Ein Schritt ins Ungewisse: Thom Yorke über Atoms For Peace
Was passiert eigentlich, wenn man Flea, Thom Yorke, Joey Waronker, Mauro Refosco und Nigel Godrich in ein Studio steckt? Verdammt viel. Unser US-Kollege David Fricke traf Yorke zum Interview und sprach mit ihm über Atoms For Peace.
David Fricke traf sich mit Thom Yorke in New York und sprach mit ihm über das Debütalbum seines Projektes Atoms For Peace. Die Supergroup besteht aus Flea (Red Hot Chili Peppers), dem Drummer Joey Waronker (Ex-R.E.M.), Radiohead Co-Produzent Nigel Godrich und dem Tour-Percussionisten der Band: Mauro Refosco.
Wie die Gruppe sich zusammen fand, ist schnell erklärt: Im Frühling 2010 ging die Band auf Tour. Man spielte Songs, die an Yorkes Laptop entstanden und auf dessen Soloplatte „The Eraser“ im Jahr 2006 erschienen waren. Die Proben liefen so gut, dass man sich nach dem letzten Konzert drei Tage in einem Studio in Los Angeles verkroch, um zusammen aufzunehmen. Und so ging das dahin. Zwei Jahre hat man sich Zeit genommen, das Ergebnis aus den Sessions zu veredeln und zu redigieren. Auch weitere Laptop-Kompositionen, die Yorke und Godrich in den folgenden zwei Jahren aufnahmen, wurden eingeflochten.
Godrich sagte dazu: „Es war so eine Idee, die erst im Nachhinein entstand und einen Schritt ins Ungewisse darstellte.“
Und e voilà: Man hat nun neun Songs, die unter dem Titel „AMOK“ Anfang nächsten Jahres veröffentlicht werden. Den Titel „Default“ kann man sich bereits bei uns anhören.
Jetzt aber genug des Briefings, hier das Interview mit Thom Yorke:
Du bist ja eigentlich in die Electric Lady Studios in New York gegangen, um zu lernen, wie man die Songs aus „The Eraser“ auf der Bühne spielt. Aber es muss sich im gleichen Augenblick nach mehr angehört haben, oder?
Da gab es eine tolle Dynamik zwischen uns – so eine gute Art der Aufregung. Aber es gibt Momente, in denen die Musik, die ich an meinem Laptop mache, so kantig wird. Wenn man Leute dazu bringt auf diese Weise zu spielen, ist das befremdlich. Das meiste davon, können sie – technisch gesehen – spielen. Aber dann gab es Stellen, bei denen wir dennoch den elektronischen Sound verwendeten, weil es brüchiger klang, aufregender.
Was hattet ihr an Material als ihr ins Studio in L.A. gegangen seid?
Wir hatten nichts.
Mit was seid ihr rausgegangen?
Wir hatten einen verdammt großen Berg (lacht). Es war eine Form von Wahnsinn. Wir sind so mittags rum in die Studios und haben bis 22 Uhr fast durchgehend gearbeitet. Wir haben die ganze Zeit über gespielt. Es war bescheuert. Wir wollten aufhören, den Beat ständig zu ändern. Joey [Waronker] und Mauro [Refosco] wollten dann aber doch noch mehr aus dem Beat rausholen, alle ihrer merkwürdigen Notationen verwenden und dann wieder eine weitere Stunde improvisieren.
Was war deine Rolle, vor allem unter einem starken, extrem technischen Spieler wie Flea?
Ich dirigierte hauptsächlich. Nigel und ich meinten immer so: „Das ist gut! Das ist gut!“ (Grinst) Es ging darum, einen interessanten Groove herauszubekommen. Als wir das erste Mal zusammen rumhingen, waren wir in Fleas Haus. Wir versumpften, spielten Pool und haben uns die ganze Nacht Fela Kuti angehört. Es war die Idee des In-Trance-Sein. Aber es gibt hier immer noch Songs.
Wie entscheidest du zwischen Live-Sound und programmatischem Sound, wenn du diese Songs kreierst? Kannst du ein Beispiel nennen?
„Default“ hat mit einem Abnahmefehler in meinem Studio zu tun (er macht ein Drum-Machine-Geräusch, das dem eines Telegraphen ähnelt), ich hab den Klangerzeuger falsch zusammengesteckt. Das lieferte mir einen Ton, bei dem ich mir, als ich eine Melodie darüber legte, dachte: Das ist nett. Das gleiche hatte ich auch, als Nigel [Godrich] und ich „The Eraser“ machten.
Aber dann sagte Nigel zu irgendeinem Zeitpunkt. „Ich brauche ein bisschen mehr. Was habt ihr?“ Ich dachte mir: Ich werde das versuchen. Wir haben es buchstäblich mit der Band eingespielt. Ich hab dann Flea gefragt: „Kannst du das anreißen?“
Alles war schrecklich kompliziert, alles brauchte eine übernatürliche Spiellänge. Und dann konnten es alle auch tatsächlich spielen. Aber eigentlich klingt nichts genau wie die Maschine. Es ist einer dieser Dinge, die unglaublich sein werden, wenn wir es live hinbekommen.
Wie sehr bestimmt die Musik die Richtung der Texte in Songs wie „Reverse Running“ und „Judge, Jury And Executioner“?
„Judge, Jury And Executioner“ war lustig, weil der Rhythmus dazu so eigentümlich ist. Die Phrase ist mir einfach so rausgerutscht, als ich den Song auf der Gitarre spielte. Es war, als hätte man einen Universal-Schlüssel, der uns Türen in andere Bereiche öffnete, aus denen ich unbedingt raus wollte.
„Judge, Jury And Executioner“ – das ist ziemlich wütend geraten. „Reverse Running“ hat eher diese merkwürdige Verzweiflung in sich. Es ist so eine Kopf-Sache, mehr im Stile des Storytelling. Ich wäre viel lieber ein Geschichtenerzähler. Aber das kann ich nicht machen.
Planst du noch einmal mit Atoms For Peace auf Tour zu gehen, wenn das Album draußen ist?
Ich hoffe es, wir alle haben Lust darauf.
Eine schöne Ironie: Aufgrund der Mischung aus dem Elektronischen und dem Live-Spiel werdet ihr ja alle Songs mit der Band neu einstudieren müssen.
Ja. (lacht) Das kotzt mich echt an! Ich denke mir die ganze Zeit: Hmmm, das ist zu organisch. Können wir das ein wenig mechanischer klingen lassen? Aber so sehr ich auch versuche, der Versuchung zu widerstehen, will ich wirklich sagen: Das ist der Anfang von etwas. Und das nach drei Tagen im Studio! Gott steh‘ uns bei, wenn wir mal eine Woche haben.
Thom Yorke und Atoms spielten 2010 auf dem Fuji Festival, Hier kann man sich die Live-Videos sehen: