Ein leises „Action!“
Sofia Coppolas „Somewhere“ entzweit die Kritiker. Dreht sie immer wieder den gleichen Film? Ja, aus Überzeugung.
Der Film habe ihn nach dem ersten Ansehen nicht mehr losgelassen, sagte Quentin Tarantino, der diesjährige Jurypräsident der Filmfestspiele in Venedig, über „Somewhere“, und übergab seiner Ex-Freundin, der Regisseurin Sofia Coppola, den Goldenen Löwen. Eine ziemliche Überraschung, dass ein Film, der sich in Zeitlupengeschwindigkeit nur um sich selbst und das System Hollywood zu drehen scheint, einen solchen Preis gewinnen kann.
„Somewhere“ erzählt von Johnny Marco (Stephen Dorff), einem nicht mehr ganz frischen Filmstar, Ende 30, der seine öden Tage im legendären Hotel Chateau Marmont am Sunset Boulevard verbringt. Er lässt leicht bekleidete Tanzmädchen aufs Zimmer kommen, feiert lahme Parties, schläft mit zig Frauen, die alle gleich aussehen, wird von seiner Agentin zu absurden Presseterminen und stupiden Sitzungen beim Maskenbildner geschickt und gurkt ziellos in seinem Ferrari, dem Sinnbild für sein schnelles Leben, das nicht von der Stelle kommt, durch Los Angeles. Bis er unerwarteten Besuch von seiner elfjährigen Tochter Cleo (Elle Fanning) bekommt, die für ein paar Tage bei ihm wohnen soll, weil ihre Mutter, Johnnys längst abgelegte Ex, Zeit für sich braucht.
Mit dieser klischeebeladenen Story würde man wohl niemanden ins Kino locken. Aber Sofia Coppolas Filme haben ja noch nie von den Inhalten gelebt. Es sind die Bilder, die Orte, die Atmosphäre, die die Filme der Modelabelbetreiberin und ehemaligen Kunststudentin so einzigartig machen. Wie sie die Details arrangiert, das Licht einfängt, die Musik einsetzt. Der Score stammt in „Somewhere“ übrigens wieder zu einem großen Teil von Phoenix, der Band ihres Lebensgefährten Thomas Mars.
Ihr Vater Francis Ford Coppola hat ihr, als er 1999 das Set ihres Spielfilm-Debüts „The Virgin Suicides“ besuchte, geraten, den „Action“-Befehl lauter, mit mehr Nachdruck zu geben. Aber das war unnötig. Denn um die Action geht es nicht in Sofia Coppolas Filmen. Sie denkt in Stimmungen und Augenblicken, nicht in Dramaturgie und Geschichten. Die heute 39-Jährige ist eher eine Mischung aus Voyeurin und Dekorateurin als ein Regisseur, wie er – in Hollywood immer noch im Maskulinum – im Buche steht.
Frau Coppola, der Held in „Somewhere“ ist das Klischeebild eines Hollywood-Schauspielers. Was hat Sie an ihm gereizt?
Mein letzter Film, „Marie Antoinette“, war ja ein ziemlicher Girlie-Film. Da habe ich meine weibliche Seite voll ausgereizt. Dieses Mal wollte ich aus der Sicht eines Typen erzählen, und da fiel mir diese Figur ein, dieser Hollywood-Bad-Boy.
War Stephen Dorff die erste Wahl für die Rolle?
Ja, von Anfang an. Ich habe beim Drehbuchschreiben eigentlich immer schon einen Schauspieler im Kopf. „Lost In Translation“ hätte ich zum Beispiel ohne Bill Murray gar nicht gemacht. Und für diese Rolle fiel mir eben ziemlich schnell Stephen Dorff ein. Ich fand immer, dass er ein guter Schauspieler ist. Und man nimmt ihm diesen Typen ab, ohne dass er dabei unsympathisch wirkt. Und das war wichtig, damit die Leute sich den Film überhaupt anschauen.
Diese Stimmung, um die es da geht – Einsamkeit, innere Leere, Langeweile -, kennt man ja auch als Nicht-Hollywood-Star ganz gut.
Definitiv. Ich wollte über Gefühle schreiben, die jeder kennt. Jeder kommt an den Punkt in seinem Leben, an dem er sich entscheiden muss, in welche Richtung er gehen will und wer er sein will.
Das haben Sie ja eigentlich in all Ihren Filme durchexerziert.
Mich interessieren halt Charaktere mehr, wenn sie sich in einer Phase des Übergangs befinden. Identitäten und ihre Erosion … Ich weiß auch nicht, warum mich das nicht loslässt. Ich bin nicht gut im Analysieren. Die Geschichte von „Somewhere“ habe ich um einen Hollywood-Star gebaut, weil mir das unterhaltsamer erschien als das Leben eines Bankers oder so.
Sie kennen ja vermutlich auch mehr Hollywood-Stars als Banker.
(lacht) Ja, das ist wahr.
Hat Johnny Marco ein reales Vorbild?
Er hat viele Vorbilder. Ich habe so einige Schauspieltypen kennengelernt, die im Chateau Marmont wohnen und ein ähnliches Leben führen wie er. Als ich das Drehbuch schrieb, habe ich in Paris gelebt. Selbst dort waren die Zeitungen voll von diesen Typen. Und immer, wenn ich wieder etwas über sie las, habe ich an diese seltsame Welt von Los Angeles denken müssen. Ich wollte meine Eindrücke von Los Angeles, wie es heute ist, in diesem Film vermitteln – die Autos, das Licht …
John Cassavetes hat mal gesagt, verglichen mit New York sei Los Angeles ein sehr einsamer Ort. Sie leben jetzt in New York, können Sie das nachvollziehen?
Da ist was dran. In L.A. ist man isolierter, weil jeder im Auto sitzt, in New York ist mehr Interaktion, eine völlig andere Erfahrung.
Was zieht all die Leute ins Chateau Marmont?
Viele kommen da unter, wenn sie einen Film in L.A. drehen, und dann bleiben sie dort hängen, weil sie dort eher ein Zuhause finden als in normalen Hotels. Jedes Zimmer ist ja eigentlich ein kleines Apartment mit eigener Küche und so. Viele Schriftsteller, Musiker und Schauspieler verbringen daher auch die Zeit zwischen Projekten dort.
Sind Sie dort auch schon abgestiegen?
Ja, aber nie besonders lange. Höchstens mal für ein, zwei Wochen. Aber ich schaue da gerne vorbei, weil es so heimelig ist und man immer interessante Leute trifft.
In einer Szene sitzt ein alter Mann in der Lobby und singt zur Gitarre den alten Elvis-Presley-Song „Teddy Bear“…
Ja, der gehört zum Inventar. Das heißt, jetzt nicht mehr. Er ist vor kurzem in Ruhestand gegangen. Er arbeitete im Chateau als Kellner, und zu später Stunde saß er immer in der Lobby und spielte für die Gäste seine Lieder. Ich kann mich erinnern, wie bei einem Besuch dort total müde in die Lobby kam und er dieses Lied sang. Diesen Moment wollte ich im Film festhalten.
Jedes Zimmer im Chateau Marmont scheint ja seine eigene Geschichte zu haben. Was ist in dem Raum passiert, in dem Johnny Marco wohnt?
Das weiß ich ehrlich gesagt gar nicht. Unser Kameramann hat angeblich im John-Belushi-Apartment gewohnt. Und als ich das letzte Mal dort war, sagte man mir, Helmut Newton sei immer in dem Zimmer abgestiegen. Es hatte auch ein sehr schönes Licht.
In einer Szene sieht man ein Auto, das gegen eine Hotelmauer gekracht ist. So ist Newton 2004 vorm Chateau Marmont umgekommen.
Ja, ich war im Hotel, als das passierte. In „Somewhere“ gibt es einige Newton-Referenzen. Er hat im Chateau ja immer überwintert und da eine Menge Fotos gemacht. Einige seiner Motive tauchen im Film auf.
