Absolute Mehrheit: Welcher Wahlkampfsong überzeugt im Rolling Stone-Voting?
In den USA gehören Songs und Wahlkampf quasi schon immer zusammen. Bereits der zweite Präsident, John Adams, hatte einen Campaign Song. John F. Kennedy zog 1960 mit dem in der Version von Frank Sinatra populären „High Hopes“ in den Wahlkampf und der Demokrat George McGovern wollte mit Paul Simons „Bridge Over Troubled Water“ eine Brücke über die unruhigen Gewässer bauen, in denen die USA unter Richard Nixon segelten. Nicht immer zeigten sich die Interpret*innen einverstanden, wenn Politiker*innen ihre Songs instrumentalisierten, und drohten mit Klagen.
In Deutschland hat der Wahlkampfschlager keine so große Tradition, aber ab und zu verliert sich doch mal ein populäres Liedchen in die Kampagnen der Parteien. Oft hängt die Auswahl des richtigen Songs mit dem Support der jeweiligen Künstler*innen zusammen, manchmal gibt es auch vermeintlich inhaltliche Gründe – aber so richtig textsicher scheinen Wahlkämpfer*innen nicht zu sein.
Wir stellen an dieser Stelle zehn Songs aus den vergangenen US- und BRD-Wahlkämpfen vor. Und natürlich dürft Ihr am Ende Euer Kreuzchen machen und die beste Wahlkampfhymne wählen.
Das Wahlkampfsong-Voting:
Born in the U.S.A. (1984) – Bruce Springsteen
Was sich der Republikaner Ronald Reagan und sein Team bei der Auswahl von “Born in the U.S.A.” als Hymne zum Wahlkampf 1984 gedacht haben, bleibt ein Rätsel. Schließlich kritisiert Bruce Springsteen in seinem Welthit die Umstände, unter denen US-Kriegsveteranen zu leiden hatten. Vermutlich hat der Verstand spätestens dann ausgesetzt, als man bereits begeistert zum augenscheinlich patriotischen Chorus mitgegrölt hat.
I Won’t Back Down (1989) – Tom Petty
Tom Pettys Song wurde bereits zweimal gegen seinen Willen im amerikanischen Wahlkampf verwendet. Im Rennen um die Kandidatur im Jahr 2000 machte sich George W. Bush die Lead-Single aus Pettys erstem Solo-Album “Full Moon Fever” zunutze. Und zwanzig Jahre später tat der damalige Noch-Präsident Donald Trump dasselbe. Beide Male wurden die Politiker, in Trumps Fall durch die Familie des bereits verstorbenen Musikers, mit Unterlassungsaufforderungen konfrontiert.
Don’t Stop (1977) – Fleetwood Mac
Der Demokrat Bill Clinton machte “Don’t Stop” 1992 zu seinem Wahlkampfsong. Die Veröffentlichung lag da bereits vierzehn Jahre zurück, weswegen sein Team zunächst zu einer etwas hipperen Wahl riet. Wie Clinton bei der MusiCares-Award-Verleihung an Fleetwood Mac 2018 verriet, hatte ihm ein 19-jähriger Fahrer zum Song aus dem Album “Rumours” geraten. Letztendlich behauptete sich das Lied und Clinton konnte Fleetwood Mac für einen Reunion-Auftritt zu seinem Amtseinführungsball gewinnen.
Signed, Sealed, Delivered (I’m Yours) (1977) – Stevie Wonder
Sowohl 2008 als auch 2012 hatte Barack Obama eine eindeutige Message in seinem Wahlkampf: “Here I am, baby – Signed, sealed, delivered, I’m yours.” Der hingebungsvolle Track lief immer nach den Reden des Demokraten und ersten afroamerikanischen Präsidenten der USA. Obama konnte im Gegensatz zu seinen republikanischen Kontrahent*innen einige Musiker*innen für sich gewinnen. Zu seinen Unterstützer*innen zählten unter anderem Beyoncé, Bruce Springsteen und Madonna.
Sonne statt Reagan (1982) – Joseph Beuys
“Der Typ ist jetzt wohl selbst total Banane.” Das mögen sich wohl so einige Kunstaffine gedacht haben, als einer der wichtigsten deutschen Nachkriegskünstler, Joseph Beuys, auf einmal in der ARD-Sendung “Bananas” seine Single “Sonne statt Reagan” performte. Dabei war dieser Auftritt nur eine logische Folge des Beuys’schen “erweiterten Kunstbegriffs”, und somit war für den Rheinländer der Beitritt bei den Grünen und auch der Abstecher in die Wahlkampfsong-Landschaft nur eine weitere Form des künstlerischen Ausdrucks. Leider kommt Beuys Singstimme, unterlegt von der Musik des BAP-Gitarristen Klaus Heuser und den Lyrics aus der Feder des Werbetexters Alain Thomé (ergänzt um einige Zeilen des BAP-Perkussionisten Manfred „Schmal“ Boecker) so gar nicht virtuos daher.
Fortunate Son (1969) – Creedence Clearwater Revival
Ein Beispiel aus der Kategorie “Passt nur so halb”: Als der Demokrat John Kerry 2004 kandidierte, machte er den Welthit “Fortunate Son” von CCR zu seiner Wahlkampfhymne. Zu schade, dass die Band um John Fogerty gegen die “Begünstigten” wetterte, die sich mittels ansehnlicher Summen aus der Vietnam-Kriegspflicht freikauften. Der Diplomatensohn Kerry wäre dazu vermutlich durchaus in der Lage gewesen, aber er meldete sich freiwillig für den Vietnamkrieg und wurde von den US-Streitkräften mit Tapferkeitsmedaillen und Verwundetenorden ausgezeichnet.
Barracuda (1977) – Heart
Wenn man sich die Amerikanerin Sarah Palin – ehemalige Gouverneurin Alaskas, fast Vize-Präsidentin und leidenschaftliche Tea-Party-Anhängerin – so anschaut, ist es ein Leichtes sich vorzustellen, wie sie ihre Basketball-Gegenspieler*innen in der Highschool mit scharfen Fangzähnen zerfetzt hat. Daher rührt zumindest ihr Spitzname, der dann nahelegte, den Song der Wilson-Schwestern bei den Wahlkampfveranstaltungen ihrer Kandidatur als Vize-Präsidentin neben John McCain im Jahr 2008 zu spielen. Die Band fand das aber überhaupt nicht fetzig, denn in ihren Augen repräsentieren die Ansichten der Republikanerin in keiner Weise die Interessen amerikanischer Frauen, wie sie “Entertainment Weekly” erzählten.
Tage wie diese (2012) – Die Toten Hosen
Kommen wir wieder zum deutschen Wahlkampf. Die Hymne der Toten Hosen wurde sowohl von SPD als auch CDU im Wahljahr 2013 mehrfach gespielt, allerdings ohne vorherige Zustimmung der Band, die aber vermutlich auch nicht eingewilligt hätte. Campino und Co. finden es nämlich „unanständig und unkorrekt, dass unsere Musik auf politischen Wahlkampfveranstaltungen läuft”, wie sie in einem Facebook-Post schrieben. Den Düsseldorfern waren die Hände gebunden: Laut GEMA handelt es sich erst um eine Urheberrechtsverletzung, wenn der Song als erkennbare Melodie für den Wahlkampf benutzt wird.
König von Deutschland (1986) – Rio Reiser
“König von Deutschland” war nicht der einzige Song von Rio Reiser, der als Wahlkampfsong ein zweites Leben führte. Bereits 1987 wird “Alles Lüge” von Reisers Erfolgsalbum “Rio I.” das Lied für den Wahlkampf der Grünen. Reiser hatte sich gerade der Anti-AKW-Bewegung angeschlossen. Drei Jahre später trat der Sänger aus Frust über den Verlauf der Wiedervereinigung in die PDS ein, da er sich schon “immer für Außenseiter eingesetzt” habe, und stellte seinen “König von Deutschland” als Wahlhymne zur Verfügung.
Angie (1973) – Rolling Stones
Wie der Name es vielleicht schon vermuten lässt, wurde der Song der Rolling Stones vom Album “Goats Head Soup” im ersten Wahlkampf 2005 von Angela Merkel benutzt. Das war allerdings ein Griff in die Kartoffelsalatschüssel, da man die Band vorher nicht gefragt hatte. Die Stones waren not amused. Abgesehen davon hat der Song keinerlei politische Botschaft, sondern handelt vom Schlussmachen. Nach 16 Jahren Merkel-Kanzlerschaft passt er daher jetzt eigentlich ganz gut: „Angie, Angie/ When will those clouds all disappear?/ Angie, Angie/ Where will it lead us from here?“
Ein schöner Land (2021) – Bündnis 90/Die Grünen
Vermutlich wird man sich an den aktuellen Wahlkampf in Zukunft eher als musikalische Tretminenlandschaft erinnern. Ein Beispiel hierfür ist der Wahlwerbespot der Grünen unter Annalena Baerbock, der nach Veröffentlichung einen Monat vorm Wahltag einen Haufen Spott geerntet hat. Zu einer umgedichteten Version des Volksliedes “Kein schöner Land in dieser Zeit” von Anton Wilhelm von Zuccalmaglio aus dem Jahr 1840 wird, man könnte vermuten absichtlich, schräg von Aufbruch, dem Klima oder auch W-Lan geträllert. Dass ein traditionsreiches Volkslied benutzt wird, um eine Veränderung der “Weiter so”-Mentalität zu bewirken, erscheint dabei nur allzu paradox. Und die Tatsache, dass in dem Video kurz vor Ende auch noch Fleisch gegrillt werden darf, lässt vermuten, dass dieser Werbespot als Versuch gedacht war, ein konservativeres Publikum anzusprechen. Alternativ hätten sie auch frei nach Helene Fischer „CO2-neutral durch die Nacht” singen können.
Armin Laschet wird Kanzler (2021) – CDU (in der Melodie von ”Seven Nation Army”, 2003, von The White Stripes)
Für den jüngsten Gruselmoment in diesem Wahlkampf sorgte eine begeisterte Schar von CDU-Anhänger*innen, darunter auch Uschi Glas und Leslie Mandoki, die zu den Tönen des berühmten Gitarrenriffs von ”Seven Nation Army” ”Armin Laschet wird Kanzler” singen. Nachdem der CDU-Spitzenkandidat aus dem zweiten TV-Triell zumindest statistisch nicht als Gewinner hervorging, diente der A cappella-Moment wohl eher der kollektiven Aufmunterung. Während Seven Nation Armin kaum aus dem Grinsen herauskommt, verhält sich Leslie Mandoki hingegen auffallend zurückhaltend, wie man in einem Twitter-Video sehen kann. Vermutlich wollte er nicht erkannt werden, schließlich hatte er einst als Mitglied der Musikgruppe Dschinghis Khan die Zeilen „Moskau, Moskau/ Wirf die Gläser an die Wand/ Russland ist ein schönes Land/ Ho ho ho ho ho, hey“ gesungen und ist nach CDU-Logik eindeutig ein Kommunist, den es von solchen Wahlveranstaltungen zu entfernen gilt.