Eine Gasse der Eigensinnkultur
Autonome Kampflieder, Klangkunst, neue Volksmusik: Deutschlands ältestes Indie- Label Trikont bietet seit einem Vierteljahrhundert allen Musikern ein Zuhause
Es gibt etwas zu feiern, und dem Anlaß angemessen ist ein klein wenig Poesie: „Zuerst dachte ich, ich bin eine Stimme der Leute/ Dann dachte ich, ich bin eine Stimme der Schriftsteller/ Dann dachte ich, ich bin meine Stimme/ Dann war ich nur eine Stimme.“
Von Herbert Achternbusch ist dieser Vierzeiler der dabei sicher nicht an die kleine Münchner Plattenfirma Trikont gedacht hat. Es ist nur trotzdem so, daß mit diesem Verslein ein Vierteljahrhundert Trikont-Geschichte erzählt werden kann, auch wenn es auf den ersten Blick gar nicht so aussieht. Es war – dieses noch zum Vorspiel – im Jahr 1967, als in München der Vorläufer des heutigen Plattenlabels, der Trikont-Buchverlag gegründet wurde, der seinen Namen von „Trikontinentale“ – dem Titel einer linken Internationalismus-Zeitschrift aus Cuba – ableitete. Als eines von vielen Sprachrohren der sich formierenden außerparlamentarischen Opposition verlegte man so bewegende Dinge wie Che Guevaras Tagebuch oder Bommi Baumanns „Wie alles anfing“. 1971 kam dann zum Buchsortiment die Schallplattenreihe unter dem Logo „Trikont – Unsere Stimme“, und das war das kulturell bedeutendere dieser beiden Gründungsereignisse abgesehen davon, daß der Buchverlag seit 1980 nicht mehr existiert. So kam Trikont also auf die Welt: Malocher im BMW trällerten „Wir sind alle Fremdarbeiter“, das „Kollektiv Rote Rübe“ traf die „Frauenoffensive“, und die „Singenden Winzerinnen“ skandierten „In Wyhl, da gibt’s kein KKW.“ Die erste von Trikont herausgebrachte Scheibe hieß „Wir befreien uns selbst“, worauf der Münchner Sänger Tommi und autonome Musiker italienische Klassenkampf-Lieder ins Deutsche übertrugen – und nicht nur Achim Bergmann, der heute noch Kopf und Bauch von Trikont ist, glaubte felsenfest, das sei nichts geringeres als die Stimme der Leute.
Spätestens am Ende der 70er Jahre änderte sich dieses. Das Leitmotiv „Musik von unten“, bei Trikont vor allem repräsentiert durch Anarcho-Urgesteine wie Ton Steine Scherben oder auch Schröder Road Show, bekam eine andere Deutung; statt proletarischem Getöse nun ethnische Klänge. Panflöte und Maultrommel, Walter Moßmann und Dario Domingues, Bauernkunst und Indianergesänge – die Firma wandelte sich zu der „Musikabteilung der Gesellschaft für bedrohte Völker“, wie süffisant das Angebot kommentiert wurde. Die Stimme der Leute stellte plötzlich fest, daß sie die Stimme der Künstler und Schriftsteller geworden wat Von da an war es nicht mehr weit von der „Gegenkultur“ zu dem, was Bergmann „Eigensinnkultur“ nennt „Unsere Stimme“ stand zwar immer noch drauf, aber meistens war „meine Stimme“ drin, Vorneweg stapften für Trikont dabei hemdsärmlig Bayern-Poeten wie Georg Ringsgwandl oder Hans Söllner, hernach kamen brillante Kompilationen, womit das älteste Indie-Label der Republik zur intelligentesten Sampler-Werkstatt aufstieg. Verrückte aller Länder vereinigten sich und rangen klangkünstlerisch auf „Alles Albert“ mit Einstein oder auf „Dem Rhythmus sein Bruder“ mit Valentin; „La Paloma“ füllte ein ganzes Album als „One Song For All Worlds“ mit Beiträgen von Hans Albers bis Amon Düül I; in „Texas Bohemia“ sammelte Thomas Meinecke die musikalischen Spuren deutscher Auswanderer ein. Die Krönung des Ganzen: „Rare Schellacks 1902 – 1948“
– ein phänomenales LP-Quartett aus der wirklichen Steinzeit der Punk-Bewegung, als die noch bei aufsässigen Bänkel- und Volkssängern in den Hinterzimmern von Münchner oder Wiener Wirtshausstuben saß.
Heute sind Attwenger, Die Nuts, Die Schweisser, Funny van Dannen, Das Holz, No Goods, Rocko Schamoni, die Well-Buam oder das Jeep Boat Orchestra in der Trikont-Zentrale daheim, die immer noch mehr einer Arbeiterviertel-WG oder einem Selbsthilfeladen als einem Firmensitz ähnelt. Auch der Autor Franz Dobler schaut gerne rein, auf der Suche nach „Perlen deutschsprachiger Popmusik“ für die zweite Folge des Trikont-Samplers „Wo ist zuhause, Mama? Trikont steht damit vor allem für „Neue Volksmusik“, was für Achim Bergmann mehr Problem als Auszeichnung ist: „Alle Kategorien machen unfrei, darum heben wir immer gleich das Bein und pinkeln darauf“ Mit Bergmann zu reden ist einfach und schwierig zugleich, weil die Gedanken sprudeln und in diesem Fall gleich zur „68er-Folklore“ springen, die „auch nichts anderes als die Psychologisierung von Geschichte“ sei. Nein, damit will er nichts zu tun haben, der Geist von „damals“ habe eine andere Form gefunden, die viel mit dem „Blick und Sinn für die Geschichten von Menschen“ zu tun hat So scheint das vor zehn Jahren erstmals im Zusammenhang mit Trikont verwendete Zitat von Arto Lindsay, wonach „die Frage nach dem Ort, an dem Musik entsteht, einer der wichtigsten Aspekte von Musik ist“, zum Funktionsprinzip geworden zu sein. „Es gibt keine geschlossenen Szenen mehr, das zerbröselt alles“, sagt Bergmann nach 225 Trikont-Platten. Es gibt nur noch Orte, an denen Musiker nach ihrer Identität suchen. Trikont hilft beim Finden, ganz gleich, ob es nun Funny van Dannen in seiner Berliner Kneipe oder Attwenger auf dem Alpenacker ist So hat man wohl allmählich auch die bittere Erkenntnis verdaut, nicht mehr zur Speerspitze einer Jugendbewegung gehören zu können, sobald es neue junge Wilde gibt: „Mit den Punks gab es nie große Probleme, weil die sich doch nur in die Kellerlöcher setzten, die wir gegraben hatten – aber das Wave-Zeug in den 80ern, dieses Dandy-Gehabe, das war uns wirklich fremd.“ Bergmann freut sich: „Man muß eine Generation von außen sehen können – dann merkt man, was klasse ist“ Trikont wolle auf jeden Fall noch immer „allem eine Gasse öffnen“.
Und warum nicht auch mal große Kohle machen? Die Absatzzahlen schwanken zwischen einigen tausend und dem Spitzenwert 150 000 bei Söllner. Doch, sagt Bergmann, die würde er schon nehmen, die große Kohle – „aber wie sollte das funktionieren?“ Denn für die „Vermassung“ sind andere zuständig. In den 70er Jahren verkaufte Trikont von dem Song „Bruttosozialprodukt“ des Sponti-Duos Dicke Lippe rund 1000 Singles. Jahre später tanzte die Neue Deutsche Welle zur aufgemotzten Version von Geier Sturzflug – ein Millionenseller bei Ariola. Bei Deutschlands filigranster Plattenschmiede wissen sie es inzwischen: Sie sind und haben nur eine Stimme. Aber die ganz gewiß.