Und all die nackten Frauen …
(lacht) Ja, die auch.
Wo wir gerade über Autos sprachen: Johnny fährt einen Ferrari. Fellini setzt in einem Film einen Ferrari als Symbol für die Unreife eines Schauspielers ein, die ihn schließlich den Kopf kostet.
„Toby Dammit“! Ja, mein Bruder hat mir, als ich das Drehbuch schrieb, gesagt, ich sollte mir den Film unbedingt anschauen. Aber ich habe mich vor allem für einen Ferrari entschieden, weil ich ein paar Schauspieler kenne, die Sportwagen sammeln.
Ich habe bei „Somewhere“ auch an Peter Bogdanovichs „Paper Moon“ denken müssen. Ein junges Mädchen und ein erwachsener Mann, die sich am Anfang fremd sind und sich im Laufe des Films näher kommen – ohne dass das jemals ausgesprochen wird. Man sieht es nur in ihren Blicken und an der Vertrautheit, die zwischen ihnen herrscht.
Ja, das war definitiv eine Inspiration. „Paper Moon“ ist einer meiner absoluten Lieblingsfilme.
Wie würden Sie die Beziehung zwischen Cleo und Johnny beschreiben?
Das kann ich in Worten nicht. Deswegen habe ich ja den Film gemacht.
Mir scheint, der Schauspieler Johnny kann durch seine Tochter seine innere Leere überwinden, weil sie ihm – wie ein Regisseur – eine Rolle zuweist. Nämlich die Vaterrolle.
So habe ich das noch nicht gesehen. Aber das klingt interessant.
Aber er lebt auch weiterhin in der Simulation, spielt mit seiner Tochter „Guitar Hero“ und andere virtuelle Spiele. Sie scheint erwachsener zu sein als er.
Ja, Cleo basiert auf der Tochter einer Freundin. Die wirkt auch viel erwachsener als ihre Eltern.
In Deutschland gibt es ein Magazin mit dem claim „Eigentlich sollten wir erwachsen werden“.
Das ist lustig. Sowas haben wir in Amerika zwar nicht, aber es gibt eine ganze Generation von Typen, die sich immer noch wie Jungs benehmen.
Können Sie sich erinnern, wann Sie sich zum ersten Mal erwachsen gefühlt haben?
Keine Ahnung. Es gibt auch immer noch Momente, in denen ich mich wie ein Kind fühle.
Sie haben zwei Töchter. Haben Sie, als Sie das erste Mal Mutter wurden, gedacht …
… ich sei erwachsen? Ich weiß nicht. Ich hab’s vielleicht auch schon gedacht, als ich an „The Virgin Suicides“ gearbeitet habe. Aber natürlich hatte die Geburt meiner ersten Tochter einen großen Einfluss auf den Film. Das Buch zu „Somewhere“ war das erste, was ich als Mutter geschrieben habe. Ich habe darüber nachgedacht, was für einen ungeheueren Einfluss das auf mein Leben hat.
Überdenkt man in so einer Situation auch das Verhältnis zu den eigenen Eltern?
Ja, man erinnert sich, wie das früher war, und fragt sich, wie man selbst sein wird. Aber ich bin überhaupt nicht so aufgewachsen wie Cleo in dem Film. Und mein Vater war auch nicht wie Johnny. Er ist ein Familienmensch und hat uns zu jedem Dreh mitgenommen. Meine Jugenderinnerungen sind eng mit den jeweiligen Filmen verbunden, die er zu der Zeit drehte. Oh, das war, als wir in Oklahoma lebten, weil er „Rumblefish“ drehte, und solche Sachen …
Sie sollen auch der einzige Mensch sein, der die Dreharbeiten zu „Apocalypse Now“ in wirklich guter Erinnerung hat.
Ja, das finden die Leute immer lustig. Aber ich war erst vier oder fünf zu der Zeit. Ich saß in Hubschraubern im philippinischen Dschungel. Das war toll!