Liebeserklärung an „American Beauty“

Dem britischen Theater-Regisseur Sam Mendes gelang mit seinem Leinwanddebüt „American Beauty“ der triumphale Hollywood-Durchbruch. Für ROLLING-STONE-Autor Marc Vetter eine der weisesten und schönsten Tragikomödien aller Zeiten.

Wer hätte je gedacht, dass es möglich sein könnte, wegen einer Plastiktüte zu weinen? „American Beauty“ rührt immer noch, auch mehr als 20 Jahre nach dem Kinostart. Das liegt daran, dass diese geradezu paradigmatische Tragikomödie mit fragilem Feingefühl und Sprüchen, die gezielten Boxschlägen gleichen, eine Riesenportion Melancholie über ihre Figuren ausschütten lässt und ihnen genüsslich dabei zuschaut, wie sie sich, mehr schlecht als recht, freischwimmen.

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Natürlich ist Lester Burnham, diese vom Leben kleingestampfte Wiederkehr von Wladimir Nabokovs Humbert Humbert, der sich vom amerikanischen Traum gelinde gesagt verarscht fühlt und nun wie ein pubertierender Teenager dagegen ankämpft, ein armes Würstchen. („Sehen sie mich an: Ich hole mir unter der Dusche einen runter. Dies ist der Höhepunkt meines Tages. Von hier an geht’s nur noch bergab.“)

Aber er ist trotzdem keiner dieser Jammerlappen, wie sie in all diesen langsam vor sich hin gammelnden Hipster-Filmen und kokett depressiven Midlife-Crisis-Dramen dahinvegitieren.

AMERICAN BEAUTY

Regisseur Sam Mendes und Drehbuchautor Alan Ball gelingt es vorzüglich, den Zuschauer für dieses absurde Suburbia-Spektakel mit ins Boot zu holen und ihn mitfiebern zu lassen, mit welchen Mitteln Mr. Burnout versucht, seiner Krise zu entfliehen. Natürlich gerät er dabei, ganz ohne es zu bemerken, immer tiefer hinein.

Dass ihm dabei trotz allem ein Licht aufgeht, es ihm sogar vergönnt wird, das Leben in seiner ganzen Fragilität und Schönheit zu erkennen, ist ein kleines Wunder, das sich das Kino zu selten erlaubt und oft kleinlaut an die anderen vermeintlich hohen Künste abschiebt.

Dabei ist „American Beauty“ doch eigentlich Theater: die kraftvollen, gemarterten Figuren, die mit der Schärfe eines bergmannschen Rasiermessers auseinandergenommene Verlogenheit der Kleinstadtidylle, diese zum Witz aufgebrühten Szenen einer Ehe. Aber der Film schmiegt sich auch an große Literatur an, verneigt sich vor „Lolita“, vor Tschechow sowieso.

Untergang des amerikanischen Imperiums

Die Kunstfertigkeit von „American Beauty“ besteht darin, dass hier eine Vielzahl Nöte bebildert wird – die Protagonisten freimütig ihre klammen Herzen öffnen -, ohne dass es je peinlich würde. Der Schuss Surrealismus, den Mendes seiner éducation sentimentale verpasst, verleiht dem Stoff Flügel und bleibt für alle Ewigkeit. Nicht nur, weil Millionen von Frauen für ihren Liebsten wie Mena Suvari nackt in Rosen baden, um ihn vielleicht zum Hochzeitstag mit einem frechen Foto zu überraschen, sondern weil surrealistische Bilder auf der Leinwand eben selten geworden sind. Bunuel ist davongeflogen, Jodorowsky ist ein Clown, Yorgos Lanthimos ist vielen zu harsch und Lynch kriegt keinen Film mehr finanziert (immerhin aber eine Fortsetzung von „Twin Peaks“).

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Die von Paula Abdul ergreifend choreographierte Cheerleader-Szene demaskiert Männer-Sehnsüchte des mittleren Alters, und gibt sie eben nicht der Lächerlichkeit preis. Letztlich gewinnt ein banges Hoffen auf eine letzte Spätblüte die Oberhand. Eine zwielichtige Romantik, wenn man so will, die auch von Kevin Spaceys inzwischen ziemlich düsterem Schatten nicht verhüllt wird. Der Film gönnt der frustrierten, natürlich sehr amerikanisch in hysterischer Depression verfallenen Familienmutter Carolyn, mit einem närrischen Schuss Verzweiflung gespielt von Annette Benning, ihre Affäre mit dem glattgebügelten Immobilien-Hai der Stadt („Fick mich, euer Majestät!“), der sich schnell verkrümelt, als es ernst wird.

