Ein wahres Verbrechen
ab 29. April im Kino
Sind alle Legenden erzählt, wird es selbst für einen hartnäckigen Haudegen wie Clint Eastwood schwer, sich zurechtzufinden. Mit Sergio Leones Dollar-Trilogie begann in den Sechzigern seine Ikonisierung als schnellster Scharfschütze des Westens. Schmal wie Schießscharten waren seine Augen, bevor er aus der Hüfte die Gegner umgepustet hat. Nach einem guten Vierteljahrhundert nahm Eastwood schließlich konsequent Kimme und Korn, kniff bei „Erbarmungslos“ nun vor Sehschwäche die Augenlieder zusammen und zerballerte mit einer doppelläufigen Schrotflinte den eigenen Mythos und den des Western dazu. Dafür gab es den Oscar. Mit JDie Brücken am Fluß“ ertränkte er dann ganz ohne Ironie noch den Chauvinismus von „Dirty Harry“ in Tränen. Alles war getan. Besser geht’s nicht Doch danach begann auch bei ihm die dritte Lebensphase betagter Männer, die nicht ruhen wollen – und sich dann oft lächerlich machen. Eastwood entging der Blamage bisher mit pointierter Selbstironie und einer Lakonik, die schon früher selbst bei seiner dämlichsten Rolle noch stach. Einst als Unnahbarkeit und Unbeugsamkeit angelegte Charaktereigenschaften pendelt er nun schmunzelnd zwischen Starrköpfigkeit und Spott aus. In „Absolut Power“, einem sonst nur soliden Krimi, lieferte er sich mit Ed Harris einen prächtigen Dialog über das Alter. Als Reporter Steve Everett, der sich stur von der „New brk Times“ aufs Abstellgleis beim „Oakland Tribüne“ gesoffen hat, wird er in „True Crime“ nun von seinem verzweifelten Chefredakteur – und letzten Freund – Alan Mann (James Woods) amüsant gemaßregelt Während Mann an einem Müsli-Riegel kaut, qualmt Everett trotz Verbots eine Zigarette. Ein Hohn über Hollywood, wo dieses Synonym für lässige Helden längst zum Symbol des abso-I lut Bösen umcodiert worden ist Leinwand NEU IM KINO
Natürlich gehören die Sympathien diesem widerborstigen Chaot, der am Vormittag mit der Frau seines jüngeren Ressorleiters (Denis Leary) schläft – obwohl Eastwood langsam so wächsern aussieht, als sei ihm von den Viagra-Pillen übel geworden. Und als er den Auftrag erhält, mit dem zum Tode verurteilten Schwarzen Frank Beachum (Isaiah Washington IV) am Tag vor der Hinrichtung ein letztes Interview zu fuhren, ist auch klar, daß der Schnüffler alter Schule einem Justizirrtum auf die Spur kommt. Das Ende ist absehbar, aber zweitrangig. Denn dieser Mordfall dient als Metapher für das wahre Verbrechen am eigenen Leben und also auch im Zusammenleben. Während Everett erst widerwillig, dann hartnäckig recherchiert, erfährt man immer mehr über sein kaputtes Familienleben. Derweil verbringt Beachum mit Frau und Tochter seine letzten Stunden in einer Zelle.
Everett und Beachum sehen sich nur einmal für wenige Minuten zu einem Gespräch, zwischen ihnen die Gitterstäbe, die sie nicht nur räumlich trennen, sondern thematisch auch die Gegenüberstellung zweier Väter illustrieren. Der Junge hat die Verantwortung für seine Zukunft übernommen, die er durch das Fehlurteil nun nicht mehr mitgestalten kann, der Alte hatte alle Chancen, hat alle längst zerstört und kriegt seinen Alltag noch immer nicht geregelt Um einen Termin einzuhalten, der Beachums Leben retten könnte, hetzt er mit seiner Tochter in einem Einkaufswagen durch den Zoo, bis sie stürzt und sich verletzt. Selbst zu einer kleinen tröstenden Geste unfähig, sitzt Everett neben seiner weinenden Frau. Auch Beachums Frau weint, die Tochter sitzt auf seinem Schoß, aber in seiner Lage ist jeder Trost vergeblich.
Mit einem unaufdringlichem Regiestil setzt Eastwood diese Akzente. Zuletzt kauft Everett ein Plüschtier. Das Flirten aber kann der alte Schürzenjäger nicht lassen. So verhält es sich auch mit Eastwood und seinem Film. Beide gehören in eine andere Ära, sind störrisch, zu langsam gegen heutige Hochgeschwindigkeit-Hits, aber selbst in ihren Schwächen und Stereotypen noch wahrhaftiger.