort würde der letzte Romantiker der Mittelstürmerposition gut hinpassen.