AMERICAN BEAUTY

Die schönste Pointe des Films ist aber, dass der einzige Hoffnungsträger ein kleiner mieser Dealer ist, der heimlich seine Angebetete mit der Kamera sondiert und sie mit nächtlichen Opfergaben für sich gewinnt. Dieser Ricky (herrlich autistisch dargestellt von Wes Bentley) wäre in anderen, kleingeistigen Filmen ein Loser ohne Herz. Hier ist er der große Weltendeuter, der Melancholiker, der sich seiner eigenen Trauer ohne Grund mehr als jeder andere bewusst ist. („An diesem Tag ist mir klar geworden, dass hinter allem Leben steckt. Und diese unglaublich gütige Kraft, die mich wissen lassen wollte, dass es keinen Grund gibt, Angst zu haben.“) Man kann von dieser Erkenntnis nicht ungerührt bleiben, denn sie wächst eben sprichwörtlich wie eine amerikanische Rose aus dem Mist.

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Bittersüßes Drama mit zynischem Wortwitz

Filigran ist aber auch das Spiel von Mena Suvari, die nach ihrem, nun ja: süßen Auftritt in der Teenie-Klamotte „American Pie“ eine so mustergültige und doch nie sirenenhafte Verführerin gibt, die letztlich mit all dem noch nicht in Berührung gekommen ist, wofür sie ganz unschuldig wirbt. Eine bittersüße Pointe der auch hier grässlichen Adoleszenz, die später selbst Bravos Dr. Sommer zitierte, um jungen Mädchen klar zu machen, dass der Schein mehr als einmal trügen kann.

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AMERICAN BEAUTY

All diese überlebensgroßen Dramen, die sich trotzdem nie unangenehm aufplustern oder gar je aufdringlich falsches Mitleid heischen, werden wunderbar treffend von den minimalistischen Klängen Thomas Newmans eingefangen. Das zartfühlend dahin perlende Piano, das die im Wind tanzende Plastiktüte untermalt, ist längst ein leiser Gassenhauer der modernen Filmmusik.

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Funkelnd ist auch der Soundtrack: Nur wenige Sekunden preschen die Eels mit „Cancer For The Cure“ hervor („Beautiful Freak“ das Debüt der Band, war die erste Veröffentlichung auf Dreamworks Records, das von David Geffen, Steven Spielberg und Jeffrey Katzenberg wie eben auch die „American Beauty“-Produktionsfirma gegründet worden war; der Song stammte allerdings vom todtraurigen Nachfolger „Electro-Shock Blues“) und so wahnsinnig prominent darf dann noch einmal „Allright Now“, der etwas angestaubte Riesen-Hit von Free, ertönen. Würden wir heute noch irgendetwas von Gomez hören, wenn nicht „We Haven’t Turned Around“ hier verewigt worden wäre?

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Sam Mendes hat in seiner erstaunlichen Karriere noch keinen schlechten Film gemacht (auch wenn „Away We Go“ keiner sehen wollte und „Zeiten des Aufruhrs, diese so nötige wie umständliche Richard-Yates-Verfilmung, wohl seine Ehe mit Kate Winslet zerstörte). James Bond konnte er vielleicht nicht ins 21. Jahrhundert holen, aber das ist auch ein Spagat, der nicht so einfach gelingen will. Mit dem Kriegsfilm „1917“, der in langen Einstellungen ohne Schnitt gedreht wurde, drehte er sich zurück in die erste Liga des Weltkinos.

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„American Beauty“, der ohne Produzent Steven Spielberg nie entstanden wäre, wird aber wohl auf ewig sein großes Meisterwerk bleiben (Autor Alan Ball übertraf sich mit der zartbitteren Bestattersaga „Six Feet Under“ hingegen noch einmal selbst). Eine sensible, hochironische, humanistische, auch provokante Komödie mit verwirrenden Schreckmomenten, die ohne großes Aufsehen zu machen das womöglich klügste Generationenporträt lieferte, das das amerikanische Kino im letzten Jahrzehnt des alten Jahrtausends zu schöpfen in der Lage war.

Dass es dafür einen englischen Theatermacher brauchte, ist eine jener Storys, mit der sich Hollywood nun einmal immer wieder vor dem eigenen Untergang durch allzu seichte Unterhaltung hinwegrettet.

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picture alliance / Mary Evans Pi
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